„Lehl sagt, dass ich mit einem Partner an diesem Fall arbeiten soll. Er hat niemanden außer Anfänger anzubieten und ich dachte ich rufe an und frage... Nee, es ist eine schlechte Idee, vergiss, dass ich was gesagt habe.“
Riley spürte ein aufgeregtes Kribbeln.
„Wollen Sie, dass ich mitkomme?“, fragte sie.
„Nein, ich hätte nicht anrufen sollen, tut mir leid. Ich bin sicher, das ist das letzte, was du gerade tun möchtest. Du musst dich ausruhen, Zeit mit deinem Verlobten verbringen, den Kopf freibekommen. Du musst auch ein paar Therapiesitzungen machen, bevor du wieder an die Arbeit gehst. Du weißt, dass du früher oder später diese psychologische Evaluation machen musst.“
Aber nicht jetzt sofort, dachte Riley. Nicht, wenn ich bereits irgendwo anders an einem anderen Fall arbeite.
Es platze ihr heraus: „Ich mach’s.“
Sie hörte Crivaro seufzen.
“Riley, ich bin mir da nicht sicher.“
Riley sagte: „Tja, ich bin mir sicher. Mit wem könnten Sie sonst noch arbeiten? Sie brauchen jemand harten, jemanden der Sie kennt. Andernfalls würden Sie nur einen armen Anfänger terrorisieren.“
Crivaro kicherte und sagte: „Ja, das ist so ziemlich, was ich Lehl gesagt habe. Jedenfalls kümmert er sich gerade um einen Flug nach Tennessee. Soll ich nach DC fahren und dich abholen?“
„Nein, das müssen Sie nicht“, sagte Riley. „Mit dem Zug geht es schneller. Ich kenne den Fahrplan auswendig, es gibt einen Zug, der bald kommt. Wenn Sie mich am Quantico Bahnhof abholen, können wir direkt zur Landebahn fahren.“
Riley sagte ihm die Ankunftszeit und Crivaro antwortete: „Na gut.“
Er zögerte und stammelte: „Und, ähm...“
Riley spürte, dass er mit sich rang, um die richtigen Worte zu finden.
Schließlich sagte er einfach: „Danke.“
Riley wollte schon beinahe sagen: „Nein, danke Ihnen.“
Stattdessen sagte sie: „Ich bin bald da.“
Sie beendete den Anruf und starrte auf ihr Handy als sie sich auf die Couch setzte. Sie war überrascht, dass sie soeben diese Entscheidung getroffen hatte. Sie hatte wirklich kein bisschen überlegt.
Habe ich gerade einen Fehler gemacht? fragte sie sich.
Es fühlte sich nicht nach einem Fehler an. Eigentlich fühlte sie tiefe Erleichterung. Ihr Drang zurück an die Arbeit zu kehren verwunderte sie.
Doch was sie an dem Telefonat am meisten verwundert hatte, war Crivaros Ton gewesen. Er hatte beinahe wie ein Schuljunge geklungen, der ein Mädchen um ein Rendezvous bat.
Er will wirklich mit mir zusammenarbeiten, dachte sie.
Er will mit niemand anderem zusammenarbeiten.
Es gab ihr ein wohliges Gefühl, gewollt zu werden –– und vielleicht sogar gebraucht.
Doch als sie sich von der Couch erhob, um ins Schlafzimmer zu gehen und ihre Reisetasche zu holen, fiel ihr etwas ein.
Ryan.
Sie musste ihn anrufen, und ihn informieren. Und sie bezweifelte, dass er es gelassen nehmen würde. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch gestern Abend und wie er ihr Druck gemacht hatte die Verhaltensanalyseeinheit zu verlassen, und daran, was sie darauf geantwortet hatte.
„Ryan, müssen wir das wirklich jetzt besprechen?“
Natürlich hatten sie es bisher nicht geschafft, darüber zu reden. Sie hatten einfach keine Zeit dafür gehabt. Doch nun übernahm Riley trotzdem einen neuen Fall.
