href="#ulink_ae04949e-a712-57b1-b849-607a827a2d43">427. Hier finden wir zunächst wiederum den dienenden Knaben, aber tief eingeschüchtert, wie später bei Cagliostro in Mitau, und phantastisch ausser sich gebracht, als unglückliches Opfer. Vor allem aber wird mit den Kunden wahrer Hohn getrieben; ihre Anfragen an die Götter, nach ihrer Meinung unsichtbar geschrieben, kann der Beschwörer durch chemische Mittel dennoch lesen und seine Antworten danach einrichten; wenn es aber zur Erscheinung des gewünschten Dämons kommen soll, dann wird offenbar darauf gerechnet, dass sie selber, im dunkeln Gemach »Lorbeer schwingend und laut schreiend« froh sein sollen, wenn nichts erscheint; Sichtbarkeit, heisst es dann, könne man vom Göttlichen nicht verlangen, genug, dass es anwesend sei. Der Knabe muss dann mitteilen, was die Dämonen sprechen, das heisst was ihm der Beschwörer durch einen kunstreichen Hohlstab einflüstert. Weihrauchkugeln, in welche explodierende oder blutrot leuchtende Stoffe eingeschlossen sind, Alaun, über welchem, sobald er flüssig wird, die Kohlen des Altars in Bewegung zu geraten scheinen, müssen der Täuschung weiter nachhelfen, und endlich hat man gegenüber von Wissbegierigen irgendeinen völlig undeutsamen Orakelspruch vorrätig. Mehreres von dem, was weiter erzählt wird, ist Sache nicht bloss von Beschwörern, sondern von gewöhnlichen Gauklern bis auf unsere Zeit geblieben: das Buntfärben der Eier von innen, das Hantieren mit Feuer, in welches man die Hand steckt, auf welchem man wandelt, ja welches man aus dem Munde speit; schon bedenklicher sind die Rezepte zum unmerklichen Ablösen der Siegel von Schriftstücken, deren Inhalt man kennen will, und zwischenhinein meldet sich wieder deutlich der eigentliche Beschwörer. Ziegen und Widder sinken durch geheime Mittel tot hin, ja Lämmer töten sich selbst (?); ein Haus (bestrichen mit dem Saft bestimmter Seetiere) steht scheinbar in Flammen; Donner wird künstlich hervorgebracht428. An der Leber des Opfertieres erscheint eine Schrift (weil der Betrüger sie vorher mit einer scharfen Farbe verkehrt auf seine linke Hand geschrieben hat, auf welche die Leber zu liegen kommt). Ein auf der Erde liegender Schädel spricht und verschwindet dann, indem er bloss aus einer Haut mit Wachs modelliert ist, die schon unter der Wirkung einer genäherten Kohlenhitze zusammensinkt; das Sprechen freilich hat ein verborgener Gehilfe durch ein Rohr, das aus einem Kranichschlund bereitet war, besorgen müssen. Mondschein wird unbemerkt bereitgehalten, bis alle übrigen Lichter ausgelöscht sind; ein (verstecktes) Licht bescheint eine Wasserschale auf der Erde und diese reflektiert sich in einem Spiegel an der Decke; andere Male ist in der letztern ein Loch mit einem Tamburin ausgefüllt, und der Gehilfe im Obergemach leuchtet dazu, nachdem er auf ein gegebenes Zeichen eine Decke weggezogen; noch einfacher ist ein Licht in einem engen Gefässe, dessen Schein an der Decke wenigstens ein helles Rund hervorbringt. Den gestirnten Himmel bereitet man durch gummierte Fischschuppen (an der Decke), welche schon bei der mattesten Beleuchtung des Raumes einigen Flimmer von sich geben können. Nun kommen die wirklichen Göttererscheinungen, wobei der Beschwörer es sich bisweilen leicht machte, indem er auch hier auf Schrecken und Gehorsam der Kunden rechnen konnte. Er zeigte ihnen etwa im Dunkel einer mondlosen Nacht im Freien die über den Himmel fahrende Hekate, indem sein verborgener Gehilfe, sobald die Formel zu Ende gesprochen war, einen unglücklichen, mit brennendem Werg umwickelten Hühnergeier losliess; in dem Augenblick aber, da man etwas Feuriges durch die Luft schwirren sah, musste man das Gesicht verhüllen und lautlos sich auf den Boden drücken. Schon künstlicher wurde zum Beispiel die Erscheinung eines feurigen Asklepios hervorgebracht; an der Wand war ein solcher, vielleicht lebensgross in starkem Relief, modelliert und mit äusserst brennbaren Stoffen bestrichen, welche in dem Moment, da der Beschwörer seine Hexameter sprach, entzündet wurden und dann einige Augenblicke leuchteten. Umständlich und kostbar war es endlich, lebendig bewegte Götter nach Belieben erscheinen zu lassen. Hier half nur ein Untergemach, wo kostümierte Comparsen sich herumbewegten; im Obergemach schauten die Gläubigen in eine auf der Erde stehende Wasserschale, welche zwar von Stein war, aber einen gläsernen Boden hatte.
Es handelte sich also sehr oft nicht um ekstatische Verzückungen und Halluzinationen, sondern um wirkliche, objektiv vorhandene Vorgänge. Ob es ausser den Schwindlern etwa auch noch ernsthafte Theurgen gab, welche zwar die Mittel des Betruges, aber als eines »frommen«, anwandten, mag dahingestellt bleiben, und ebenso, ob Iamblichus (oder wer sonst die oben zitierte Schrift verfasste) Leute der letztern Gattung im Auge hatte.
