an der Ausfahrt, fand ich genau dort, wo Gärtner Kostas es mir erklärt hatte, das Schild mit dem Hinweis auf die Abfahrt nach Náfplion. Ein alter Mercedes-Benz Bus mit ansehnlichen Chromstoßstangen und -außenspiegeln stand bereits abfahrtbereit daneben. Ein grauhaariger, älterer Herr, tadellos gekleidet, mit Anzughose, weit offenem gestärkten Hemd und Goldkettchen, saß unter dem Haltestellenschild. Vor ihm stapelten sich schätzungsweise fünfzig kleine Pakete und Päckchen; alle gut verschnürt. Ich sah mich um und begriff, dass man hier auch sein Gepäck verschicken konnte, ohne dass man selbst mitfahren musste. Ein geschickter, halbvollständiger Kurierdienst. Der ältere Mann, der scheinbar die Aufgabe eines Paketaufsehers hatte, fragte mich urplötzlich, wohin ich wolle. Als ich ihm mein Ziel nannte, antwortete er: »Setz dich! Wir rufen, wenn es los geht.« Und so hockte ich mich neben ihn auf die schmale Holzbank. Leute kamen, brachten und holten Pakete. Ich bestaunte das muntere Treiben. Eine alte Frau trug hektisch einen kleinen Umschlag heran und redete auf den Paketwart ein. Griechisch, ich verstand kein Wort. Als die Alte sichtlich beruhigt von dannen zog, erklärte mir der Paketwärter, der meinen fragenden Blick gesehen hatte, in gebrochenem Englisch, dass die Tochter der Frau übers Wochenende ans Meer gefahren sei, aber den Schlüssel für das Wochenendhaus vergessen hätte. Er lächelte und sagte: »Jetzt bringt ihn eben die KTEL.« Sie waren stolz auf ihr beliebtes Busunternehmen.
Irgendwann erschien unser Busfahrer und setzte sich mürrischen Blickes hinter das Steuer. Goldene Kreuze baumelten vom Rückspiegel, auf den Ablageflächen standen kleine Miniaturaltare, Heiligenbildchen und Ikonen. Während ich noch, vor so viel Gläubigkeit überrascht, zum Fahrer blickte, erschien kurz darauf ein Gehilfe und öffnete die Kofferraumklappen auf beiden Seiten des Busses. Ein dritter Mann tauchte auf und rief laut: »Náfplio!« Die zahlreichen wartenden Passagiere brachten ihm ihre Taschen, die er eilig in der rechten Seite des Ladefachs verstaute. Ich reihte mich ein und als ich dran war, stockte plötzlich die Verladefreude des KTEL-Mannes. »Argos?«, fragte er mich irritiert. »Náfplio«, sagte ich. Daraufhin bedeutete er mir, dass ich meine Tasche auf der linken Seite einladen lassen müsste. Ordnung muss eben sein! Linksseitig des Busses erwartete mich und einige andere Touristen ein weiterer KTEL-Mann, der die Taschen nach Náfplion verstaute. Dann konnte es endlich losgehen. Beim Einstieg in den Reisebus forderte mich jetzt noch ein Fahrkartenkontrolleur auf, das Ticket vorzuzeigen. Er riss eine Hälfte ab, dann durfte ich im grün-beigefarbenen Gefährt mit den roten Plüschsitzen Platz nehmen. Inzwischen hatte ich natürlich vergessen, dass es zugewiesene Sitzplätze gab. Dies fiel erst auf, als sich der Bus bis fast auf den letzten Platz gefüllt hatte und eine große schwere Frau mit Plastiktüten in den Händen meinen Sitzplatz für sich beanspruchte. Die Frau, von einem langen Einkaufstag gezeichnet, wollte einfach nur noch sitzen und konnte es gar nicht verstehen, dass so ein Jungspund ihren Platz okkupierte. Eine gepflegte Konversation wollte so selbstverständlich nicht entstehen und so begann ein wuseliger Tumult. Denn natürlich war mein mir per Ticket zugewiesener Sitzplatz inzwischen ebenfalls anderweitig besetzt. Der darauf sitzende junge Mann wiederrum fand den seinigen ebenfalls belegt, genauso wie der dort Sitzende seinen und so weiter … Ein Tohuwabohu an dessen Ende scheinbar alle Insassen, bis auf die Frau mit den Tüten, auf einem anderen Polster saßen. Ein weiterer KTEL-Mitarbeiter stieg nun zu und gab das Signal zur Abfahrt: »Φύγε!« (Fíge! – Gehe!) Mit einigen Minuten Verspätung und noch offen stehender vorderer Einstiegstür fuhren wir, nachdem sich der Fahrer vor einem seiner Heiligenbilder dreimal bekreuzigt hatte, schließlich ab, und nach nur wenigen Minuten steckte der Bus auf der stadtauswärts führenden Straße in Richtung Korinth in einem hupenden und abgasgeschwängerten Stau. Es war heiß und stickig. Eine Klimaanlage hatte der alte Reisebus deutscher Bauart nicht. Dafür ließen sich die kleinen Schiebefenster öffnen und heißer Fahrt-, aber meistens staubedingter Standwind, sorgte für eine winzige Erfrischung. Als wir nach über dreistündiger Fahrt endlich im 120 Kilometer entfernten Argos ankamen, wurde mir klar, warum das Reisegepäck links und rechts getrennt im Bus untergebracht wurde. Die enge Straße vor dem Busbahnhof in Argos war gerade einmal breit genug, damit die Ladeluke an der rechten Seite zum Bürgersteig hin geöffnet werden konnte. Jetzt musste alles schnell gehen, denn der Gegenverkehr kam nicht am Bus vorbei. Gehetzt sprangen diejenigen, die ihr Reiseziel erreicht hatten, raus, dann ging es auch schon weiter. Kurz darauf erreichten wir Náfplion, die Endhaltestelle. Dort war der Bus nach Toló leicht zu finden, doch ich musste eine weitere halbe Stunde auf seine Abfahrt warten. Doch schließlich gelang mir auch das und am späten Nachmittag stieg ich auf der Sekeri-Straße gegenüber der alten Bäckerei aus. Ich war endlich wieder in Toló. Die letzten Meter die Straße hinab bis zur Taverne von Perikles waren nur noch ein Katzensprung und die Begrüßung dort euphorisch. An diesem Abend schlief ich früh und tief und fest.