Sie nahm den Hörer des Festnetztelefons in die Hand und wählte nervös Ryans Nummer. Er klang fröhlich, als er sich am anderen Ende meldete.
„Hallo Süße, ich freue mich, dass du angerufen hast. Ich habe heute Abend einen Tisch in diesem Restaurant reserviert, das wir beide so mögen, Hugo’s Embers. Klingt das nicht großartig? Du weißt wie schwer es ist, dort einen Tisch zu bekommen.“
Riley schluckte nervös.
Sie sagte: „Ja, das ist toll, Ryan, aber... das müssen wir auf einen anderen Abend verschieben.“
„Huch?“
Riley unterdrückte ein Seufzen.
„Agent Crivaro hat gerade angerufen“, sagte sie. „Er will, dass ich mit ihm an einem Fall in Tennessee arbeite. Ich mache mich jetzt auf, um noch einen Zug nach Quantico zu erwischen.“
Ein angespanntes Schweigen hing in der Leitung.
„Riley, ich kann nicht sagen, dass mir das gefällt“, sagte Ryan. „Bist du bereit wieder zur Arbeit zu gehen? Du warst gestern ziemlich fertig. Und außerdem...“
Es folgte erneutes Schweigen.
Dann sagte Ryan: „Riley, wir brauchen das. Einen romantischen Abend zu zweit, meine ich. Es ist schon lange her, dass wir... du weißt schon.“
Es dauerte einen Moment, bis Riley verstand, was er meinte.
Dann begriff sie: Oh mein Gott. Er spricht von Sex.
Wir lange war es her, dass sie Liebe gemacht hatten? Sie wusste es nicht und begriff, dass sie in letzter Zeit überhaupt nicht daran gedacht hatte. Zwischen den zwei Fällen, an denen sie diesen Monat bereits gearbeitet hatte, war sie erschöpft gewesen. Und dazu kam noch, dass sie sich auf den bevorstehenden Mullins Prozess vorbereitete.
Sie sagte: „Ich mache das wieder gut, versprochen.“
„Riley, darum geht es nicht. Du hast das beschlossen, ohne mit mir zu sprechen.“
Riley verspürte einen Stich von Wut.
Werde ich Ryan jedes Mal zu Rate ziehen müssen, wenn ich einen neuen Fall annehme?
Aber das letzte was sie wollte, war mit ihm in diesem Moment darüber zu streiten. Sie hatte einfach keine Zeit dafür.
Sie sagte: „Es tut mir leid. Wirklich. Wir reden darüber, wenn ich nach Hause komme.“
„Ich möchte nicht, dass du fliegst“, sagte Ryan mit flehender Stimme.
„Ich muss hinfliegen“, sagte Riley. „Es ist mein Job.“
„Aber –– “
„Tschüss, Ryan. Ich muss den Zug erwischen. Ich liebe dich.“
Sie legte auf und sackte mit einem verzweifelten Seufzen zusammen.
Soll ich Crivaro zurückrufen? fragte sie sich.
Soll ich ihm sagen, ich kann den Fall doch nicht übernehmen?
Crivaro würde es sicherlich verstehen. Er hatte ihr das ja bereits so gesagt.
Doch dann spürte Riley eine Welle des Grolls in sich aufkommen. Ryan hatte kein Recht sie so unter Druck zu setzen, besonders nicht nach dem, was gestern passiert war. Sie hatte einen Job zu erledigen und sie konnte Ryan nicht für den Rest ihres Lebens um Erlaubnis bitten, ihn zu machen.
Sie eilte ins Schlafzimmer, holte ihre Reisetasche und verließ die Wohnung, um den Zug zu bekommen.
KAPITEL FÜNF
Das Leben begann sich für Riley wie ein einziger langer Flug mit Jake Crivaro anzufühlen. Gerade erst gestern Abend waren sie aus New York zurückgeflogen. Nun waren sie erneut im FBI Jet, auf dem Weg ins westliche Tennessee.
Es ist fast so, als wäre ich gar nicht zuhause gewesen, dachte sie.
Auf eine gewisse Art und Weise wünschte sie, dass es so