Йозеф Рот

Gesammelte Werke von Joseph Roth


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ein Kino und eine Fabrik für Juxgegenstände – was sollte das den Arbeiterfrauen. Die Juxgegenstände waren für die Herrschaften, und ein Spielzeug taugte keinem Arbeiter. Bei den Knallerbsen und brennenden Fröschen und im Kino könnten sie den Neuner vergessen, aber den Hunger nicht.

      XXVI

       Inhaltsverzeichnis

      Zwonimir sagte einmal:

      »Die Revolution ist da.«

      Wenn wir in den Baracken sitzen und mit den Heimkehrern sprechen – draußen fällt der schräge Regen unaufhörlich –, fühlen wir die Revolution. Sie kommt aus dem Osten – und keine Zeitung und kein Militär kann sie aufhalten.

      »Das Hotel Savoy«, sagt Zwonimir zu den Heimkehrern, »ist ein reicher Palast und ein Gefängnis. Unten wohnen in schönen, weiten Zimmern die Reichen, die Freunde Neuners, des Fabrikanten, und oben die armen Hunde, die ihre Zimmer nicht bezahlen können und Ignatz die Koffer verpfänden. Den Besitzer des Hotels, er ist ein Grieche, kennt niemand, auch wir beide nicht, und wir sind doch gescheite Kerle.

      Wir haben alle schon lange Jahre nicht in so schönen, weichen Betten gelegen wie die Herrschaften im Parterre des Hotels Savoy.

      Wir haben alle schon lange nicht so schöne, nackte Mädchen gesehn wie die Herren unten in der Bar des Hotels Savoy.

      Diese Stadt ist ein Grab der armen Leute. Die Arbeiter des Fabrikanten Neuner schlucken den Staub der Borsten, und alle sterben im fünfzigsten Jahr ihres Lebens.«

      »Pfui!« schreien die Heimkehrer.

      Man entließ den Arbeiter, der Ignatz verprügelt hatte, nicht aus dem Gefängnis.

      Jeden Tag ziehn die Arbeiter vor das Hotel Savoy und vor das Gefängnis.

      Jeden Tag brennen in den Zeitungen die Nachrichten von den Streiks in der Textilindustrie.

      Ich rieche die Revolution. Die Banken – so erzählt man bei Christoph Kolumbus – packen ihre Tresors und schicken sie in andere Städte.

      »Die Polizei soll verstärkt werden«, berichtet Abel Glanz.

      »Man will die Heimkehrer internieren«, erzählt Hirsch Fisch.

      »Ich fahre nach Paris«, sagt Alexanderl.

      Ich dachte, daß Alexanderl nach Paris fahren würde, nicht allein, sondern mit Stasia.

      »Man kann nicht noch einmal flüchten«, klagt Phöbus Böhlaug.

      »Der Typhus ist ausgebrochen«, erzählt der Militärarzt am Nachmittag im Fünf-Uhr-Saal.

      »Wie schützt man sich vor Typhus?« fragt die jüngere Tochter Kanners.

      »Der Tod wird uns alle holen!« erklärt der Militärarzt, und Fräulein Kanner wird blaß.

      Vorläufig aber holt der Tod nur ein paar Arbeiterfrauen. Die Kinder erkranken und kommen ins Spital.

      Man schließt die Armenküche, um die Ansteckungsgefahr zu vermindern. Also bekamen die Hungrigen keine Suppe mehr.

      Die Heimkehrer konnte man nicht mehr in den Baracken internieren.

      Es waren zu viele Heimkehrer.

      Es waren ganze Völkerscharen.

      Der Polizeioffizier erzählt, daß man um Verstärkung nachgesucht habe. Der Polizeioffizier war nicht aufgeregt. Er trägt eine Dienstpistole, und er steht nicht um zehn Uhr auf, sondern um neun. Er wedelt mit den Wildlederhandschuhen, als herrschte kein Typhus.

