rel="nofollow" href="#ulink_bade5da4-75bb-5f4e-bce5-69bc3f5cd929">Inhaltsverzeichnis
Am nächsten Vormittag fand Zippers Prozeß statt. Und obwohl dieser Prozeß nur eine unbedeutende Episode im Leben der beiden Zippers bedeutete und in dem Bericht, den ich eben verfasse, kein wichtiges Detail werden kann, darf ich es mir doch nicht versagen, so viel von der Gerichtsverhandlung mitzuteilen, als ich selbst zu wissen glaube. Denn ich war nicht während der ganzen anwesend. Auch hatte ich weder Zeit noch Lust, mich, wie die Juristen sagen, in die Materie des Prozesses zu versenken. Ich weiß im allgemeinen nur, daß der alte Zipper selbstverständlich im Unrecht war und daß er es aus Leichtsinn und Freude an unangenehmen Geschäften auf den Prozeß hatte ankommen lassen. Es handelte sich um Aufträge auf Papierlieferungen nach Deutschland: so viel im allgemeinen. Aber der Gegenstand der Verhandlung kümmerte mich ja weniger als seine Hauptperson.
Ich kam in den Gerichtssaal, nachdem die Verhandlung schon zwei Stunden gedauert hatte. Es waren nur sehr wenige Zuhörer da. Der alte Zipper bemerkte mich sofort. Er saß neben seinem Verteidiger, und obwohl dieser die gewohnte Robe des Gerichtsmenschen trug, erschien der alte Zipper weitaus feierlicher und gewissermaßen juristischer. Er trug einen schwarzen Anzug, ein Zylinder lag vor ihm auf der Bank, er blätterte in den Papieren einer Aktentasche, trank jedesmal einen Schluck Wasser und blickte von Zeit zu Zeit in den Zuhörerraum, obwohl so wenige Leute ihm zusahen. Er sah mich sofort, als ich eintrat, winkte mir leutselig mit der Hand und wies mir auf der ersten Bank einen Platz an. Er lächelte mir zu. Er spielte mit einem Bleistift, schnitzte ihn und verursachte ein schwirrendes, regelmäßiges Geräusch, das den Richter veranlaßte, einen Augenblick innezuhalten, obwohl er gerade dabei war, einen sehr langen und wichtig klingenden Satz auszusprechen. Es schien, daß niemand im Saal etwas Merkwürdiges am alten Zipper zu bemerken hatte. Vielmehr waren alle von seiner Würde eingenommen. Wahrscheinlich glaubten sie, die ihn nicht so gut kannten wie ich, er folge mit geschärfter Gewissenhaftigkeit dem Gang der Handlung und er sei seines Rechtes so gewiß, daß er nur noch mit einer großen und dem Kläger ungünstigen Überraschung in seiner Aktentasche bis zum Schluß warten wolle. Sooft der Anwalt Zippers etwas sagte, horchte der Alte auf, um einen Augenblick später verneinend den Kopf zu schütteln. Ja, dieser sonderbare Angeklagte ging so weit, daß er sich vor den Blicken seines Verteidigers mit dem Richter durch verständnisvolles Augenzwinkern über die Naivität des Anwalts lustig zu machen schien. Der Verteidiger setzte sich wieder, einigermaßen verwirrt, und erkundigte sich beim alten Zipper, ob er etwa einem Irrtum unterlegen sei. Und breit und umständlich begann der Angeklagte, seinem Anwalt die Materie flüsternd auseinanderzusetzen. Dieser, der sie vermutlich schon gekannt und nur versucht hatte, sie durch eine besonders nuancierte Darstellung für seine Zwecke brauchbar zu machen, erhob sich wiederum. Sobald er aber mehr als einen Satz gesprochen hatte, begann der alte Zipper ihn wieder durch ein immer heftigeres Kopfschütteln zu dementieren. So, daß schließlich der Richter den Alten selbst aufforderte zu sprechen. Nun begann Zipper Wort für Wort zu wiederholen, was sein Anwalt gesagt hatte. Denn auch er war klug genug, die Sachlage günstiger zu deuten, als sie etwa das Gericht oder der Vertreter der Anklage auslegen mußten. Aber außerstande zu schweigen, während man seine Angelegenheit besprach, und leicht gekränkt über die stumme Rolle, zu der ihn sein Verteidiger verurteilte, leugnete der alte Zipper, wenn er saß, die Tatsachen, die er selbst erzählte, wenn er aufstand. Und sooft ihn, während er mit dem Kopf verneinte, der Richter fragte: »Also, Herr Zipper, geben Sie zu –«, erhob er sich, um zur allgemeinen Überraschung zu erklären: »Keineswegs. Ich stimme vollkommen mit meinem Herrn Verteidiger überein.« Hierauf machte Zipper eine Verbeugung vor dem Gericht, eine leichtere vor seinem Anwalt, setzte sich, wandte mir den Kopf zu und lächelte.
