Henryk Sienkiewicz

Die Kreuzritter


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erhören werde. Und immer neue Scharen aus der Umgegend strömten durch die Thore herein.

       So verging ein Tag nach dem andern, während die Glocken beständig läuteten, die Kirchen gedrängt voll waren, Prozessionen und Andachten rasch aufeinander folgten. Als nun eine Woche vorüber war und die hohe Kranke sowie das Kind noch lebten, zog neuer Mut in aller Herzen ein. Es erschien den Leuten wie ein Ding der Unmöglichkeit, daß Gott so frühzeitig die Herrin zu sich nehmen sollte, welche schon so viel zu seiner Ehre gethan hatte, und deren großes Werk dann unvollendet geblieben wäre, daß er jetzt schon die Glaubensbotin zu sich nehmen sollte, welche ihr eigenes Glück zum Opfer gebracht hatte, um das letzte Heidenvolk in Europa zum Christentum zu bekehren. Die Gelehrten erinnerten sich, daß sie unendlich viel für die Akademien gethan, die Geistlichen gedachten ihrer Frömmigkeit, die Staatsmänner sagten sich, wie sehr sie für den Frieden zwischen den christlichen Monarchen, die Rechtsgelehrten wie sehr sie für die Gerechtigkeit gewirkt hatte. Die Armen erinnerten sich, wie barmherzig sie gewesen, und allen wollte es nicht in den Sinn, daß ein Leben, das dem Königreiche, ja der ganzen Welt so nötig war, vor der Zeit dahingerafft werden könne.

       Am 13. Juli verkündete die Totenglocke, daß das Kind gestorben war. Wieder war die Stadt gedrängt voll. Angst und Unruhe ergriff die Leute, und abermals umringten sie die Burg, um nach dem Befinden der Königin zu fragen. Doch diesmal kehrte niemand mit guten Nachrichten zurück. Im Gegenteil, der Gesichtsausdruck der im Schlosse ein und ausgehenden Herren ward mit jedem Tage düsterer. Man erzählte sich auch, daß der Priester Stanislaus aus Skarbimierz, Magister der freien Künste in Krakau, die Königin nicht mehr verlasse, und daß diese täglich kommuniziere. Weiter erzählte man sich, bei jeder Kommunion sei ihre Kemenate von einem himmlischen Scheine erfüllt. Manche sahen den Schein sogar durch das Fenster, doch der Anblick erfüllte die der Herrin treuergebenen Herzen mit Schrecken. Betrachteten sie es doch als ein Zeichen, daß die Kranke dem irdischen Leben schon entrückt war.

       Wieder andere hingegen glaubten nicht an einen so furchtbaren Ausgang, und trösteten sich mit der Hoffnung, daß der gerechte Gott es mit einem Opfer bewenden lasse.

       Am Freitag den 17. Juli, in der Frühe, verbreitete sich das Gerücht, daß die Königin ihrem Ende entgegen gehe. Wer nur konnte, begab sich so rasch wie möglich zur Burg. Wieder war die Stadt vollständig verödet, nur die Gebrechlichen und Krüppel blieben zurück, denn sogar die Mütter mit den kleinen Kindern eilten den Thoren zu. Die Kaufgewölbe wurden nach einander geschlossen, niemand dachte an eine Mahlzeit, alle Geschäfte hatten aufgehört. Den Wawel umringte eine dichte Menschenmenge, voll Bestürzung und Angst, aber in düsterem Schweigen.

       Um 1 Uhr des Nachmittags ertönte die Glocke auf dem Turme der Kathedrale. Was dies zu bedeuten hatte, wußten die harrenden nicht, und das Haar sträubte sich auf ihrem Haupte. Aller Augen richteten sich gegen den Turm, auf die immer stärker anschlagende Glocke, deren wehmütige Klänge bald durch das Geläute der Franziskanerkirche, der heiligen Dreifaltigkeitskirche und der Marienkirche nachgeahmt wurden. Schließlich begriff man, was diese klagenden Töne bedeuteten, und Schrecken und Bestürzung erfüllten nun die Seelen dieser Menschen. Schien doch die eherne Stimme tief in ihr Innerstes zu dringen.

       Plötzlich zeigte sich auf dem Turm eine schwarze Fahne mit einem Totenkopfe in der Mitte, unter dem zwei kreuzweise übereinandergelegte Knochen zu sehen waren. Jeder Zweifel schwand nun dahin. Die Königin hatte ihre Seele Gott empfohlen. Vor der Burg erscholl lautes Weinen, und die Klagen von hunderttausend Menschen vermischten sich mit den wehmütigen Klängen der Glocken. Einige der Trauernden warfen sich zur Erde, wieder andere zerrissen ihre Kleider oder zerfleischten ihre Gesichter, manche schauten wie erstarrt auf die Burgmauern, viele ließen nur ein dumpfes Stöhnen hören, unzählige aber streckten die Arme gegen die Kirche und die Kemenate der Königin aus, indem sie Gott um Barmherzigkeit und um ein Wunder anflehten. Doch ließen sich auch Stimmen von Leuten vernehmen, welche durch die Verzweiflung sogar zur Gotteslästerung hingerissen wurden. »Weshalb ist uns die geliebte Herrin entrissen worden? Wozu dienten dann unsere Prozessionen, unsere inbrünstigen Gebete? Unsere Gelübde, unsere Opfergaben aus Silber und Gold waren willkommen, und all dies soll für nichts gewesen sein? Wieviel hast Du uns genommen und nichts dafür gegeben!«

