Оноре де Бальзак

Eine dunkle Geschichte


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bei den Jagden des großen Marquis gewesen. So nämlich nannte man in der Familie den Erbauer von Gondreville. Seit 1789 wohnte Michu auf diesem Rondel in dem sogenannten Pavillon von Cinq-Cygne, der innerhalb des Parks lag und zur Zeit Ludwigs XIV. erbaut war. Das Dorf Cinq-Cygne liegt am Rande des Waldes von Nodesme (aus Notre-Dame verstümmelt), zu dem die Allee mit den vier Ulmenreihen führt, in der Couraut die Spione witterte. Seit dem Tode des großen Marquis war der Pavillon ganz vernachlässigt worden. Der Vizeadmiral war mehr auf See und bei Hofe als in der Champagne, und sein Sohn gab Michu das verfallene Gebäude zur Wohnung. Der edle Bau ist aus Ziegeln, an den Ecken, Türen und Fenstern aus gerillten Steinen. Beiderseits öffnet sich ein Gitter von schöner Schmiedearbeit, aber vom Rost zerfressen. Dahinter erstreckt sich ein breiter und tiefer Zwinger, aus dem kräftige Bäume hervorwachsen und dessen Brüstung mit eisernen Arabesken gespickt ist, die den Missetätern mit zahllosen Spitzen entgegenstarren. Die Parkmauern beginnen erst jenseits des von dem Rondel gebildeten Kreises. Außerhalb wird das mächtige Halbrund von Böschungen umrahmt, die mit Ulmen bestanden sind, und ebenso wird der im Park liegende Halbkreis von Gruppen exotischer Bäume eingefasst. In der Mitte des Rondels, das diese beiden Hufeisen bilden, liegt der Pavillon. Michu hatte aus den alten Sälen im Erdgeschoß einen Pferde- und Kuhstall, eine Küche und einen Holzschuppen gemacht. Von der alten Pracht blieb als einziger Rest ein Vorzimmer mit schwarzen und weißen Marmorfliesen, das man vom Park her durch eine jener Fenstertüren mit kleinen Glasscheiben betrat, wie man sie noch in Versailles sah, bevor Louis Philippe es zum Lazarett der Ruhmestaten Frankreichs gemacht hat. Im Innern wird der Pavillon durch eine charaktervolle, aber alte und wurmstichige Holztreppe geteilt, die zum Oberstock führt. Hier liegen fünf ziemlich niedrige Zimmer. Darüber dehnt sich ein riesiger Boden. Das ehrwürdige Gebäude trägt eines jener großen, vierseitigen Dächer, dessen First zwei bleierne Blumensträuße zieren und das von vier Dachluken durchbrochen wird, wie Mansard sie mit Recht liebte; denn Halbgeschosse und flache italienische Dächer sind in Frankreich ein Widersinn, gegen den das Klima sich auflehnt. Dort oben brachte Michu seine Futtervorräte unter. Der ganze Teil des Parkes um diesen alten Pavillon ist in englischem Stil angelegt. Hundert Schritt weiter bekundet ein früherer See, der zu einem fischreichen Teiche geworden ist, sein Dasein durch einen leichten Nebel über den Bäumen, sowie durch das Geschrei von tausend Fröschen, Kröten und andren Amphibien, die bei Sonnenuntergang quaken. Die Altertümlichkeit der Dinge, die tiefe Waldesstille, der Blick durch die Alleen, der Wald in der Ferne, tausend Einzelheiten, die rostzerfressenen Gitter, die bemoosten Steinmassen, alles macht diesen noch jetzt stehenden Bau poetisch. In dem Augenblick, in dem unsre Geschichte beginnt, stand Michu gegen eine bemooste Brüstung gelehnt, auf der sein Pulverhorn, seine Mütze, sein Taschentuch, ein Schraubenzieher, Lappen, kurz, alle Geräte lagen, die zu seiner verdächtigen Arbeit nötig waren. Der Stuhl seiner Frau stand mit dem Rücken gegen die Eingangstür des Pavillons, über der noch das reich gemeißelte Wappen der Simeuses mit dem schönen Wahlspruch »Si meurs« prangte. Die Mutter, in Bauerntracht, hatte ihren Stuhl vor Frau Michu gerückt, damit sie die Füße auf eine Leiste setzen konnte, damit sie vor der Feuchtigkeit geschützt waren.

      »Ist der Junge da?« fragte Michu seine Frau.

      »Er treibt sich am Teich herum. Er ist wild auf Frösche und Insekten«, sagte die Mutter.

      Michu pfiff, dass man einen Schreck bekommen konnte. Die Schnelligkeit, mit der der Knabe herbeilief, verriet, welche Strenge der Verwalter von Gondreville übte. Seit 1789, besonders aber seit 1793 war er fast Herr auf diesem Landgut. Der Schrecken, den er seiner Frau, seiner Schwiegermutter, seinem kleinen Diener mit Namen Gaucher und einer Magd namens Marianne einflößte, wurde auf zehn Meilen in der Runde geteilt. Vielleicht dürfen wir nicht länger zögern, die Gründe für diese Gesinnung anzugeben, zumal sie Michus Bildnis in geistiger Hinsicht vervollständigen werden.

