Jens Peter Jacobsen

Marie Grubbe


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allzeit Krieg, sie wissen ja wohl, daß sie immer verschonet bleiben, – ja, es sind gute Zeiten für Schelme und Toren, wenn die Räte des Reichs alle miteinander toll sind.«

      »Sie sagen ja freilich, daß der Marschall nur ungern daran wollte.«

      »Ja, das glaub der Teufel! – es kann ja freilich doch sein; aber man spürt es nur sehr schwach, wenn Ruhe in einem Ameisenhaufen gepredigt wird, – nun, Krieg haben wir, und da gilt es, daß ein jeder das Seine hütet. Da ist genug zu tun nach allen Richtungen hin.«

      Das Gespräch kam dann auf die bevorstehende Reise und drehte sich nun eine Zeitlang um die schlechten Wege, kehrte nach Tjele zurück zu Mastvieh und Stallfütterung und ging wieder auf Reisen. Sie hatten währenddes keineswegs die Kanne vernachlässigt, das Bier war ihnen arg zu Kopf gestiegen, und Erik Grubbe, der gerade von seiner Fahrt nach Ceylon und Ostindien mit der »Perle« erzählte, hatte Mühe, durch sein eigenes Lachen hindurchzukommen, jedesmal, wenn ihm eine neue Possierlichkeit einfiel.

      Der Pfarrer wurde immer ernsthafter, je weiter die Zeit vorrückte; er lag zusammengesunken in dem Stuhl, aber hin und wieder schüttelte er mit dem Kopf, sah wütend vor sich hin und bewegte die Lippen, als spräche er; gestikulierte darauf mit der einen Hand, eifriger und eifriger, bis er versehentlich auf den Tisch auftrumpfte; dann sank er wieder zusammen, mit einem erschrockenen Blick zu Erik Grubbe hinüber. Endlich, als sich der bei der Schilderung eines über alle Maßen einfältigen Küchenjungen festgefahren hatte, gelang es dem Pfarrer, sich aufzurichten, und mit einer dumpfen, feierlichen Stimme begann er zu reden.

      »Wahrlich,« sagte er, »wahrlich! ich will es mit meinem Mund bezeugen – mit meinem Mund – daß Ihr ein Ärgernis und ein Gegenstand des Ärgernisses seid – es wäre Euch besser, Ihr würdet ins Meer geworfen – wahrlich! mit einem Mühlstein und zwei Tonnen Malz – zwei Tonnen Malz, die schuldet Ihr mir, das bezeuge ich feierlich und mit meinem Mund, – zwei gehäufte Tonnen Malz und in meinen eigenen, neuen Säcken – denn es waren nicht meine Säcke – niemals in alle Ewigkeit – es waren Eure eigenen, alten Säcke, und meine neuen, die behieltet Ihr – und es war verdorbenes Malz, – wahrlich! sehet die Ruchlosigkeit des Verderbens, und die Säcke gehören mir, und ich will es Euch heimzahlen – die Rache ist mein, sage ich. – Zittert Ihr nicht in Eurem alten Gebein – Ihr alter Lüderjan! – christlich solltet Ihr leben – ist das christlich, mit Ane Jensdatter zu leben und sie einen christlichen Gemeindepfarrer betrügen zu lassen? – Ihr seid ein – Ihr seid ein – christlicher Lüderjan – ja –«

      Erik Grubbe hatte beim Anfang der Rede des Pfarrers über das ganze Gesicht gelächelt und freundschaftlich seine Hand über den Tisch hinüber nach ihm ausgestreckt, später stieß er mit dem Ellbogen aus, als wolle er einen unsichtbaren Zuhörer in die Seite puffen, damit er sehen solle, wie unbezahlbar trunken der Pfarrer war; aber allmählich muß er eine Art Verständnis für die Rede bekommen haben, denn er wurde auf einmal kreideweiß im Gesicht und nahm die Schneppenkanne und warf sie nach dem Pfarrer, der rücklings in den Stuhl sank und von da auf den Boden niederglitt. Er fiel jedoch nur vor Schrecken, denn die Kanne erreichte ihn nicht, sie blieb am Rande der Tischplatte liegen; der Inhalt trieb über den ganzen Tisch und rann in kleinen Strömen auf den Fußboden und auf den Pfarrer herab.

      Das Licht war im Leuchter niedergebrannt und flackerte, daß es bald hell im Zimmer war und bald so dunkel, daß die blaue Morgendämmerung zu den Fenstern hereinsah.

      Noch immer sprach der Pfarrer. Den einen Augenblick war seine Stimme tief und drohend, den andern pfeifend und winselnd.

