Andreas Deffner

Heimathafen Hellas


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Geschichten und meiner Erlebnisse von 1993 bis 2014 finden sich auf den folgenden Seiten. Die Kapitel zu diesem Buch entstanden in den Jahren 2013 bis 2014. Aus der Erinnerung aufgeschrieben, aber die Geschichten noch so präsent, als wären sie erst gestern geschehen. Die Geschehnisse haben sich tatsächlich zugetragen, auch wenn ich vielleicht an der einen oder anderen Stelle zur besseren Verständlichkeit leicht abgewichen bin. Die Zitate sind nach bestem Wissen und Gewissen wiedergegeben, soweit mir dies nach der langen Zeit möglich war.

      Meine Griechenlandleidenschaft begann im Sommer 1993. Damals reiste ich mit meinem Freund »Finne« das erste Mal nach Hellas. Wir nahmen das Auto und von Italien die Fähre. Und genau so will ich Sie jetzt auch mitnehmen nach Toló, in das kleine Fischerdorf, das nach all den Jahren zu meiner zweiten Heimat geworden ist.

      Steigen Sie ein, schalten Sie die Klimaanlage an und lassen Sie sich mitnehmen auf eine lange, lange Reise …

      Andreas Deffner,

      Januar 2015

       1

       MIT DEM FORD NACH GRIECHENLAND

       Ein schweißtreibendes Abenteuer quer durch Europa

      Sommer 1993. Der graublaue Ford Escort Diesel war gemütlich beladen, als wir uns auf den Weg machten. Meinen Freund Finne, der eigentlich wie ich Andreas mit Vornamen heißt, holte ich auf dem Weg zur Autobahn in Kirchhellen ab. Von dem kleinen Dorf am Rande des Münsterlandes aus, lagen jetzt noch genau 2.587 Kilometer vor uns. Die Anzahl der Musikkassetten auf den Ablageflächen des Ford versprach jedoch eine kurzweilige Reise. Von allem war etwas dabei. Eine Kassette mit bunter Gute-Laune-Musik, die Best-of-Hits des Frühjahrs ’93, REM, U2, Fury in the Slaughterhouse, Fischer-Z und viele andere. Eine alte, mehrfach überspielte Kassette stellte jedoch alles andere in den Schatten. Der Radio-Livemitschnitt eines Helge-Schneider-Konzerts, das der WDR kurz vor unserer Abfahrt gesendet hatte. Das Band wurde unsere Lieblingsunterhaltung. Wir hörten es stundenlang, immer wieder, und irgendwann hatten wir Angst, dass das alte Tape sich auflösen könnte. Doch es hielt. Wir liebten das Absurde. Aus den Lautsprechern drang wieder und wieder Helge Schneiders verzerrte Stimme. Ich glaube, wir konnten damals die komplette Aufnahme mitsprechen. Kleine Kostprobe?

      »Aus weißem Porzellan ist mein Gesicht. Doch wer wirklich unter der Gummiglatze schwitzt, interessiert kein Mensch. Mit dickem, rotem Lippenstift ist mir ein lustiger Clownsmund gemalt, ungefähr so groß wie Leber. Und auch die Schuhe. Riesengroße Schuhe. Schuhgröße 100, 1.000 sogar. Doch müssen die Schuhe wirklich so groß sein? Zwei ganze Kühe mussten dafür verreisen. Eine längere Reise antreten, und sich dann selbst vernähen.«

      In Italien würden wir die Fähre nach Griechenland nehmen. Wie oft man bis dort wohl Helge Schneider hören könnte? Bis zum Hafen von Ancona lagen gut 1.400 Kilometer vor uns. Die Kassette lief schon, bevor wir auf die Autobahn auffuhren. Es war ein heißer Sommertag, als ich den Ford Escort auf die A2 lenkte. In kurzen Hosen und T-Shirts saßen wir in dem Kleinwagen, der damals üblicherweise von Rentnern gefahren wurde. Meiner war Baujahr 1986. Natürlich ohne Klimaanlage. Das hatten damals nur die wirklich teuren Autos. Am Autobahnkreuz Breitscheid taten uns vom Mitlachen mit Helge Schneider die Bauchmuskeln weh und spätestens am Kreuz Köln-West waren die ersten T-Shirts durchgeschwitzt. Was für ein Sommer! Ich hatte erst vor wenigen Wochen mein Abitur bestanden und Finne, der ein Jahr nach mir seine Reifeprüfung ablegen sollte, hatte gerade den Beginn seiner letzten Sommerferien gefeiert. Grund genug also für eine fröhliche Urlaubsreise. Während jedoch die meisten unserer Freunde Pauschalurlaub auf Mallorca, ein Ferienhaus in Frankreich oder Camping an der Nordsee gebucht hatten, bevorzugten wir eine Variante, die den meisten anderen verrückt vorkam.

