Йозеф Рот

Gesammelte Werke von Joseph Roth


Скачать книгу

Sie wissen, Herr Dan, der Letzte hier im Hause.«

      Frau Santschin hatte eine Idee: Man könnte Tee kaufen bei Herrn Fisch, wenn er nicht grade schlief. Daß er etwas Tee herleihen würde, bestand keine Aussicht. »Mit Nutzen« würde er gern verkaufen. »Gehn wir zu Fisch«, sagt Stasia.

      Fisch muß man erst wecken. Er wohnt im letzten Zimmer des Hotels, Nummer 864, umsonst, weil die Kaufleute und Industriellen des Ortes und die vornehmen Parterregäste des Hotels Savoy für ihn zahlen. Es geht die Sage, daß er einmal verheiratet, angesehen, Fabrikant und reich gewesen war. Nun hat er alles unterwegs verloren, aus Nachlässigkeit – wer kann’s wissen. Er lebt von geheimer Wohltätigkeit, aber er gibt es nicht zu, sondern nennt sich »Lotterieträumer«. Er besitzt die Fähigkeit, Lotterienummern zu träumen, die unbedingt eintreffen müssen. Er schläft den ganzen Tag, läßt sich Nummern träumen und setzt. Aber noch ehe sie gezogen sind, hat er wieder geträumt. Er verkauft sein Los, ersteht für den Erlös ein neues, das alte gewann, das neue nicht. Viele Menschen sind durch Fischs Träume reich geworden und wohnen im ersten Stock des Hotel Savoy. Aus Dankbarkeit bezahlen sie für Fisch das Zimmer.

      Fisch – sein Vorname ist Hirsch – lebt in steter Angst, weil er einmal irgendwo gelesen hat, daß die Regierung das Lotteriespiel aufheben und »Klassenlose« einführen will.

      Hirsch Fisch muß »schöne Nummern« geträumt haben, es dauert lange, ehe er aufsteht. Er läßt niemanden in sein Zimmer, begrüßt mich im Korridor, hört Stasias Wunsch an, schlägt die Tür wieder zu und öffnet sie nach einer geraumen Weile, mit einem Teepäckchen in der Hand.

      »Wir verrechnen das, Herr Fisch«, sagt Stasia.

      »Guten Abend«, sagt Fisch und geht schlafen.

      »Wenn Sie Geld haben«, rät Stasia, »kaufen Sie bei Fisch ein Los« und sie erzählt mir von den wunderbaren Träumen des Juden.

      Ich lache, weil ich mich schäme, den Wunderglauben zuzugeben, dem ich leicht verfalle. Aber ich bin entschlossen, ein Los zu kaufen, wenn Fisch mir etwas anbieten würde.

      Die Schicksale Santschins und Hirsch Fischs beschäftigten mich. Alle Menschen schienen hier von Geheimnissen umgeben. Träumte ich das? Den Dunst der Waschküche? Was wohnte hinter der, hinter jener Tür? Wer hatte dieses Hotel erbaut? Wer war Kaleguropulos, der Wirt?

      »Kennen Sie Kaleguropulos?«

      Stasia kannte ihn nicht. Niemand kannte ihn. Niemand hatte ihn gesehn. Aber wenn man Zeit und Lust hatte, konnte man sich einmal aufstellen, wenn er gerade inspizieren kam, und ihn anschaun.

      »Glanz hat es einmal versucht«, sagte Stasia, »hat aber keinen Kaleguropulos gesehn. Übrigens sagt Ignatz, daß morgen Inspektion ist.«

      Noch ehe ich die Treppe hinabsteige, holt mich Hirsch Fisch ein. Er ist im Hemd und in langen weißen Unterhosen und hält steif vor den Leib hingestreckt ein Nachtgeschirr. Groß und hager, sieht er im dämmerigen Zwielicht wie ein Auferstandener aus. Seine grauen Bartstoppeln drohen wie kleine, scharfe Spieße. Seine Augen liegen tief, beschattet von mächtigen Backenknochen.

      »Guten Morgen, Herr Dan! Glauben Sie, daß die Kleine mir den Tee bezahlen wird?«

      »Wahrscheinlich doch!«

      »Hören Sie, ich habe Nummern geträumt! Eine sichere Terz! Ich setz’ heute! Haben Sie gehört, daß die Regierung die Lotterie abschaffen will?«

      »Nein!«

      »Es wär’ ein großes Unglück, sag’ ich Ihnen. Von was lebt das kleine Volk? Von was wird man reich? Soll man warten, bis eine alte Tante stirbt? Ein Großvater? Und dann steht im Testament: das Ganze fürs Waisenhaus.«

      Fisch redet, das Nachtgeschirr vor sich haltend, er scheint es vergessen zu haben. Ich werfe einen Blick darauf, er bemerkt es.