Tiropitákia Τυϱοπιτάκια
Zutaten:
500 g Blätterteig, 200 g zerbröckelter Feta, 100 g Joghurt, 2 Eier, 2 EL zerlassene Butter, 1 Eigelb zum bepinseln der Oberfläche
Zubereitung:
Blätterteig auftauen. In einer Schüssel Eier mit einer Gabel verquirlen, Feta, Joghurt und Butter untermischen. Blätterteig dünn ausrollen und mit Hilfe einer Tasse oder eines Glases Kreise von ca. 8 – 10 cm ausstecken. Jedes Stück Blätterteig mit einem Löffel Fetamasse füllen, die Enden falten, mit einer Gabel festdrücken und so Halbmonde formen. Die Halbmonde auf ein mit Backpapier belegtes Blech setzen und mit Eigelb bepinseln. Im vorgeheizten Ofen bei 200 °C für ca. 30 – 35 min fertigbacken.
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KLEINE FISCHE, GROßE FISCHE – MIT TINTE UND OHNE
Der todesmutige Comic-Kalmar
Im Sommer 1994 hatte ich viel Zeit in Toló. Ich war alleine zu Perikles und seiner Familie gereist, um meinen Jahresurlaub bei ihnen zu verbringen. Perikles schuftete rund um die Uhr in der Taverne, das Geschäft boomte und viele Touristen besuchten gerade zum Ende des Hochsommers die Peloponnes. Stefan hatte im Jahr zuvor eine kleine Segeljolle mit nach Toló gebracht, die ich nun täglich mehrere Stunden ausfuhr. Im Laufe des Vormittags nahmen die Winde regelmäßig zu, so dass die kleine Mayflower-Jolle zügig über die lange Bucht von Toló dahinglitt. Ich segelte und segelte. Einfach nur am Strand entlang, um die kleine Insel Koroníssi oder, wenn es nicht zu windig war, auch mal in einem längeren Schlag um die größere Insel Rómvi herum. In diesem Jahr perfektionierte ich das Einhandsegeln. Ich hatte Blasen an den Händen vom vielen Zerren an der Schot, doch das störte mich nicht. Es war einfach ein unbeschreibliches Gefühl, mit dem Rücken zur Küste auf der Bordwand sitzend, sich langsam nach hinten zu lehnen, kopfüber Toló an sich vorbeirauschen zu sehen und dann, wenn der Kopf nur noch knapp über der Wasseroberfläche bereits von der Gischt gestreift wird, sich vollends hinauszulehnen. Der Moment, an dem der Kopf ruckartig ins Meer eintaucht, beschert die perfekte Erfrischung. Unbeschreiblich! In diesem Jahr lernte ich Vangelis aus Toló kennen. Auch er besaß eine kleine Segeljolle, war in etwa mein Alter und wohnte ganz in der Nähe der Tavérna »To Néon«. Fast täglich fuhr ich gegen ihn kleine Regatten vom Strand bis zur Insel Rómvi und zurück. Immer wieder, hin und her. Wir wurden zu guten Freunden, der Wind, Vangelis und ich.
Während der Meltémi, der Sommerwind, um die Mittagszeit und am Nachmittag oftmals recht kräftig wurde, ließ er später regelmäßig deutlich nach. Am frühen Abend – oder späten Nachmittag, wie die Griechen diese Zeit nennen – kam dann die Zeit der Angler. Junge Burschen aus Toló angelten vom Strand oder von Tretbooten aus, Touristen versuchten es von den Bootsanlegern oder am Hafen. Da ich in meiner viel zu schweren Reisetasche auch eine kleine Angel und ein wenig Zubehör mitgeschleppt hatte, wollte ich natürlich auch versuchen, den einen oder anderen Fisch an den Haken zu locken. Perikles gab mir ein paar Tipps, wie ich mit wenig Aufwand erfolgreich sein würde. Ich sollte es vom Boot versuchen, als Köder schlug er Kalamaristücke vor und am besten würde ich einfach nur mit Schnur und Haken angeln. So saß ich wenig später in der Segeljolle und lies mich von der nachlassenden Brise des Meltémi hinaus aufs Meer schieben. An einer alten Boje legte ich an. Wie oft waren Vangelis und ich an dieser während einer unserer unzähligen Regatten vorbeigesegelt. Jetzt lag ich an ihr vor Anker. Das Segel flatterte nur noch zaghaft