Übrigens weiss er ausser den Geisterbannungen auch noch über andere Fragen aus dem Gebiet des Übernatürlichen Auskunft. Er erzählt zum Beispiel von den gottgesandten Träumen, sie kämen nicht im vollen Schlafe, sondern in halb oder ganz wachem Zustande höre der Mensch kurze geflüsterte«Worte »tue dies oder jenes«; er fühle sich von einem geistigen Wehen umfangen und erblicke dabei bisweilen ein reines und ruhiges Licht. Dagegen wird die weissagende Bedeutung der gewöhnlichen Träume nur sehr niedrig angeschlagen. Von einzelnen göttlich Inspirierten heisst es, sie lebten überhaupt ein göttliches, kein animalisches Leben mehr und fühlten deshalb weder Feuer noch Stichwunden, noch sonstige Martern; übrigens könne die göttliche Gegenwart auch bloss die Seele oder nur einzelne Teile des Leibes affizieren, so dass einige tanzen und singen, andere sich hoch aufrichten, in der Luft schweben, ja vom Feuer umwallt erscheinen, wobei sich göttliche Stimmen bald laut bald leise hören lassen. Viel niedriger steht die freiwillige magische Aufregung durch gewisse Räucherungen, Tränke oder Formeln u. dgl., so dass man im Wasser, in der reinen Nachtluft, in der Sonne, an gewissen Mauern, die mit geweihten Zeichen bedeckt sind, das Verborgene und Zukünftige erkennt. Es geht aber ein solcher Strom von Ahnung und Weissagung durch die ganze sichtbare Welt, das heisst das System will sich so wenig den einzelnen Volksaberglauben entgehen lassen, dass man auch aus Steinchen, Ruten, Hölzern, Korn usw., ja selbst aus den Reden der Verrückten die Zukunft herauslesen mag. Auch der Vögelflug wird von göttlichen Kräften geleitet zur Erzweckung von Zeichen, so dass selbst diese sprichwörtliche Freiheit sich zur Unfreiheit verkehrt. Auf die gewöhnliche Astrologie wird als auf einen zwecklosen Umweg, ja als auf einen Irrtum ziemlich geringschätzig herabgesehen, indem gar nicht die Konstellationen und Elemente das Schicksal entscheiden, sondern die Stimmung des Weltganzen in dem Augenblick, da die Seele in das Erdenleben niedersteigt. Dies hat jedoch die Astrologen nicht gehindert, mit dem System in Berührung zu treten, wie zum Beispiel Firmicus Maternus an vielen Stellen zeigt. – Ein Zug ist es (beiläufig bemerkt), der den ungriechischen, wahrhaft barbarischen Ursprung dieser Beschwörungstheorie klar beweist, nämlich das unverhohlene Wohlgefallen an dem Abracadabra fremder, namentlich orientalischer Anrufungen, die man zwar nicht aus Iamblichus, wohl aber anderswoher kennenlernt, und deren sich manche bis in die gegenwärtig kursierende Zauberliteratur fortgeerbt haben. Diese Fremdnamen haben das Vorrecht, nicht bloss weil sie die ältern, oder weil sie unübersetzbar sind, sondern weil sie eine »grosse Emphase« in sich haben, das heisst sehr eindringlich und bezeichnend lauten. Die neuerlich beklagte Kraftlosigkeit mancher Beschwörungen habe keinen andern Grund als den, dass man in griechischer Neuerungssucht an dem altehrwürdigen Ritual geändert habe. »Die Barbaren allein sind ernst von Sitten, beständig in ihren Gebetsformeln und deshalb auch gern erhörte Freunde der Götter429!«
Dieses abgeschmackte System, vielleicht nur von wenigen buchstäblich angenommen, hat doch im ganzen die Philosophie des 4. Jahrhunderts mehr oder weniger beherrscht, und kein gebildeter Heide ist davon völlig unberührt geblieben. Aus dem Leben der Philosophen selbst, wie Eunapius sie schildert, strömt uns der Aberglaube wie ein grauer Qualm entgegen. Iamblichus lässt zum Beispiel seine Schüler in der Meinung, dass er beim Beten zehn Ellen hoch über der Erde schwebe und goldfarbig aussehe; in den warmen Bädern zu Gadara in Syrien ruft er aus den beiden Quellen die Genien Eros und Anteros hervor, die als Knaben, jener mit goldenem, dieser mit dunkelleuchtendem Haar zu grossem Staunen der Schüler und Gefährten erscheinen und sich an ihn anschmiegen, bis er sie wieder in die Quellen zurückschickt. Sein Schüler Aedesius, der die Hexameter vergessen hat, welche ihm ein Gott im Weihetraum vorgesagt, findet sie beim Erwachen in seine linke Hand geschrieben, die er deshalb selber anbetet. Die Philosophin Sosipatra von Ephesus wird von Kindheit an durch zwei Dämonen erzogen, die sich zuerst bei ihrem Vater in Gestalt von Feldarbeitern verdungen hatten; auch ihr ganzes späteres Leben ist durch und durch magisch und divinatorisch bedingt. Andere zum Teil sehr bunte Geschichten übergehen wir. Es versteht sich, dass diese Philosophen keinesweges unter sich einig waren, im Leben so wenig als in der Lehre. Innerhalb