Malu Halasa

Mutter aller Schweine


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      Malu Halasa

       Mutter aller Schweine

      Roman

       Aus dem Englischen von Sabine Wolf

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       Für Andy

       Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Kapitel 15

       Kapitel 16

       Kapitel 17

       Kapitel 18

       Kapitel 19

       Kapitel 20

       Kapitel 21

       Kapitel 22

       Kapitel 23

       Kapitel 24

       Kapitel 25

       Kapitel 26

       Kapitel 27

       DANK

       1

      Die Enttäuschung brennt wie Steppe. Sie riecht nach alten Socken und durchsickert die Spalten und Risse des neuen Hauses. Der Geruch, vertraut und immer gleich, begrüßt Hussein jeden Morgen. Ähnlich beharrlich ist die dumpfe Schwere in seinem Kopf – heute das Ergebnis von zu viel Johnnie Walker Red beim Begrüßungsessen für seine amerikanische Nichte Muna am Abend zuvor. Sie ist zum ersten Mal im Heimatland ihres Vaters, und Hussein dachte, er heitere die Stimmung des Familientreffens auf, aber tatsächlich hat er sich einfach egoistisch betrunken. Während er sich langsam anzieht, hofft er, dass sich der Nebel in seinem Kopf auflösen wird, sobald er sich Wasser ins Gesicht spritzt. Doch als er am Waschbecken im Badezimmer den Hahn aufdreht, kommt kein einziger Tropfen heraus. Da erinnert er sich an die leeren, quietschenden Wassertanks auf dem Dach. Der Wasserlaster ist schon drei Wochen zu spät. Fast mehr vom Geruch geführt, tastet er nach den Kanistern, die seine Stiefmutter gewöhnlich für solche Anlässe bereitstellt. Geht das Leitungswasser zur Neige, füllt Mutter Fadhma Gefäße an der öffentlichen Zisterne der Stadt. Sie ist bei so schlechter Gesundheit, dass sie die Behälter mit dem Taxi nach Hause transportiert. Weil Hussein zu faul zum Helfen ist, beschwert er sich nie über die Kosten.

      Das Wasser schmeckt bleiern, so elementar wie der Geruch beim Aufwachen. Derselbe Geschmack durchzieht das Glas Tee, das auf dem Küchentisch für ihn bereitsteht. Beim ersten gierigen Schluck verbrennt und beruhigt Hussein sich zugleich, doch der strenge Geschmack stößt ihn ab. Als würde man Erde essen. Als er sich vorbeugt, um seiner Stiefmutter einen Gutenmorgenkuss zu geben, verliert er fast das Gleichgewicht. Er hustet, lässt sich auf den nächsten Stuhl sacken und verweigert das wartende Essen mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln. Das Glas Tee drückt er an die Brust wie einen Rettungsring.

      »Chubs?« Die alte Frau hat ein Stück heiße Pita abgerissen und hält es ihm hin. Mutter Fadhma hat Husseins Tee und Frühstücksgeschirr mit einer Sorgfalt hergerichtet, als drehte sich die Welt allein um seine Wünsche und Bedürfnisse. Sie ist in ihren neuen blauen Polyesterbademantel gehüllt – ein Geschenk ihrer Enkelin aus Amerika – und würde Hussein nur zu gerne bedienen, doch er schüttelt nur wieder den Kopf, und so isst sie das Stück Brot schließlich selbst.

      »Was für ein Fest gestern Abend …« Sie seufzt die Worte lang und schwer, doch ihre Satzmelodie hebt sich. Sie will seine Meinung hören.

      Hussein bleibt reglos sitzen. Er weiß, dass Fadhma gerne über das Fest sprechen würde, über Muna, über irgendetwas, aber er muss seine ohnehin schon dezimierte Energie für den langen Tag aufsparen, den er noch vor sich hat.

      Als sie keinerlei Bestätigung erhält, werden Mutter Fadhmas kleine Augen schmal. Sie will mit Hussein schimpfen, dass er zu wenig isst und zu viel trinkt; aber schon lange ist klar, dass sie am Ende doch schweigt. Selbst wenn er sich blamiert, wie gestern Abend, vergibt sie ihm. In den seltenen Fällen, in denen sie einmal den Mut aufbringt, ihn zurechtzuweisen, ist ihr Tadel sanft und tröstend.

      Hussein gilt noch immer als der bestaussehendste der sechs Brüder. Selbst in seiner einfachen khakifarbenen Militäruniform, identisch mit tausend anderen, sah er gut aus. Etwas an dem abgenutzten roten Barett betonte seine jungenhaften Züge. Die Verbindung von Leutnant-Stern und diskret eingesticktem Adler seiner Elitebrigade erzeugte eine subtile Magie, die mehr als nur eine Frau unwiderstehlich fand. Doch jetzt, als er den schmuddeligen Schlachteranzug von der Garderobe neben der Haustür nimmt und hinausgeht, wird deutlich, dass diese einst schmissige Wirkung inzwischen völlig verloren ist. In Husseins ehemals glatte, schöne Züge haben die Jahre Krähenfüße gegraben.

      Draußen zeigt die rissige Steintreppe ein ähnliches Bild. Das Haus ist das neueste an der holprigen, unbefestigten Straße. Die benachbarten Gebäude sind aus Lehmziegeln oder Stein; hinter ihren Mauern, uneinheitlich, gedrungen und verwittert, liegen Räume wie Löcher in einer verfaulten Zahnreihe. Auch Husseins Heim zeigt trotz seiner modernen Bauweise bereits eindeutige Zeichen des Verfalls.

      Direkt hinter dem Zaun erstrecken sich karge, struppige Felder in die diesige Ferne. Der Dunstschleier liegt nicht an Husseins Kater; schon steigt die Hitze rasch empor. Zwei oder drei streunende Hunde schleichen lustlos auf der staubigen Straße umher. Sie sind jeden Morgen dort, angezogen vom unverkennbaren Blutgeruch