zur geschlossenen Tür und lauschte, hörte aber nichts. Er ging zu seinem Zimmer, griff nach dem Schlüssel, befingerte ihn, kehrte um und klopfte erneut an ihre Tür. Er hörte Judith rufen, wie ein Kind. Die Tür blieb verschlossen. Ihre Stimme erhob sich – wie sich Frauenstimmen passend zum Anlass veränderten, je nach dem, welchem Ziel sie dienten. Der Spalt verbreiterte sich. Na, was gibt es denn dieses Mal? Berg trat zurück, beinahe verneigte er sich. Einen Schilling, na dann kommen Sie lieber rein, ich schau mal.
Auf der Schwelle zu ihrem Zimmer, ein scheinbar vollkommen mit lila Samt behangenes Zimmer, das an ein ägyptisches Grab erinnerte, rechteckig und schwach beleuchtet. Judiths Mund öffnete und schloss sich, eine überreife Melone hing in der Luft. Er trat tiefer in den Raum.
Gedrungene Möbel, Senatorenkonferenz. In einer Ecke ein vergoldeter Käfig, in dem ein Wellensittich seine Federn rupfte oder an ein silbernes Glöckchen pickte. Ein Siamkater streckte sich, schob sich träge von einem Samtkissen herunter. Schwere viktorianische Ornamente überall im Zimmer und ausgestopfte Wesen, die aus ihren Glasgehäusen auf die Wachsblumen und das Obst starrten. Er hörte Judith hinter einem Wandschirm rascheln, das Ticken einer Uhr. Er schob sich auf das Bett zu – hatte sich die Trennwand bewegt? Judith tauchte auf, beugte sich über ihre Handtasche, richtete sich auf, die beiden mit Juwelen besetzten Clips in der Hand. Flügelflattern erschreckte den Kater, sein Schwanz bebte – eine große Raupe seitlich der Couch; Eulenaugen durchdrangen die von Berg, kreisten auf Umlaufbahnen aus Feuer und Wasser, während Judith ihm einen Schilling übergab. Also, wie wär’s mit einem Schlummertrunk vor dem Schlafengehen, Mr. Greb, Sie heißen doch Greb, oder hätten Sie lieber etwas Stärkeres? Er drückte die warme Münze in seiner Tasche. Eine heiße Schokolade wäre schön. Sie gestikulierte Richtung Sofa, das voller Katzenhaare war. Ein klerikaler, grauer Nadelstreifenanzug hing über der Kleiderschranktür, ein Paar Wildlederschuhe grinsten anzüglich unter dem Bett hervor, daneben zwei blaue Plüsch-Pantoffeln. Judith wieder hinter dem Wandschirm. Berg ging rüber und beugte sich über das Bett. Kein Mucks, hatte das Dreckschwein inzwischen das Bewusstsein vollständig verloren, mich am Ende übers Ohr gehauen? Ich muss gehen, muss sofort gehen und das herausfinden. Er kletterte vom Bett. Judith spähte um die Ecke. Er gestikulierte Richtung Wandschirm. Hab Wasser aufgesetzt, ganz vergessen, ich seh’ besser nach, dauert nicht lang. Er schob seine Ärmel über seine ausgefransten Manschetten, ging zur Tür. Der Kater sprang, presste sich an Bergs Beine; die Augen gelbe Spulen, die nach außen hin drehten, nach innen, sich zu Dolchen verengten.
Er fand den Alten keuchend über dem Bett, Kotzehaufen auf der Daunendecke, dem Teppich. Berg schloss wieder ab. Als Judith die Schokolade brachte, fiel ihm auf, dass sie sich umgezogen hatte, jetzt einen Hausmantel aus glänzend schwarzem Stoff trug, die Haare waren frisch frisiert, nicht mehr unter einem Netz versteckt; ihre Augen sorgfältig umrandet, um einen orientalischen Effekt zu erzielen. Er nahm einen Schluck, sah sie von ihrer Schokolade trinken. Scheußliches Wetter in letzter Zeit. Dann sind Sie noch nicht lange hier? In welcher Branche sind Sie tätig, Haarpfleger, wie entsetzlich ungewöhnlich? Berg lächelte, während Judith Rauchringe blies, den Kater streichelte, der sich auf ihrem Schoß räkelte, mit den Pfoten die samtbedeckten Knie knetete. Sebastian ist eine so liebe Mieze, ist er nicht ein Schatz, er leistet mir Gesellschaft, wissen Sie, auch wenn sich Nathy nicht viel aus Seby macht. Sie grub weiter ihre Finger in das Fell des Tiers, das nun einen Buckel machte; lautes Schnurren vibrierte durch den Raum. Aber er hat ja auch Berty, er schenkt dem verfluchten Vogel manchmal sogar mehr Aufmerksamkeit als mir, ehrlich, ich könnte schreien, sie sollten mal sehen, wie er sich mit dem Ding unterhält, und wenn Nathy nicht da ist, pfeift er nie, keinen einzigen Ton, stellen Sie sich mal vor, ein Wellensittich, der nicht mal zwitschern kann, geschweige denn sprechen. Wie er den Kopf reinsteckt, das sollten Sie mal sehen, richtig rein in den Käfig, wenn er das Vieh füttert. Mögen Sie Tiere, Mr. Greb? Natürlich ist Seby kein richtiger Kater, er versteht alles, was man sagt, manche Wörter müssen wir buchstabieren, wissen Sie. Seby, Seby, da ist ja mein Schatz, mein Schöner.