      Die Krankheit ergriff ein paar arme Juden. Ich sah, wie man sie bestattete. Die jüdischen Frauen erhoben ein gewaltiges Wehklagen, die Schreie standen in der Luft.

      Zehn, zwölf Menschen starben jeden Tag.

      Der Regen fällt schräg und hüllt die Stadt ein, und durch den Regen fluten die Heimkehrer.

      In den Zeitungen flammen die schrecklichen Nachrichten auf, und jeden Tag ziehen die Arbeiter Neuners vor das Hotel und schreien.

      XXVII

       Inhaltsverzeichnis

      Eines Morgens fehlen Bloomfield, Bondy, der Chauffeur und Christoph Kolumbus.

      In Bloomfields Zimmer lag ein Brief für mich, Ignatz brachte ihn.

      Bloomfield schreibt:

      »Geehrter Herr, ich danke Ihnen für Ihre Hilfe und erlaube mir, Ihnen ein Honorar zu übergeben. Meine plötzliche Abreise wird Ihnen verständlich sein. Wenn Ihr Weg Sie nach Amerika führen sollte, so werden Sie hoffentlich nicht verfehlen, mich zu besuchen.«

      +++

      Ich fand ein Honorar in einem besonderen Umschlag. Es war ein königliches Honorar.

      In aller Stille ist Henry Bloomfield geflüchtet. Mit abgeblendeten Scheinwerfern, auf lautlosen Rädern, ohne Hupenschrei, im Dunkel der Nacht floh Bloomfield vor dem Typhus, vor der Revolution. Er hat seinen toten Vater besucht, er wird nie mehr in seine Heimat kommen. Er wird seine Sehnsucht unterdrücken, Henry Bloomfield. Nicht alle Hindernisse kann das Geld aus dem Weg räumen.

      Am Abend kamen die Gäste in der Bar zusammen, sie tranken und sprachen von der plötzlichen Abreise Bloomfields.

      Ignatz brachte ein Extrablatt aus der Nachbarstadt. Dort kämpften die Arbeiter gegen Militär aus der Hauptstadt.

      Der Polizeioffizier erzählt, man hätte schon dringend um Militär telephoniert.

      Alexanderl Böhlaug wollte in den nächsten Tagen nach Paris reisen. Frau Jetti Kupfer läutete gerade. Die nackten Mädchen sollten auftreten.

      Da geschah ein Knall.

      Ein paar Flaschen kollerten vom Büffet herunter.

      Man hörte das Klirren zersplitterter Fensterscheiben.

      Der Polizeioffizier rannte hinaus. Frau Jetti Kupfer riegelte die Tür ab.

      »Machen Sie auf!« schreit Kanner.

      »Glauben Sie, wir wollen bei Ihnen krepieren?« ruft Neuner, und die Schmisse brennen auf seiner Backe, als wären sie mit Karmin aufgemalt.

      Neuner stößt Frau Jetti Kupfer fort und öffnet die Tür.

      Der Portier liegt blutend auf seinem Fauteuil.

      Ein paar Arbeiter stehen im Flur. Einer hat eine Handgranate geworfen.

      Draußen drängt sich eine große Menge in der schmalen Gasse und schreit.

      Hirsch Fisch kam in Unterhosen herunter.

      »Wo ist Neuner?« fragt der Arbeiter, der die Handgranate geworfen hat.

      »Neuner ist zu Hause!« sagt Ignatz.

      Er wußte nicht, ob er zum Militärarzt laufen sollte oder zurück in die Bar, um Neuner zu warnen.

      »Neuner ist zu Hause!« sagt der Arbeiter zu den Leuten draußen.

      »Zu Neuner! Zu Neuner!« schreit eine Frau.

      Die Gasse wird leer.

      Der Portier ist tot. Der Militärarzt sagt nichts. Ich habe ihn nie so bleich gesehn.

      Die ganze Bargesellschaft flüchtet. Neuner läßt sich vom Polizeioffizier begleiten.

      XXVIII

       Inhaltsverzeichnis

      Der Morgen bricht