      Wir kannten unser Ziel, zumindest ungefähr, und wir hatten ein Fährticket Italien-Griechenland. Bis zum Hafen in Italien würden wir es Dank des exklusiven Kartenmaterials des ADAC sicher schaffen, doch was würde uns in Griechenland erwarten? Von unserem Lehrer Stefan Geyr hatten wir die Wegbeschreibung ab dem Hafen von Patras dabei. Ein kleines Stück Papier, auf dem ich sicherheitshalber notiert hatte, was er mir vor seiner Abreise erzählt hatte – er würde uns mit seiner Familie in Toló erwarten. Bei seinem Freund Perikles habe er ein Doppelzimmer für uns reserviert. Stefan war bis zum Abitur mein Leistungskurslehrer Kunst gewesen. Wir »Künstler« waren freundschaftlich miteinander verbandelt, wir duzten uns mit unserem Lehrer und einige wenige pflegten sogar eine private Freundschaft. Ebenso ich, und dementsprechend verließ ich mich gutgläubig auf Stefans Reiseroute. Die Wegbeschreibung auf meinem Zettel:

      »Nationalstraße Patras-Korinth

      Von Korinth über die Landstraße (E95) Richtung Argós

      Von Argos nach Náfplion

      Von Náfplion nach Toló

      In Toló am Hafen parken und am Strand entlanggehen, bis zur Taverne von Perikles«

      Finne runzelte die Stirn, als er diesen Zettel sah.

      »Und du meinst, wir finden die da?«

      »Stefan hat zu mir gesagt, wir sollen einfach am Strand entlang gehen, dann würden wir sie schon sehen. Sie würden den ganzen Tag im Schatten auf der Terrasse dieser Taverne sitzen oder im Meer direkt davor baden«, antwortete ich. »Ach ja, und Stefan sagt, falls wir sie nicht finden, sollen wir einfach irgendwen nach Perikles fragen. Den kennen angeblich alle da in Toló.«

      »Dann kann ja nix mehr schief gehen!«

      Und zur Abwechslung schob Finne eine andere Kassette in das Autoradio. Haddaway trällerte uns seinen Sommerhit entgegen und unsere gute Laune stieg noch weiter. Wir müssen wirklich verrückt gewesen sein. Damals.

      Mit gemütlicher Geschwindigkeit, Haddaway und Helge Schneider hörend, fuhren wir zunächst in Richtung Schweiz. Der Escort verbrauchte erfreulich wenig Sprit und schonte so unsere schmale Urlaubskasse. Der kleine Dieselmotor mit seinen 54 PS kam mit 4,5 Litern auf 100 Kilometern aus. Bald schon würden wir Italien erreichen. Die Stimmung stieg stetig. Vor dem – immerhin siebzehn Kilometer langen – Gotthardtunnel war das Wetter so grandios, dass wir kurzerhand beschlossen den Tunnel zu »umfahren«. Zeit hatten wir genug, der Tank war noch ordentlich mit Diesel versorgt, so dass wir die Einfahrt in die Tunnelröhre verweigerten und stattdessen den Wagen auf die Passstraße lenkten. Die eindrucksvolle Alpenlandschaft faszinierte uns fast so sehr wie die Kassette, die wieder einmal Helge Schneider spielte. Erst spät bemerkten wir, dass der stetige Anstieg zum Gotthard-Pass den Escort durstiger gemacht hatte als es auf gleicher, ebener Strecke üblich war. Die Tankanzeige fiel bedrohlich schnell. Wir hielten Ausschau nach einer Tankstelle. Kilometer um Kilometer. Nichts! Bereits vor Erreichen des Passes hatte der Motor in manchen Kurven Aussetzer. Bergab wurden diese erst seltener, bevor sie irgendwann regelmäßiger wiederkehrten. Erstaunlich, wie sparsam der Diesel dann bergab fuhr. Ewigkeiten schon schien die Tanknadel »leer« anzuzeigen, und doch erreichten wir am Fuße des Berges kurz hinter dem Gotthardtunnel wieder die Autobahn. Das erste, das uns ins Auge stach, war ein Hinweisschild auf die nächste Raststätte mit Tankstelle. Und genau unter diesem Schild kam der Escort dann nach langer Stotterfahrt zum finalen Stehen. Absolute Leere im Tank. Ausgesaugt bis auf den letzten Tropfen. Ausgequetscht wie ein Pickel. So entleert, wie wahrscheinlich weltweit noch nie ein Tank gewesen war. Vakuumiert. In diesem Moment musste ich an die Worte meines Vaters denken, als er mir den gebrauchten Escort gekauft hatte: »Fahr einen Diesel niemals ganz leer. Dann muss der Tank entlüftet werden. Das ist super-aufwendig und kostet ’ne Menge.« Sollte unsere Griechenlandreise schon in der Schweiz beendet sein?

      Da es damals noch keine Mobiltelefone gab – zumindest hatten wir noch keine – marschierten wir zur nächsten Notrufsäule. Die freundlichen Helfer vom Schweizer Automobilclub versprachen, umgehend einen Wagen zu schicken. So warteten wir – zunächst noch entspannt – auf die gelben Engel des Alpenlandes. Nach weit über einer Stunde warteten wir immer noch, und langsam half auch die Helge-Schneider Kassette nicht mehr, die gute Laune aufrecht zu erhalten. Nach einem weiteren Kontakt über die Notrufsäule versicherte man uns, dass die Hilfe nun sehr bald eintreffen würde. Über zwei Stunden später war es dann tatsächlich soweit. Jetzt