      »Wissen Sie, ich erspar’ mir Trinkgelder. Was brauch’ ich den Zimmerkellner bei mir? Ich mach’ mir selbst Ordnung. Die Menschen stehlen wie die Raben. Allen ist schon was gestohlen worden. Mir nicht! Ich mach’ mir selbst Ordnung. Heute, hat der Ignatz gesagt, ist Revision. Ich geh’ immer weg, wer nicht da ist, ist nicht da. Wenn Kaleguropulos etwas nicht richtig findet, kann er mich nicht herstellen. Bin ich sein Rekrut?«

      »Kennen Sie den Wirt?«

      »Wozu soll ich ihn kennen? Ich bin nicht neugierig auf die Bekanntschaft. Haben Sie das Neueste gehört: Bloomfield kommt!«

      »Wer ist das?«

      »Bloomfield kennen Sie nicht? Bloomfield ist ein Kind dieser Stadt, Milliardär in Amerika. Die ganze Stadt ruft: Bloomfield kommt! Ich hab’ mit seinem Vater gesprochen, wie ich hier mit Ihnen rede, so wahr ich leb’.«

      »Entschuldigen Sie, Herr Fisch, ich will noch ein bißchen schlafen!«

      »Bitte, schlafen Sie! Ich muß Ordnung machen.« Fisch geht der Toilette entgegen. Aber unterwegs, ich war schon auf der Stiege, rannte er zurück:

      »Glauben Sie, daß sie zahlen wird?«

      »Ganz gewiß.«

      Ich öffnete die Tür meines Zimmers und glaubte noch einmal, wie gestern, einen huschenden Schatten zu sehn. Ich war zu müde, um nachzusehen. Ich schlief, bis die Sonne hoch im Mittag stand.

      VI

       Inhaltsverzeichnis

      Es klang wie ein Schlachtruf durchs Haus: Kaleguropulos kommt! Er kam immer am Vorabend, ehe die Sonne verschwand. Geschöpf der Dämmerung war er, Herr der Fledermäuse.

      Weiber standen in den drei höchsten Stockwerken verteilt und scheuerten die großen Quadersteine. Man hört Geräusch pantschender Staubfetzen, die in gefüllte Kübel fallen, Schrubbern eines harten Besens und besänftigendes Gleiten trockener Tücher über den Korridor. Ein Zimmerkellner reibt, gelbes Säurefläschchen in der Hand, an den Klinken.

      Leuchter blinken, Druckknöpfe und Türleisten, verstärkter Dunst quillt aus der Waschküche und stiehlt sich ins sechste Stockwerk. Auf schwankenden Leitern ragen dunkelblaue Männer gegen den Suffit und tasten Drahtleitungen mit behandschuhten Händen ab. An breiten Gurten hängen Mädchen mit wehenden Schößen wie lebendige Fahnen zu den Fenstern hinaus, Scheiben putzend. Aus dem siebenten Stock sind alle Einwohner verschwunden, offen stehn die Türen, dargeboten ist dem Blick alle kümmerliche Häuslichkeit, eilig zusammengeraffte Bündel, Haufen von Zeitungspapier über verbotenen Gegenständen.

      In den vornehmen Stockwerken tragen die Zimmermädchen prachtvoll gesteifte Nonnenhauben, duften nach Stärke und feierlicher Aufregung wie Sonntag morgens. Ich wundere mich, daß keine Kirchenglocken läuten. Unten stäubt jemand mit einem Taschentuch die Palmen ab, es ist der Direktor selbst, sein Auge sieht einen Lederfauteuil, dessen Sitz Risse aufweist und Eingeweide aus Holzwolle verrät. Flugs legt der Portier einen Teppich darüber.

      Zwei Buchhalter stehn an hohen Kontorpulten und machen Auszüge. Einer blättert im Katasterkasten. Der Portier trägt eine neue Goldborte um den Mützenrand. Ein Diener tritt aus einem kleinen Gelaß in einer neuen grünen Schürze, blühend wie ein Stück Frühlingswiese. Im Vestibül sitzen dicke Herren, rauchend und Schnäpse trinkend, von hurtigen Kellnern umgaukelt.

      Ich bestelle einen Schnaps und setze mich an einen Tisch am äußersten Rand des Vestibüls, hart neben dem Läufer, über den Kaleguropulos ja kommen muß. Ignatz kam vorbei, nickte, freundlicher als sonst, ruhig, mit einer Würde, die einem Liftboy gar nicht anstand. Er schien als einziger in diesem Hause Ruhe bewahrt zu haben, seine Kleidung wies keine Veränderung auf, sein glattrasiertes Gesicht, bläulich schimmernd am Kinn, war heute genauso pastorenhaft wie immer.

      Ich wartete eine halbe Stunde. Plötzlich sah ich Bewegung vorn in der Portierloge, der Direktor griff nach dem Kassabuch, schwenkte es hoch wie ein Signal und rannte die Treppe hinauf. Ein dicker Gast ließ das Schnapsglas, das er halb erhoben hatte, wieder stehn und fragte seinen Nebenmann: »Was ist