etwas sagen, sie ermutigen oder sie einfach nur wissen lassen, dass er sich darüber freute, dass sie zu ihnen kam, doch er hielt sich zurück. Es war das erste Mal in mindestens zwei Wochen, wenn nicht noch länger, dass sie zum Essen heruntergekommen war.
Maya legte ein Stück Pizza auf einen Teller und gab ihn ihrer Schwester. Sara biss ein winziges, fast unbemerkbar kleines Stück von der Spitze ab, sah keinen von den beiden an.
Reids Gehirn raste, suchte nach etwas, was er sagen könnte, etwas, dass dies wie ein normales Familienessen aussehen ließe und nicht die angespannte, stille, schmerzhaft unbehagliche Situation, die es wirklich war.
„Ist heute irgendwas Interessantes passiert?” gab er schließlich von sich und schimpfte sich sofort für den lahmen Versuch aus.
Sara schüttelte ein wenig den Kopf, starrte auf die Tischdecke.
„Ich habe einen Dokumentarfilm über Pinguine geschaut”, bot Maya an.
„Hast du was Wissenswertes dabei gelernt?” wollte er wissen.
„Nicht wirklich.”
Und so kehrte die Stille und Anspannung wieder zurück.
Sag was Sinnvolles, brüllte sein Gehirn ihn an. Biete ihnen Unterstützung an. Lass sie wissen, dass sie dir offen erzählen können, was geschehen ist. Ihr habt alle Traumata überlebt. Überlebt es zusammen.
„Hört mal”, sprach er. „Ich weiß, dass es in letzter Zeit nicht gerade einfach war. Doch ich möchte, dass ihr beide wisst, dass ihr mit mir darüber sprechen könnt, was geschehen ist. Ihr könnt mir Fragen stellen. Ich werde ehrlich sein.”
„Papa...” begann Maya, doch er hob die Hand.
„Bitte, das ist mir wichtig”, fuhr er fort. „Ich bin für euch da und werde es immer sein. Wir haben das zusammen überlebt, wir drei, und das beweist, dass es nichts gibt, was uns trennen kann...”
Er hielt inne, sein Herz brach erneut, als er sah, wie Tränen über Saras Wangen flossen. Während sie weinte, starrte sie weiterhin hinunter auf den Tisch, sagte nichts, ihr Blick schien weit weg und drückte aus, dass sie geistig woanders war, nicht bei ihrer Schwester und ihrem Vater.
„Schatz, es tut mir leid.” Reid stand auf, um sie zu umarmen, doch Maya war schneller. Sie legte ihre Arme um ihre jüngere Schwester, während Sara in ihre Schulter schluchzte. Reid konnte nichts weiter tun, als ungelenk dazustehen und sie zu beobachten. Keine tröstenden Worte kam ihm in den Sinn. Jeglicher Ausdruck von Zärtlichkeit, den er anböte, stellte kaum mehr als ein Pflaster auf einer Einschusswunde dar.
Maya ergriff eine Serviette vom Tisch und tupfte damit sanft die Wangen ihrer Schwester, strich ihr das blonde Haar von der Stirn. „Hey”, flüsterte sie. „Warum gehst du nicht hoch und legst dich ein Weilchen hin? Ich komme gleich nach und schaue nach dir.”
Sara nickte und schniefte. Sie stand wortlos vom Tisch auf und schlurfte aus dem Esszimmer auf die Treppen zu.
„Ich wollte sie nicht aufregen...”
Maya drehte sich zu ihm, mit den Händen auf den Hüften. „Warum hast du dann wieder darüber reden müssen?”
„Weil sie kaum zwei Worte mit mir darüber gesprochen hat!” verteidigte sich Reid. „Ich will, dass sie weiß, dass sie mit mir reden kann.”
„Sie will nicht mit dir darüber reden”, platze es aus Maya. „Sie will mit niemandem darüber reden!”
„Dr. Branson sagt, dass es therapeutisch ist, über vergangenes Trauma zu sprechen...”
Maya schnaubte laut. „Und du glaubst, dass Dr. Branson jemals so etwas mitgemacht hat, was Sara widerfahren ist?”
