in der Masurka wurde eine von Korsunski neu ersonnene, schwierige Figur ausgeführt, und Anna, an der die Reihe war, sie zu wiederholen, trat in die Mitte des Kreises, wählte zwei Herren und rief dann Kitty und eine andere Dame zu sich heran. Erschrocken blickte Kitty, als sie zu Anna herantrat, sie an. Anna zwinkerte ihr freundlich zu, lächelte und drückte ihr die Hand. Als sie aber bemerkte, daß Kittys Gesicht dieses Lächeln nur mit einer Miene des Staunens und der Verzweiflung erwiderte, wandte sie sich von ihr ab und redete heiter mit der anderen Dame.
›Ja, es ist etwas Fremdes, Unheimliches in diesem entzückenden Wesen!‹ dachte Kitty.
Anna wollte nicht zum Abendessen bleiben; der Hausherr bat sie inständigst.
»Geben Sie nur nach, Anna Arkadjewna!« kam ihm Korsunski zu Hilfe, hielt ihr seinen Arm hin und legte ihren entblößten Arm auf seinen Frackärmel. »Wenn Sie wüßten, was für einen prachtvollen Kotillon ich vorbereitet habe! Un bijou2!«
Und er bewegte sich sacht weiter, indem er versuchte, sie mit fortzuziehen. Der Hausherr lächelte beifällig.
»Nein, ich bleibe nicht«, erwiderte Anna lächelnd; aber trotz diesem Lächeln merkten sowohl Korsunski wie auch der Hausherr an dem bestimmten Tone, in dem sie antwortete, daß sie nicht dableiben werde.
»Nein, ich habe sowieso schon hier in Moskau auf diesem einen Balle bei Ihnen mehr getanzt als den ganzen Winter über in Petersburg«, sagte Anna mit einem Seitenblick zu dem neben ihr stehenden Wronski. »Ich muß mich vor der Abreise noch ein wenig ausruhen.«
»Und Sie fahren wirklich morgen unwiderruflich weg?« fragte Wronski.
»Ja, ich denke wohl«, erwiderte Anna, wie verwundert über die Kühnheit seiner Frage; aber während sie das sagte, flog von ihren leuchtenden Augen und lächelnden Lippen gleichsam ein nicht zurückzuhaltender, zitternder, sengender Strahl zu ihm hinüber.
Anna Arkadjewna blieb nicht zum Abendessen, sondern fuhr vorher nach Hause.
Fußnoten
1 (frz.) bald zum großen Reigen, bald zur Kette.
2 (frz.) Ein Juwel.
24
›Ja, ich muß wohl etwas Widerwärtiges, Abstoßendes an mir haben‹, dachte Ljewin, als er von Schtscherbazkis wegging und zu Fuß die Richtung nach der Wohnung seines Bruders einschlug. ›Und ich passe auch wirklich nicht zu anderen Menschen. Man hält mich für stolz. Nein, stolz bin ich nicht. Wäre ich stolz, so hätte ich mich nicht in eine solche Lage gebracht.‹ Und er vergegenwärtigte sich Wronski, diesen glücklichen, gutherzigen, verständigen, ruhigen Menschen, der sich wahrscheinlich noch nie in einer so schrecklichen Lage befunden hatte wie er an diesem Abend. ›Ja, sie konnte gar nicht anders als ihm den Vorzug geben. Das mußte so sein, und ich darf mich über niemand und über nichts beklagen. Ich selbst trage die Schuld. Mit welchem Rechte konnte ich glauben, daß sie Lust haben werde, ihr Leben mit dem meinigen zu verbinden? Wer bin ich? Und was bin ich? Ein wertloser Mensch, den niemand gebrauchen kann.‹ Dabei gedachte er seines Bruders Nikolai und verweilte mit Lust bei dieser Erinnerung. ›Hat er etwa nicht recht, daß alles in der Welt schlecht und garstig ist? Wir urteilen über unseren Bruder Nikolai wohl kaum gerecht und haben es nie getan. Natürlich, von Prokofis Standpunkt, der ihn in einem zerrissenen Pelz und arg betrunken gesehen hat, ist er ein verächtlicher Mensch, aber ich kenne ihn von einer anderen Seite. Ich kenne seine Seele und weiß, daß ich mit ihm manche Ähnlichkeit habe. Aber statt ihn sofort aufzusuchen, bin ich zuerst zu einem Diner und dorthin gefahren.