       Und Jesu! Jesu! Jesu! stöhnten gar manche, deren Augen fortwährend von Thränen überflossen. All' diese Menschen wollten in die Burg eindringen, um noch einmal in das geliebte Antlitz der Herrin zu blicken. Man gestattete es nicht, versprach ihnen aber, daß der Leichnam binnen kurzem in der Kirche aufgebahrt werde, und daß dann jeder ihn sehen und am Sarge beten könne. Voll Trauer kehrten sie nun in die Stadt zurück, indem sie untereinander von den letzten Augenblicken der Königin, von dem bevorstehenden Leichenbegängnisse und den Wundern sprachen, welche an ihrer Leiche, sowie an ihrer Grabstätte geschehen würden, und die von allen mit Sicherheit erwartet wurden. Auch war vielfach die Rede davon, daß die Königin wohl heilig gesprochen werde, denen aber, welche daran zweifelten, drohte man voll Zorn mit dem Papste.

       Die Stadt und das ganze Land waren in tiefe Trauer versenkt, und jedermann, nicht nur das gemeine Volk, sagte sich, mit dem Tode der Königin sei der günstige Stern für das Reich erloschen. Sogar unter den vornehmen Herren zu Krakau gab es solche, welche düster in die Zukunft blickten. Sich selbst und andern begann man die Frage vorzulegen, was nun geschehen werde. Ob Jagiello jetzt noch ein Anrecht auf die Herrschaft über das Königreich habe oder zurückkehre in sein Litauen und sich mit dem großfürstlichen Throne begnüge? Manche behaupteten im voraus – und wie es sich später zeigte, nicht ohne Grund, – daß er zurücktreten werde, daß die Krone in diesem Falle große Ländereien einbüßen müsse, daß dann die Litauer neue Einfälle machen und die ergrimmten Einwohner des Königreiches blutige Vergeltung üben würden. Der Orden, der römische Cäsar, der ungarische König würden dann an Macht gewinnen und dem Reiche, das jetzt noch eines der mächtigsten auf der ganzen Welt war, würde Untergang, Schmach und Schande drohen.

       Die Kaufleute, denen das weite litauische und russische Land offen stand, legten aus Angst vor dem drohenden Verluste fromme Gelübde ab, damit Jagiello im Reiche bleibe, aber in dem Falle wurde ein baldiger Krieg mit dem Orden prophezeit. War es doch eine bekannte Thatsache, daß nur die Königin bis jetzt einen solchen Krieg verhindert hatte. Und die Leute erinnerten sich, daß sogar Jadwiga einst voll Entrüstung über die Geldgier und Habsucht der Kreuzritter, gleich einer Seherin verkündet hatte: »So lange ich lebe, so lange halte ich die Hand und den gerechten Zorn meines Gatten von Euch ab, aber bedenkt, daß Euch nach meinem Tode die Strafe für Euere Sünden treffen wird!«

       In ihrem Hochmut, ihrer Verblendung, fürchteten die Ordensritter den Krieg zwar nicht, weil sie darauf rechneten, daß nach dem Tode der Königin der Ruf von deren Heiligkeit den Zuzug von Kriegern aus den westlichen Gebieten nicht verhindern werde, und ihnen dann Tausende aus Deutschland, Burgund, aus dem Frankenlande und aus anderen fernen Ländern zu Hilfe kommen würden. Immerhin war aber der Tod Jadwigas ein so weittragendes Ereignis, daß der Gesandte des Ordens, ohne die Rückkunft des abwesenden Königs abzuwarten, sich eilig nach Marienburg begab, um dem Großmeister und dem Kapitel zuerst die wichtige, ja, in gewisser Hinsicht unheilverkündende Nachricht mitzuteilen. Von den übrigen Gesandten brachen einige gleich nach Ritter Lichtenstein auf, während andere Boten zu ihren Monarchen schickten.

       In dumpfer Verzweiflung langte Jagiello in Krakau au. Im ersten Schmerze erklärte er den Herren vom Hofe, ohne die Königin wolle er das Herrscheramt nicht länger ausüben, sondern sich nach seinem Erbgut in Litauen zurückziehen. Dann verfiel er in eine Art Erstarrung, er wollte keinerlei Entscheidung treffen, er beantwortete keine Frage, zuweilen aber wütete er gegen sich selbst, weil er abgereist und bei dem Tode der Königin fern gewesen war, weil er sich nicht von ihr verabschieden, ihre letzten Worte und Wünsche nicht hatte hören können. Vergebens stellten ihm Stanislaw von Skarbimierz und Bischof Wysz vor, daß die Erkrankung der Königin ganz unerwartet gekommen sei, und daß er aller menschlichen Berechnung nach Zeit genug gehabt hätte, zurückzukehren, wenn die Entbindung nicht verfrüht gewesen wäre. Dies gewährte ihm keine Beruhigung und linderte seinen Schmerz auch nicht. »Ohne sie bin ich nicht mehr der König, der Herrscher,« erwiderte er, »sondern nur ein reuiger Sünder, der keinen Trost kennt.«