Reid atmete tief durch, zwang sich, die Ruhe zu bewahren und nicht zu streiten. „Wahrscheinlich nicht. Aber sie behandelt CIA Agenten, militärisches Personal, alle möglichen Arten von Trauma und posttraumatischer Belastungsstörungen -”
„Sara ist aber kein CIA Agent”, gab Maya schroff zurück. „Sie ist kein Elitesoldat oder Mitglied der Navy. Sie ist ein vierzehnjähriges Mädchen.” Sie strich sich durchs Haar und seufzte. „Du willst es wissen? Du willst darüber sprechen, was passiert ist? Na gut: Wir sahen Herrn Thompsons Leiche, bevor man uns entführte. Sie lag genau hier, im Eingang. Dann beobachteten wir diesen Verrückten dabei, wie er die Gurgel der Frau an der Autobahnraststätte durchschnitt. Ihr Blut war auf meinen Schuhen. Wir waren dabei, als die Menschenhändler ein weiteres Mädchen erschossen und sie im Kies liegen ließen. Sie versuchte, mir dabei zu helfen, Sara zu befreien. Ich wurde unter Drogen gesetzt. Wir wurden beide beinahe vergewaltigt. Und Sara... irgendwie schaffte sie es, sich gegen zwei erwachsene Männer zu wehren, von denen einer eine Waffe hatte, und dann ist sie bei voller Fahrt aus dem Zugfenster gesprungen.” Als sie zu Ende erzählt hatte, bebte ihre Brust, doch keine Tränen entrannen ihr.
Sie war nicht traurig darüber, die Ereignisse des letzten Monats wieder zu erleben. Sie war wütend.
Reid sank langsam auf einen Stuhl. Er wusste über das meiste, was sie ihm gesagt hatte, Bescheid, weil er ihnen auf der Spur war, doch er hatte keine Ahnung, dass ein weiteres Mädchen vor ihren Augen erschossen worden war. Maya hatte recht, Sara war nicht darauf vorbereitet, solche Dinge zu verarbeiten. Sie war nicht mal erwachsen. Sie war eine Jugendliche, die Dinge erlebt hatte, die jeden, egal ob er darauf trainiert war oder nicht, traumatisiert hätten.
„Als du auftauchtest”, fuhr Maya fort, ihre Stimme jetzt leiser, „als du uns endlich fandest, da warst du für uns wie ein Superheld oder so. Zu Beginn. Doch dann... als wir etwas Zeit hatten, um darüber nachzudenken... da ist uns bewusst geworden, dass wir nicht wissen, was du sonst noch vor uns versteckst. Wir sind uns nicht sicher, wer du wirklich bist. Weißt du, wie viel Angst uns das macht?”
„Maya”, antwortete er sanft, „ihr müsst niemals Angst vor mir haben -”
„Du hast Leute umgebracht.” Sie zuckte mit einer Schulter. „Einen ganzen Haufen. Stimmt’s?”
„Ich...” Reid musste sich daran erinnern, sie nicht anzulügen. Er hatte versprochen, dass er es nicht mehr täte, soweit das möglich wäre. Stattdessen nickte er nur.
„Du bist nicht die Person, die wir dachten, die du seist. Es wird ein Weilchen dauern, bis wir uns daran gewöhnen. Das musst du akzeptieren.”
„Du sagst ständig ,wir’”, murmelte Reid. „Spricht sie mit dir?”
„Ja. Manchmal. Seit der letzten Woche schläft sie in meinem Bett. Alpträume.”
Reid seufzte traurig. Vorbei mit der sorglosen, freudigen Dynamik, die ihre kleine Familie einst genoss. Er wusste, dass die Dinge sich für alle und zwischen allen geändert hatten - vielleicht für immer.
„Ich weiß nicht, was tun”, gab er leise zu. „Ich will für sie da sein, für euch beide. Ich will euch unterstützen, wenn ihr es braucht. Doch das kann ich nicht, wenn sie nicht mit mir darüber spricht, was in ihr vorgeht.” Er blickt zu Maya auf und fügte hinzu: „Sie hat dich immer bewundert. Vielleicht kannst du jetzt ihr Vorbild sein. Ich glaube, dass es euch beiden guttäte, wenn ihr wieder eine Routine aufnehmt, versucht, ein normales Leben zu führen. Beende zumindest deinen Unterricht in Georgetown. Die lassen dich vermutlich auch nicht dort studieren, wenn du ein ganzes Semester nicht bestehst.”
Maya war für einen langen Moment still. Schließlich sagte sie: „Ich glaube, ich will gar nicht mehr an der Uni Georgetown studieren.”
Reid runzelte die Stirn. Georgetown war ihr erste Wahl von Universitäten, seit sie nach Virginia gezogen waren. „Wo denn dann? Die Universität von New York?
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will nach West Point.”
„West Point”, wiederholte er