Falten von Judiths Hausmantel wuchsen sich zu Gräben aus, verteilten sich ausgehend von der tiefen Spalte in der Mitte. Auffällig der widerlich süße Geruch von Achseln – wie Gras nach dem Regen. Hat den ganzen Tag nichts gefressen, Nathy war weg, obwohl ich die besten Körner gekauft habe, er schmollt, wissen Sie, würden Sie denken, dass ein so kleines Wesen Gefühle hat? Seby hat ihn neulich beinahe umgebracht, ich kann’s ihm eigentlich nicht vorwerfen. Schauen Sie ihn sich jetzt an, wie er starrt, er hasst mich garantiert, da bin ich sicher. Berg schaute den schwankenden Vogel an, wie er den Kopf neigte, Meerkieselaugen blinzelten durch die Gitterstäbe. Er stellte seine Tasse vorsichtig auf dem pseudo-japanischen Tischchen ab, suchte eine Zigarette.
Judith reichte ihm ein Etui aus Kunst-Kroko, er nahm eine Filterzigarette. Die sind mir lieber, Ihnen auch, Mr. Greb? Er wartete, bis sie inhaliert hatte, dann stieß er langsam den Rauch aus seinen Nasenlöchern, während Judith einen Schmollmund zog. Sie überschlug die Beine, ihr Hausmantel rutschte herunter, ein Grübchen kam zum Vorschein, ein Muttermal seitlich am Knie. Berg rutschte auf die Couchkante. Also, das war sehr lecker, ein sehr leckerer Kakao, gibt nichts Besseres, genau das Richtige vor dem Schlafengehen. Er stand auf. Oh, müssen Sie schon gehen, so früh, warum bleiben Sie nicht, bis Nathy zurückkommt, leisten mir und Seby Gesellschaft, ist schon was anderes, wenn man mal jemanden zum Reden hat?
Berg sank zurück, überschlug die Beine, stellte sie wieder nebeneinander, drückte die halbgerauchte Zigarette aus. Der Vogel flatterte, pickte an die Glocke, oder schaute in seinen winzigen Spiegel. Sebastian rührte sich, schwang den Schwanz wie eine Sense gegen Judiths Oberschenkel. Die Trennwand wackelte. Berg durchquerte eilig das Zimmer. Judith raschelte hinterher. Der Kater scharrte in seiner Streukiste. Schatten der ausgestopften Tiere, eine Eule, eine Maus, eine Fuchsmaske. Er streckte die Hand nach dem Griff aus, spürte wie Judith ihn am Arm fasste. Müssen Sie gehen, sind Sie denn müde, nur ein klitzekleines bisschen müde, warum ruhen Sie sich nicht hier aus, nur ganz kurz, bis er wieder da ist? Halb umgewandt sah Berg, dass die Trennwand noch immer vibrierte, der Kater hockte jetzt auf einem Tisch zwischen dem wächsernen Obst und den Blumen. Er drehte den Knauf, drückte Judiths Finger, dann katapultierte er sich hinaus. Er war sich ihrer schwarz gewandeten Gestalt im Türeingang bewusst, dahinter die Dresdener Hirten, verblichenes Aquarell-Idyll, der glänzende Fernseher auf Stahlständern, der schlanke Kater gähnte, streckte sich zu Frauchens Füßen. Und in seiner Ecke der stumme Vogel. Früher spähten weiße Rosen durch Fenster mit Sonntagsgardinen, ein ausgestopfter Papagei oder zwei, eine Silberpapierschale auf dem Fensterbrett und eine schlanke Katze, die zwischen Mülltonnen an Zeitungspapier schnüffelt. Du suchst Verstehen. Eine Ahnung nur in der Biegung der Straße, den gewundenen Kurven; die Erinnerung an Musik durch halb geöffnete Türen, ein Stück von einem Gesicht, Tasten, heimlich; Ediths Lackschuhe, warten auf ihren Einsatz, Schnäbel meiden Risse und Steine. Klingen aus Licht durch Spitzengardinen verrücken andere Dimensionen. Kann man eine Landschaft vergleichen, die bleibt, auch wenn die evolutionären Oberflächen unter grenzenlosen Widersprüchen leiden? Er streckte sich nach dem Schlüssel. Gute Nacht, Mr. Greb, schlafen Sie gut und träumen Sie recht süß.
Mach dir keine Sorgen, bald schon wird es wieder Morgen. Das Lichtlein wird nun ausgemacht – mein lieber Junge, gute Nacht.
Sein eigenes Zimmer im Vergleich fast eine Kammer, auch wenn er den abgegriffenen Ledersessel fast schon mit Erleichterung betrachtete. Er warf die Decken herunter und starrte auf die Tätowierungen, die ihm zwischen dem grauen Löschpapier entgegensprangen. Der Alte hatte sich vollständig herumgewälzt, dann wieder zurück, blinzelte. Was ist passiert, wo bin ich, wie spät ist es? Es war ihm nicht gut gegangen, er hatte ihn hergebracht, dachte, er sei in keinem Zustand, um – naja, um … Berg ruckte mit dem Kopf Richtung Trennwand, zwinkerte. Sein Vater runzelte die Stirn, dann grinste er, rollte vom Bett und zog sich an. Na, danke jedenfalls, altes Haus, du weißt anscheinend, wie die Frauen sind, was? Zuknöpfen, Reißverschluss hoch, ins Jackett schlüpfen. Berg half ihm, den Mantel überzuziehen. Danke, wenn ich mich revanchieren kann, lass es mich wissen. Vielleicht sollten wir mal zusammen einen trinken gehen, hm? Oh je, was für eine Schweinerei, tut mir schrecklich leid, mein lieber Bursche, lass mich dir helfen, das sauber zu machen, oha, ich muss schon sagen, das ist wirklich hochanständig von dir, schrecklich leid, kann ich mich irgendwie revanchieren, sag einfach Bescheid. Noch mal danke, wirklich, bin sehr dankbar. Berg verneigte sich