»Ich sehe seinen roten Bart.«
»Wir wollen nicht so tun, als hätten wir Angst«, fuhr Malin fort und ging langsam weiter, während er mehrmals sagte:
»Was hat der Mann gegen die Käufer dieses Landgutes? Auf dich hatte er es gewiss nicht abgesehen. Wenn er uns gehört hat, muss ich ihn ins Gebet nehmen. Wir hätten lieber in die Ebene gehen sollen.«
»Man lernt nie aus«, versetzte der Notar. »Aber er war weit ab, und wir haben uns nur ins Ohr gesprochen.«
»Ich will Corentin zwei Worte darüber sagen«, entgegnete Malin.
Kurz darauf kehrte Michu heim, bleich und mit verzerrten Zügen.
»Was ist dir?« fragte seine Frau entsetzt.
»Nichts,« entgegnete er, als er Violette erblickte, dessen Anwesenheit ihn wie ein Blitzstrahl traf. Michu nahm einen Stuhl, setzte sich ruhig ans Feuer und warf einen Brief hinein, den er aus einer jener Blechröhren genommen hatte, die die Soldaten zum Aufheben ihrer Papiere benutzen. Bei diesem Vorgang atmete Martha wie von Zentnerlast befreit auf, und Violette wurde sehr neugierig. Der Verwalter legte seine Büchse mit bewundernswerter Kaltblütigkeit auf den Kaminmantel. Marianne und Marthas Mutter spannen beim Licht einer Lampe.
»Vorwärts, Franz, zu Bett!« sagte der Vater. »Willst du wohl in die Klappe!«
Damit fasste er seinen Sohn grob um die Hüften und trug ihn hinaus.
»Geh in den Keller hinunter,« sagte er ihm auf der Treppe ins Ohr, »nimm zwei Flaschen Macon, gieße ein Drittel des Inhalts aus und fülle sie mit dem Kognak nach, der auf dem Flaschenbrett steht. Dann mische eine Flasche Weißwein zur Hälfte mit Kognak. Mach das geschickt und stelle die drei Flaschen auf das leere Fass am Kellereingang. Wenn ich das Fenster öffne, verlässt du den Keller, sattelst mein Pferd, setzt dich drauf und erwartest mich am Bettlerpfahl.«
»Der kleine Schlingel will nie zu Bett gehen«, sagte der Verwalter, als er zurückkam. »Er will es machen wie die Erwachsenen, alles sehen, alles hören, alles wissen. Sie verderben mir meine Leute, Herr Violette.«
»Mein Gott! Mein Gott!« rief Violette, »wer hat Ihnen denn die Zunge gelöst? So viel haben Sie noch nie gesprochen.«
»Meinen Sie, ich ließe mich ausspionieren, ohne es zu merken? Sie stehen nicht auf der richtigen Seite, alter Violette. Wenn Sie, statt denen zu dienen, die mir schaden wollen, für mich wären, so täte ich noch mehr für Sie, als Ihre Pacht zu verlängern. ..«
»Was noch?« fragte der habgierige Bauer und riss die Augen weit auf.
»Ich würde Ihnen billig meinen Besitz verkaufen.«
»Billig ist nichts, wenn man bezahlen muss«, sagte Violette spitz.
»Ich will die Gegend verlassen und ich gebe Ihnen meinen Pachthof Le Mousseau mit Gebäuden, Saatkorn, Vieh für fünfzigtausend Franken.«
»Wirklich?«
»Ist's Ihnen recht so?«
»Das wäre zu überlegen.«
»Wir wollen darüber reden ... Aber ich verlange eine Anzahlung.«
»Ich habe nichts.«
»Ein Wort.«
»Auch das noch!...«
»Sagen Sie mir, wer Sie hergeschickt hat!«
»Ich kam von da zurück, wo ich vorhin war, und ich wollte Ihnen kurz guten Abend sagen.«
»Du kamst zurück – ohne dein Pferd? Hältst du mich für einen Tropf? Du lügst, du kriegst meinen Pachthof nicht.«
»Na also, es war Herr Grévin. Er sagte zu mir: ›Violette, wir brauchen Michu. Geh ihn holen. Ist er nicht da, so warte auf ihn ...‹ Ich begriff, dass ich heute Abend hier bleiben sollte ...«
»Waren die Pariser Schnapphähne noch auf dem Schloss?«
»Ach, ich weiß nicht recht, aber es waren Leute im Salon.«
»Du sollst meinen Pachthof haben. Machen wir das weitere aus. Frau, geh und hole den Vertragswein. Nimm vom besten Roussillon, dem Wein des früheren Marquis ... Wir sind keine Kinder. Du findest zwei Flaschen davon auf dem leeren Fass am Eingang und eine Flasche Weißwein.«
»Famos«, sagte Violette, der sich nie betrank.