      »Da sitzet Ihr in Gold und Purpur, und ich liege hier, und die Hunde lecken meine Schwären – und was legtet Ihr in Abrahams Schoß? – welches Opfer brachtet Ihr dar? – Ihr legtet nicht ein silbernes Achtschillingstück in den Schoß des christlichen Abraham. – Und jetzt werdet Ihr schwer gepeinigt – allein keiner soll Eurethalben seinen Finger ins Wasser tauchen,« und er schlug mit der Hand in das verschüttete Bier, »ich aber wasche meine Hände – alle beide – ich habe Euch gewarnt, – hi, – da gehet Ihr – ja, da gehet Ihr in Sack und Asche – in meinen beiden neuen Säcken – Malz...«

      Er lallte noch eine Weile, dann schlief er ein, aber Erik Grubbe machte währenddes einen Versuch, sich zu rächen; er umklammerte die Stuhllehne krampfhaft, machte sich lang und stieß aus Leibeskräften gegen das Tischbein, in der Hoffnung, daß es der Pfarrer sei.

      Bald regte sich nichts mehr, man vernahm nur das Schnarchen der beiden alten Herren und das einförmige Plätschern des Bieres, das noch immer von der Tischplatte heruntertropfte.

      Zweites Kapitel

      Das Haus der Frau Rigitze Grubbe, der Witwe des seligen Hans Ulrik Gyldenlöve, lag an der Ecke der Östergade und der Pilesträde.

      Zu jener Zeit war die Östergade ein ziemlich aristokratischer Aufenthaltsort; hier wohnten Mitglieder der Familien Trolle, Sehested, Rosenkrantz und Krag; Joachim Gersdorff wohnte neben Frau Rigitze, und in Carl van Manderns neuem, rotem Hause logierten in der Regel zwei oder mehrere ausländische Residenten. Doch war nur die eine Seite der Straße von so feinen Leuten bewohnt; auf der Nikolaj-Seite waren die Häuser niedrig, und hier wohnten hauptsächlich Handwerker, Krämer und Schifferleute. Ein paar Wirtshäuser lagen ebenfalls dort.

      Es war an einem Sonntagvormittag zu Anfang September.

      In dem Mansardenfenster von Frau Rigitzens Hause stand Marie Grubbe und sah hinaus: nicht ein Wagen! Keine Geschäftigkeit, lauter bedächtige Schritte und der schleppende Gesang eines vereinzelten Austernverkäufers. Der Sonnenschein zitterte über Dächer und Pflastersteine hinab, und alle Schatten waren scharf und kräftig, fast vierschrötig. Alles Ferne lag in einem leichten, rauchblauen Wärmenebel.

      »Paßt au...f!« ward hinter ihr von einer weiblichen Stimme gerufen, die mit Geschick ein von vielem Kommandieren heiseres Organ nachahmte.

      Marie wandte sich um.

      Es war die Kammerzofe Lucie, die rief. Sie hatte eine Weile still oben auf einem Tisch gesessen und ihre ziemlich wohlgeformten Beine mit einem kritischen Blick betrachtet. Schließlich war sie dessen überdrüssig geworden und hatte gerufen, und nun saß sie da und lachte aus Leibeskräften und baumelte ausgelassen mit den Beinen hin und her.

      Marie zuckte die Achseln und wollte sich mit einem halb verdrießlichen Lächeln wieder nach dem Fenster umwenden, aber Lucie sprang vom Tisch herunter, faßte sie um die Taille und zwang sie, sich auf einen kleinen Strohstuhl zu setzen, der daneben stand.

      »Höre Sie, Jungfer!« sagte sie, »weiß Sie was?«

      »Nun?«

      »Sie vergißt, Ihre Briefschaften zu schreiben, und um halb zwei kommen die Gäste, so daß Sie nur knapp vier Stunden hat. Weiß Sie, was die haben sollen? Güldensuppe, Flundern und so einen andern breiten Fisch, gebratene Hühner mit Trisanet und Mansfelder Kuchen mit süßem Pflaumenmus. Fein ist es, aber fett ist es gerade nicht. Der Jungfer Bräutigam kommt ja auch.«

      »Ach was, Unsinn!« rief Marie ärgerlich aus.

      »Gott Vater bewahr uns! ist doch weder Aufgebot noch Verlöbnis, weil ich das sage. – Ich kann wirklich nicht begreifen, Jungfer, daß Sie sich nicht mehr aus Ihrem Vetter macht! Er ist das herrlichste, lustigste Mannsbild, das ich kenne. Was für Füße er hat! – Und königlich Blut ist in ihm; das kann man schon allein an seinen Händen sehen, so winzig klein wie die sind! – ach, und dabei so, als wären sie gegossen – bloß seine Nägel, die sind nicht größer als halbe Sechslinge und so rot und rund. – Was für ein Paar Beine hat er aufzuweisen! Wie Stahlfedern, wenn er dahergegangen kommt – hu hei! Und seine Augen, die blitzen und funkeln...«

      Sie schlang die Arme um Marie und küßte sie so heftig und saugend stark auf den Hals, daß das Kind errötete und sich ihrer Umarmung entwand.

      Lucie warf sich auf das Bett und lachte wie eine Besessene.

      »Wie