Морган Райс

Nur den Tapferen


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sagte Garet und schüttelte den Kopf. „Nein, nein, nein.“

      „Doch“, sagte Raymond. „Darauf haben wir keinen Einfluss, aber wir können unserem Tod mit erhobenem Haupt entgegensehen. Wir können ihnen zeigen, wie aufrichtige Menschen sterben. Wir können uns weigern, ihnen die Angst zu geben, die sie in uns sehen wollen.“

      Er sah, wie Garet erbleichte und dann nickte.

      „In Ordnung“, sagte sein Bruder. „Das kann ich tun.“

      „Ich weiß, dass du das kannst“, sagte Raymond. „Ihr könnt alles schaffen, beide von euch. Ich will damit sagen...“ Wie konnte er all das nur in Worte fassen? „Ich liebe euch beide, und ich bin so dankbar, euer Bruder zu sein. Falls ich sterben muss, dann bin ich froh, es zumindest mit den besten Menschen in dieser Welt zu tun.“

      „Falls“, sagte Lofen. „Noch ist es nicht so weit.“

      „Falls“, stimmte Raymond zu, „doch sollte es so weit kommen, dann will ich, dass ihr das wisst.“

      „Ja“, sagte Lofen. „So geht es mir auch.“

      „Mir auch“, sagte Garet.

      Raymond saß in seinem Käfig und versuchte, tapfer dreinzuschauen, für seine Bruder und all jene, die ihnen zusahen, denn, da war er sich sicher, es musste etwas oder jemanden geben, der sie von den Ruinen des Turms aus beobachtete. Er versuchte, nicht an die Wahrheit zu denken: Es gab kein „falls“ hier. Raymond konnte schon jetzt sehen, wie die ersten Aasgeier sich in den Bäumen sammelten. Sie würden sterben. Es war nur die Frage, wie lange es dauern würde und wie schrecklich dazu.

      KAPITEL FÜNF

      Royce kniete in der Asche des Hauses seiner Eltern. Verkohlte Holzteilchen bröckelten aus dem übriggebliebenen Gerippe wie die Tränen, die sich in reinigenden Bahnen ihren Weg über Royces Wangen und Hals wuschen. Sie bildeten kleine Rinnsale, die sich durch die Asche und den Dreck, die sein Gesicht nun bedeckten, gruben und Streifen hinterließen, die ihn seltsam aussehen ließen. Doch all das war Royce egal.

      Alles was jetzt zählte war, dass seine Eltern tot waren.

      Kummer erfüllte Royce als er hinab zu den Leichen seiner Eltern blickte. Sie lagen ungewöhnlich friedlich da trotz der Flammen, die hier gewütet haben mussten. Er wollte die Welt entzweien so wie er die zunehmend aschigen Strähnen seines Haares mit den Fingern entzweite. Er wollte einen Weg der Wiedergutmachung finden, doch nichts konnte wiedergutgemacht werden, und so schrie Royce seine Wut und seinen Kummer dem Himmel entgegen.

      Er hatte den Mann gesehen, der ihm all das angetan hatte. Royce hatte ihn nach seiner Tat auf der Straße gesehen, so ruhig als wäre nichts geschehen. Der Mann hatte ihn sogar unbewusst vor den Soldaten, die auf dem Weg in sein Dorf gewesen waren, gewarnt. Welcher Mörder tat so etwas? Welcher Mörder tötete und postierte seine Opfer dann so als machte er sie für ein ehrenhaftes Begräbnis bereit?

      Doch das hier war kein Grab, und so lief Royce zur Rückseite des Hofes und fand Dechsel und Schippe. Er begann zu graben, denn er wollte das Fleisch seiner Eltern nicht den nächsten Raubvögeln überlassen. Der Boden war teilweise sehr dicht und verbrannt, sodass seine Muskeln von der Arbeit zu schmerzen begannen. Doch hatte Royce das Gefühl, dass er diesen Schmerz und diese Qual verdiente. Die Alte Lori hatte Recht gehabt... all das war nur seinetwegen geschehen.

      Er grub das Grab so tief er konnte und legte dann die Körper seiner Eltern hinein. Dann stand er am Rand der Grube und suchte nach den richtigen Worten. Doch ihm fiel nichts ein, das seinen Eltern auf dem Weg in den Himmel geholfen hätte. Er war kein Priester und wusste nichts von dem, was den Göttern gefiel. Er war auch kein wandernder Geschichtenerzähler, der immer die richtigen Worte fand ob nun bei einem wilden Fest oder im Fall des Todes.