      Der alte Marquis von Simeuse hatte seine Güter 1790 verlassen. Da ihm jedoch die Ereignisse zuvorkamen, hatte er sein schönes Gut Gondreville niemandem mehr anvertrauen können. Unter der Anklage, mit dem Herzog von Braunschweig und dem Prinzen von Coburg in Beziehungen zu stehen, wurden der Marquis und seine Gemahlin eingekerkert und von dem Revolutionstribunal in Troyes, dessen Vorsitz Marthas Vater führte, zum Tode verurteilt. Der schöne Besitz wurde also als Nationalgut verkauft. Bei der Hinrichtung des Marquis und der Marquise bemerkte man mit einer Art von Grauen den Verwalter von Gondreville, der Vorsitzender des Jakobinerklubs von Arcis geworden und eigens nach Troyes gekommen war, um ihr beizuwohnen. Als Sohn eines einfachen Bauern und als Waisenkind war Michu von der Marquise mit Wohltaten überhäuft worden, denn sie hatte ihn im Schlosse erziehen lassen und ihn dann zum Generalverwalter gemacht. So wurde er von den Heißspornen als Brutus angesehen, aber in der Gegend wollte nach diesem Zuge des Undanks niemand mehr mit ihm verkehren. Der Käufer war ein Mann aus Arcis, namens Marion, der Enkel eines Verwalters des Hauses Simeuse. Dieser Mann, der vor und nach der Revolution Advokat war, fürchtete den Verwalter. Er ließ ihn in seiner Stellung und gab ihm dreitausend Franken Gehalt und Anteil an allen Verkäufen. Michu, der bereits auf etwa zehntausend Franken Vermögen geschätzt wurde, heiratete unter dem Schutz seines Rufes als Patriot die Tochter eines Gerbers aus Troyes, des Apostels der Revolution in dieser Stadt und Vorsitzenden des Revolutionstribunals. Der Gerber, ein Mann von Überzeugung, der im Charakter dem Saint-Just glich, wurde später in die Verschwörung Babeufs verwickelt und beging Selbstmord, um sich der Verurteilung zu entziehen. Martha war das schönste Mädchen in Troyes, und so war sie trotz ihrer rührenden Bescheidenheit von ihrem furchtbaren Vater gezwungen worden, bei einer republikanischen Feier die Freiheitsgöttin darzustellen.

      Der Käufer kam in sieben Jahren nicht dreimal nach Gondreville. Sein Großvater war Verwalter der Simeuses gewesen; ganz Arcis glaubte damals, dass der Bürger Marion nur der Platzhalter der Herren von Simeuse sei. Während der Schreckenszeit erfreute sich der Verwalter von Gondreville als treuer Patriot, als Schwiegersohn des Vorsitzenden des Revolutionstribunals in Troyes und als Liebling Malins, eines Abgeordneten des Departements Aube, eines gewissen Ansehens. Als aber die Bergpartei fiel und sein Schwiegervater Selbstmord beging, wurde Michu zum Sündenbock. Jedermann beeilte sich, ihm wie seinem Schwiegervater Handlungen zuzuschreiben, an denen wenigstens er ganz unschuldig war. Der Verwalter bäumte sich gegen die Ungerechtigkeit der Masse auf; er wurde schroff und nahm eine feindselige Haltung an. Seine Worte wurden verwegen. Aber seit dem 18. Brumaire hüllte er sich in das tiefe Schweigen, das die Philosophie der Starken ist. Er kämpfte nicht mehr gegen die allgemeine Meinung an und begnügte sich, zu handeln. Dies kluge Benehmen brachte ihn in den Ruf der Heimtücke, denn der Wert seines Landbesitzes betrug gegen hunderttausend Franken. Zunächst gab er nichts aus; dann hatte er dies Vermögen rechtmäßig erworben, sowohl durch die Erbschaft seines Schwiegervaters, wie durch die sechstausend Franken, die er jährlich für seine Stellung an Gehalt und Gewinnanteil bezog. Obwohl er seit zwölf Jahren Verwalter war und jeder ihm seine Ersparnisse nachrechnen konnte, erhoben sich Anklagen gegen den früheren Anhänger der Bergpartei, als er zu Beginn des Konsulats ein Pachtgut für fünfzigtausend Franken erstand. Die Leute in Arcis schoben ihm die Absicht unter, sich durch ein großes Vermögen die Achtung wieder zu gewinnen. Unglückerlicherweise wurde in dein Augenblick, da jedermann ihn vergaß, der allgemeine Glaube an die Wildheit seines Charakters von neuem belebt, und zwar durch eine dumme Geschichte, die durch den Landklatsch noch schlimmer gemacht wurde.

      Eines Abends, bei der Rückkehr aus Troyes, ließ er in Gesellschaft einiger Bauern, darunter des Pächters von Cinq-Cygne, ein Papier auf die Straße fallen, und der Pächter, der hinterdrein ging, hob es auf. Michu dreht sich um, sieht das Papier in den Händen des Mannes, zieht sofort eine Pistole aus seinem Gürtel, lädt sie und droht dem Pächter, der lesen konnte, ihn niederzuschießen, wenn er das Blatt öffnete. Michus Bewegung war so rasch und so heftig, der Ton seiner Stimme so drohend, und seine Augen flammten so auf, dass alle vor Angst erstarrten. Der Pächter von Cinq-Cygne war natürlich Michus Feind. Fräulein von Cinq-Cygne, die Kusine der Simeuses, besaß von ihrem ganzen Vermögen nur noch einen Pachthof und wohnte in ihrem Schloss Cinq-Cygne. Sie lebte nur noch für ihre Vettern, ein paar Zwillinge, mit denen sie in ihrer Kindheit in Troyes und in Gondreville gespielt hatte. Ihr einziger Bruder, Julius von Cinq-Cygne, war schon vor den Simeuses ausgewandert und vor Mainz gefallen. Aber dank einem ziemlich seltenen Vorrecht, von dem noch die Rede sein wird, erlosch der Name Cinq-Cygne nicht, auch wenn keine männlichen Erben mehr am Leben waren.

      Der