»Trinken wir!«
»Sie haben fünfzigtausend Franken unter den Fliesen Ihres Schlafzimmers, soweit wie das Bett reicht. Die geben Sie mir vierzehn Tage, nachdem der Vertrag bei Grévin abgeschlossen ist.. .«
Violette blickte Michu starr an und wurde kreidebleich.
»Ha, du willst einen alten Jakobiner ausschnüffeln, der die Ehre hatte, Vorsitzender des Klubs in Arcis zu sein, und du meinst, er wird's nicht merken? Ich habe Augen im Kopf, ich habe gesehen, dass deine Fliesen frisch ausgegipst sind, und daraus zog ich den Schluss, dass du sie nicht aufgehoben hast, um Getreide zu säen ... Prosit!«
Verwirrt trank Violette ein großes Glas Wein, ohne auf die Sorte zu achten. Der Schrecken hatte ihm gleichsam ein glühendes Eisen in den Bauch gestoßen; der Geiz verbrannte dort den Branntwein. Er hätte viel darum gegeben, zu Hause sein zu können, um seinen Schatz anderswo zu verbergen. Die drei Frauen lächelten.
»Ist's Ihnen recht so?« fragte Michu ihn und füllte sein Glas nochmals.
»Gewiss.«
»Dann hast du eine eigne Scholle, alter Halunke!«
Nach einer halben Stunde lebhafter Erörterungen über den Zeitpunkt der Besitzübernahme und die tausend Spitzfindigkeiten, unter denen die Bauern ihre Geschäfte abschließen, unter Beteuerungen, geleerten Weingläsern, Worten voller Versprechungen und Ableugnungen, – unter Ausrufen wie »Nicht möglich!« »Wahrhaftig!« »Mein Wort darauf!« »Was ich dir sage«, »Man soll mir den Hals abschneiden, wenn ...«, »Dies Glas Wein soll zu Gift werden, wenn ich nicht die reine Wahrheit sage ...« fiel Violette mit dem Kopf auf den Tisch, nicht berauscht, sondern völlig betrunken. Sobald Michu merkte, dass seine Augen sich trübten, öffnete er das Fenster.
»Wo ist der Schlingel, der Gaucher?« fragte er seine Frau.
»Zu Bett.«
»Du, Marianne,« sagte der Verwalter zu seiner treuen Magd, »geh und stell dich vor seine Tür und bewache ihn. – Du, Mutter, bleibst unten und bewachst mir den Spion da. Sei auf der Hut und öffne nur, wenn Franz ruft. Es geht um Tod und Leben!« setzte er mit tiefer Stimme hinzu. »Für alle, die unter meinem Dach wohnen, habe ich mein Haus heute Nacht nicht verlassen: das werdet Ihr auch mit dem Kopf unter dem Fallbeil aussagen. – Geh,« sagte er zu seiner Frau, »geh, Mutter, zieh deine Schuhe an, setze deine Haube auf und zieh ab. Keine Fragen, ich begleite dich.«
Seit dreiviertel Stunden hatte dieser Mann in Blick und Gebärde einen despotischen, unwiderstehlichen Willen, der aus der gemeinsamen, unbekannten Quelle kommt, aus der sowohl die großen Heerführer schöpfen, die auf dem Schlachtfeld die Massen entflammen, wie die großen Redner, die die Versammlungen fortreißen, aber auch, das muss gesagt werden, die großen Verbrecher bei ihren kühnen Streichen. Es ist dann, als ströme vom Kopf ein unbezwinglicher Einfluss aus, dessen Träger das Wort ist, als flöße die Gebärde anderen den Willen des Einen ein. Die drei Frauen wussten sich in einer furchtbaren Krise. Ohne dass es ihnen gesagt worden wäre, ahnten sie es an der Raschheit der Handlungen dieses Mannes, dessen Gesicht funkelte, dessen Stirn redete, dessen Augen wie Sterne glänzten. Mehrmals hatten sie den Schweiß an seinen Haarwurzeln gesehen, mehrmals hatten seine Worte vor Ungeduld und Wut gebebt: Und so gehorchte Martha denn willenlos. Bis an die Zähne bewaffnet, die Flinte über der Schulter, sprang Michu in den Baumgang, von seiner Frau gefolgt, und rasch erreichten sie den Kreuzweg, wo Franz sich im Gestrüpp versteckt hatte.
»Der Kleine hat Verstand«, sagte Michu, als er ihn sah.
Es war sein erstes Wort. Seine Frau und er waren bis dahin gelaufen, ohne ein Wort sprechen zu können.