Es schien, daß infolge dieser ungewöhnlichen Gebräuche des Angeklagten der Prozeß noch verwickelter werden könnte. Infolgedessen machte sich auf den Gesichtern aller Beteiligten eine leise Ermattung bemerkbar. Nur das Gesicht des Alten war strahlend, frisch, er sah aus wie aus einem Bad gestiegen, ich zweifle, ob er einen solchen Triumph gezeigt, wenn er den Prozeß gewonnen hätte. Der Verteidiger, der die allgemeine Müdigkeit für seine verlorene Sache ausnutzen wollte, erhob den Antrag auf unbestimmte Vertagung, auf die Vorladung neuer Zeugen und erklärte, neue »Unterlagen« beschaffen zu wollen. Das Gericht vernahm diesen Antrag mit Freude und gab ihm statt. Zipper machte eine tiefe Verbeugung, schloß mit einem schnarrenden Geräusch die Aktentasche und verließ den Saal mit so gemessener Langsamkeit, den Zylinder in der bereits behandschuhten Rechten, daß sich der Gerichtsdiener, wahrscheinlich ohne es zu wissen, vor ihm verneigte wie vor einem Staatsanwalt.
Ich hatte erwartet, daß der Herr Zipper mit mir über den Prozeß sprechen würde. Er aber begrüßte mich mit der Frage: »Ist Arnold schon verreist?« Und als ich bejahte, sagte Zipper: »Dann werde ich ihm das Geld schicken. Ich werde mir bei meinem Rechtsanwalt den Vorschuß zurückgeben lassen. Er ist übrigens ganz unfähig, mein Herr Rechtsanwalt. Ich wollte ihn nur nicht blamieren. Wissen Sie, woran ich während der ganzen Verhandlung gedacht habe? Ich habe mir vorgestellt, daß es besser gewesen wäre, meinen Sohn Rechtsanwalt werden zu lassen. Arnold hat ein ausgesprochen juristisches Gehirn.«
Am Abend fuhr der alte Zipper nach Hause. Als ich ihm auf dem Bahnhof die Hand gab, sagte er unvermittelt: »Werden wir uns noch wiedersehn?« Es war, als wenn plötzlich eine Wolke über seine sonnige Torheit dahergesegelt käme. Vielleicht hatte ihm der Tod, der schon hinter seinem Rücken stand, leise auf die Schulter geklopft. Ich wollte ihm noch mit einem üblichen Troste antworten. Aber der Zug glitt mir vor dem geöffneten Mund davon, und es blieb mir nichts übrig, als meinem alten Freund nachzuwinken. Sein Taschentuch konnte ich noch lange unterscheiden. Es schien heftiger zu flattern als die andern.
XIX
Am selben Abend noch sah ich den Dämonischen im nächtlichen Klub. Er erzählte, daß Erna vom Pferde gestürzt sei und sich verletzt habe. Er hätte zurück müssen, weil sein Geld zu Ende gegangen sei, die Aufnahmen noch immer nicht begonnen hätten, kein Mensch von der Direktion sich hätte blicken lassen. Infolgedessen habe Erna um ihren Mann telegraphiert.
Es erwies sich, daß Erna schwer krank war. Sie wurde in ein Sanatorium nach Berlin gebracht.
Das war Arnolds schönste Zeit. Denn er durfte bei ihr die ganze Nacht über bleiben, er wohnte im Sanatorium.
Bei Tag empfing sie die Besuche, die einer Künstlerin gebühren, wenn sie einen Unfall erlitten hat. Sie erhielt sämtliche Genugtuungen, die in solchen Fällen in Betracht kommen. Sie erfuhr den ganzen Umfang der Wertschätzung, den man ihr zollte. Nichts Angenehmeres, als eine Art von Nachrufen zu lesen und zu wissen, daß man am Leben bleibt.
Man verschob die Aufnahmen. In manchen Berichten über Feste und Bälle stand es, daß man sie »vermißte«. Oh, süße Einrichtung eines blumengeschmückten Krankenlagers! Glückliche Folge eines schweren Unfalls! Aufgesucht-und Vermißtwerden in einem!
Man mußte sie operieren. Es stellte sich heraus, daß sie eine längere Zeit hinken würde.
Allmählich verschwand ihr Name aus den Blättern. Der Film wurde ohne sie gedreht. Ihre Stellvertreterin hatte gute Kritiken. Die Vorschüsse schränkte man ein. Sie verließ das Sanatorium. Arnold zog in ihre Villa.
Sie verkaufte das Automobil. Sie entließ den Gärtner. Die Freundinnen zogen aus. Das Grammophon nur blieb im Hause. Die Besuche wurden selten. Es schien, daß die jungen Zippers nur von Arnolds Einkünften lebten.
Sie verkauften das Haus und zogen in die Stadt und mieteten eine Wohnung. Zuerst war es eine große Wohnung in einem Vorderhaus. Dann erfuhr Arnold, daß eine ebenso große Wohnung, aber um die Hälfte billiger, in einem Hinterhaus zu vermieten wäre. Und sie zogen in ein Hinterhaus. Man passierte, ehe man zu ihnen gelangte, einen langen Flur, einen geräumigen Hof, in dem Hühner gackerten. Der Portier hielt die Fenster seiner Küche offen. Man roch, was er aß. Jetzt hatte Arnold auch einen Salon. Es war nicht mehr, wie bei ihm zu Hause, ein dunkler, feuchter Salon. Es war ein warmer, trockener. Auf der Kommode standen winzige Buddhas mit Schublädchen in den Bäuchlein. In diesen