‹ Ljewin trat an eine Laterne heran, las die Anschrift seines Bruders, die er in seiner Brieftasche bei sich hatte, und rief einen Droschkenkutscher an. Auf der ganzen langen Fahrt zu seinem Bruder erinnerte sich Ljewin lebhaft an allerlei ihm bekannte Ereignisse aus dessen Leben. Er erinnerte sich, wie sein Bruder während der Universitätszeit und noch das darauffolgende Jahr hindurch trotz den Spötteleien seiner Kameraden wie ein Mönch gelebt und streng alle Religionsbräuche erfüllt, den Gottesdienst besucht, die Fasten innegehalten und jedes Vergnügen, namentlich auch die Frauen, gemieden hatte, und wie es ihn dann plötzlich gepackt hatte und er mit den verkommensten Menschen in Verkehr getreten war und sich der zügellosesten Ausschweifung ergeben hatte. Er entsann sich ferner einer Geschichte mit einem Knaben, den der Bruder vom Lande zur Erziehung zu sich genommen hatte und den er in einem Wutanfalle dermaßen prügelte, daß er sich eine Klage wegen schwerer Körperverletzung zuzog. Dann gedachte er einer Geschichte mit einem Falschspieler, an den der Bruder Geld verloren hatte und dem er einen Wechsel gab und gegen den er darauf selbst eine Klage einreichte, mit der Begründung, daß jener ihn betrogen habe. (Das war die Geldsumme, die Sergei Iwanowitsch bezahlt hatte.) Weiter erinnerte er sich, wie Nikolai wegen einer Ausschweifung eine Nacht auf der Polizeiwache zugebracht hatte. Er erinnerte sich, wie er einen schmählichen Prozeß gegen seinen Bruder Sergei Iwanowitsch angestrengt hatte, weil dieser ihm nicht den ihm zukommenden Anteil des mütterlichen Vermögens ausgezahlt hatte. Und dann der letzte Skandal, wie er irgendwo im Westen des Reiches eine Anstellung gefunden hatte, aber dort gerichtlich belangt worden war wegen einer Tracht Prügel, die er dem Gemeindevorsteher verabfolgt hatte. – Das waren ja alles überaus garstige Dinge; aber Ljewin beurteilte es doch nicht so schlimm, wie es notwendigerweise die taten, die Nikolai und seine ganze Entwicklung und sein Herz nicht kannten.
Ljewin dachte auch daran, wie damals, als Nikolai sich in der Periode der Frömmigkeit, der Fasten, der Möncherei, des Kirchenbesuches befunden und in der Religion eine Hilfe, einen Zügel für seine leidenschaftliche Natur gesucht hatte, wie ihm damals niemand eine Stütze gewesen war, ja im Gegenteil alle, und auch er selbst, sich über ihn lustig gemacht hatten. Sie hatten ihn gehänselt, ihn den Vater Noah und den Mönch genannt, aber als es ihn später gepackt hatte, da hatte ihm niemand geholfen, sondern alle hatten sich voll Entsetzen und Abscheu von ihm abgewandt.
Ljewin sagte sich, daß sein Bruder Nikolai, trotz aller Schlechtigkeit seines Lebenswandels, im tiefsten Grunde seiner Seele nicht schuldiger war als die Leute, die ihn verachteten. Es war nicht seine Schuld, daß er mit einem unbändigen Charakter und einem etwas beschränkten Verstande geboren war. Aber er war immer bestrebt gewesen, ein guter Mensch zu sein. ›Ich will ganz offen mit ihm reden; ich will ihn dazu bringen, mir alles frei heraus zu sagen, und will ihm zeigen, daß ich ihn liebe und ihn darum auch verstehe‹, das nahm sich Ljewin vor, als er nach zehn Uhr in seiner Droschke bei dem Gasthause ankam, in dem der Anschrift zufolge Nikolai wohnen sollte.
»Oben, in Nummer zwölf und dreizehn«, antwortete der Pförtner auf Ljewins Frage.
»Ist er zu Hause?«
»Doch wohl.«
Die Tür von Nummer zwölf war halb geöffnet; von innen drang mit einem Lichtstreifen zugleich ein dichter Qualm von schlechtem, schwachem Tabak heraus, und Ljewin vernahm eine ihm unbekannte Stimme. Aber er merkte sofort, daß auch sein Bruder anwesend war, denn er hörte dessen Hüsteln.
Als er durch die Außentür in einen kleinen Vorraum trat, der vom Zimmer durch eine spanische Wand getrennt war, sagte die unbekannte Stimme gerade:
»Es wird alles davon abhängen, ob die Sache mit Vernunft und Verständnis betrieben wird.«
Konstantin Ljewin blickte durch die in der Zwischenwand befindliche Tür, die gleichfalls offenstand, ins Zimmer und sah, daß der Redende ein junger Mann mit gewaltigem Haarschopfe, in einer Jacke ohne Ärmel war. Ein junges, pockennarbiges Frauenzimmer in einem wollenen Kleide ohne Manschetten und Kragen saß auf dem Sofa. Der Bruder war nicht zu erblicken. Konstantins Herz zog sich schmerzlich zusammen bei dem Gedanken, unter was für fremden Leuten sein Bruder da lebte. Niemand hatte ihn kommen hören, und Konstantin zog sich die Gummischuhe aus und hörte dabei zu, was der Herr in der ärmellosen Jacke sagte. Er redete von irgendeinem Unternehmen.
»Hol