      „Ich liebe euch beide so sehr“, sagte er anstatt. „Ich... ich wünschte, ich könnte noch etwas anderes sagen, aber alles würde letztlich darauf hinauslaufen.“

      Er begrub sie so fürsorglich er konnte, doch jede Schippe Erde, die auf ihren Leichen landete, war wie ein Hammerschlag. Royce konnte über sich den Schrei eines Habichts hören, und er scheuchte ihn davon. Es kümmerte ihn nicht, ob sich Krähen und Dohlen im restlichen Dorf an den dortigen Leichen vergingen. Das hier waren seine Eltern.

      Doch kaum hatte er das ausgedacht, da wusste Royce, dass es nicht genügen würde, nur sie zu begraben. Die Männer der Herzogs waren seinetwegen hierher gekommen; er konnte auch alle anderen nicht einfach den Raubvögeln überlassen. Er wusste auch, dass er keine Grube graben konnte, die tief und groß genug für alle Leichen gewesen wäre.

      Ihm würde nichts anderes übrigbleiben, als ein großes Feuer zu machen, das vollenden würde, was mit den Gebäuden begonnen hatte. So fing Royce an, durch das Dorf zu laufen und Holz zu sammeln. Er holte es aus einstigen Winterlagern und zog es aus den Überresten der Häuser. Die Balken waren am schwersten, doch hatte er genügend Kraft, sie zumindest über den Boden zu ziehen. Er stellte sie so auf, dass sie einander gegenseitig stützten und so den Grundstock seines Feuers bildeten.

      Es war schon vollkommen dunkel geworden, als Royce mit seiner Arbeit fertig war. Doch in einem Dorf voller Toter zu schlafen, war für ihn unvorstellbar. So suchte er vor den Häusern nach einer Laterne und fand schließlich, was er suchte. Die Hitze hatte sie nur ein wenig verbogen. Er zündete sie an, und im Schein der Laterne fing er an, die Toten zusammenzutragen.

      Er ließ keinen und keine außen vor, auch wenn es ihm das Herz brach. Jung und alt, Frauen und Männer, alle trug er sie zusammen. Er schleppte die schwersten und trug die leichtesten unter ihnen herbei und legte sie an ihren Platz in der Feuerstätte, denn er hoffte, dass sie zumindest so gemeinsam in das Jenseits eintreten konnten, wie auch immer diese Welt aussehen mochte.

      Er war beinahe bereit, das Feuer mit seiner Laterne zu entzünden als er sich an die Alte Lori erinnerte; er hatte sie bei seiner düsteren Arbeit übersehen, auch wenn er an der Mauer, an der sie zuletzt gelehnt hatte, mehr als ein dutzend Mal vorbeigekommen war. Vielleicht war sie doch noch nicht gestorben. Vielleicht war sie davongekrochen, um so zu sterben, wie sie es wollte oder Royce hatte sie schlichtweg nicht gesehen. Es erschien ihm falsch, sie von den anderen zu trennen, also machte er sich auf den Weg, ihre Überreste zu finden. Er kehrte zu der Stelle zurück, wo sie gelegen hatte und suchte im Lampenlicht den umliegenden Boden ab.

      „Suchst du irgendjemanden?“ fragte eine Stimme und Royce wirbelte herum. Seine Hand schnellte zu seinem Schwert bevor er eine Sekunde später die Stimme wiedererkannte.

      Es war Loris Stimme, und dann auch wieder nicht. Die Stimme war weniger brüchig und dünn als zuvor, weniger alt und ausgelaugt. Als sie in den Schein seiner Laterne trat bestätigte sich Royces Vermutung und noch viel mehr. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie eine alte, ausgebrannte Frau gewesen. Die Frau, die jetzt vor ihm stand, wirkte beinahe schon jung. Ihr Haar war voll, ihre Augen stechend und ihre Haut weich.

      „Was bist du?“ fragte Royce, und seine Hände griffen wieder nach seinem Schwert.

      „Ich bin, was ich schon immer gewesen bin“, sagte Lori. „Jemand, der beobachtet und lernt.“ Royce sah, wie sie an sich hinabblickte. „Ich habe dir doch gesagt, mich nicht zu berühren, Junge, mich einfach in Frieden sterben zu lassen. Hättest du nicht einfach auf mich hören können? Warum nur können alle Männer in deiner Familie nicht zuhören?“

      „Du glaubst, ich hätte das getan?“ fragte Royce. Dachte diese Frau – in der er immer noch Mühe hatte, Lori zu erkennen – , dass er eine Art Zauberer war?

      „Nein, du dummer Junge“, sagte Lori. „Ich habe das getan, in einem Körper, der mich nicht sterben lassen wollte. Die Berührung von dir, der du das Blut in dir trägst, genügte, um die Verwandlung in Gang zu bringen. Ich hätte wissen sollen, dass so etwas geschehen würde nachdem du als Baby vom Fluss angespült wurdest und in dieses Dorf kamst. Ich hätte diesen Ort