noch weit?«
»Wir sind gleich da, ein paar Minuten noch.« Ruhige Stimme, er konzentrierte sich aufs Fahren.
Gleich da! Wo? Da, wo er über sie herfallen wollte? Sie würde sich wehren!
Svenja, du spinnst! Der tut dir nichts!, beruhigte sie sich innerlich. Und wenn doch?
Er war stärker als sie. Wahrscheinlich wollte er erst Sex, bevor er sie umbrachte. Ja, das war ihre Chance! Sie würde sich zum Schein auf Sex mit ihm einlassen.
»Hab ich doch gewusst, dass du mich ficken willst«, würde sie sagen, ihn anlachen, ihn anfassen. Sie würde sich ausziehen, ihn mit ihren Brüsten ablenken. Sie würde ihn bitten, seinen Schwanz lutschen zu dürfen. Und dann würde sie ihn abbeißen und gleichzeitig so fest an seinen Eiern reißen wie sie konnte! Ja, so würde sie es machen. Sie hätte dann Zeit genug, mit dem Auto zu flüchten.
Wieder blickte sie ihn von der Seite an. Er starrte in die Dunkelheit, auf den Lichtkegel, den die Scheinwerfer auf den Schotter der Straße warfen.
Ich in vorbereitet! Wag es nicht, mich anzufassen!, sagte sie sich und ballte innerlich die Fäuste. Nicht zu früh eingreifen! Angespannt wartete sie auf den Moment, in dem er von der Straße in den Busch fahren würde.
Sie durchquerten einen kleinen Wald. Gleich. Gleich würde es losgehen!
Hinter einer Kurve tauchte eine Laterne die inzwischen asphaltierte Straße in ein mattes Licht, rechts wieder weiter Blick ins Tal, links eine Natursteinmauer, auf der das beleuchtete Emblem der Anlage stand: »Spíti Danae«
»So, da wären wir«, sagte Hannes lächelnd.
Svenja fiel ein Stein vom Herzen und sie schämte sich wegen ihres Misstrauens.
Die beiden stiegen aus, wobei Hannes sein Gepäck im Auto ließ, Svenja ihre Reisetasche aber lieber mitnahm.
Die Treppe, der sie nun folgten, führte sie in einen kleinen Innenhof. Eine Tür öffnete sich und ein Mann im Alter von Hannes trat heraus. Freundschaftlich begrüßten sich die beiden und umarmten sich.
»Ach, Hannes«, lachte der andere Mann und kam auf Svenja zu, »du hast gleich deine Muse mitgebracht!«
»Svenja, das ist Alex«, machte Hannes die beiden miteinander bekannt.
Alex umarmte sie genauso herzlich wie Hannes eben zuvor. »Die Muse Svenja, die Göttin der Künste«, sagte er und strahlte sie an. »Dein Name verrät mir, dass du die Göttin der nordischen Künste bist.«
Svenja, die seine herzliche Begrüßung erwidert hatte, wollte da was richtigstellen, aber Alex nahm die beiden rechts und links in den Arm und führte sie ins Innere der Anlage. Es war einfach wunderbar hier! Dezentes Licht beleuchtete das Ensemble an geschickt wieder hergerichteten Bauten dieser alten Domäne, Blumen überall und sogar ein Swimmingpool.
Eine der Türen öffnete er und sagte: »Voilá, euer Domizil! Tretet ein und habt viel Spaß miteinander.« Dann verabschiedete Alex sich.
Hannes führte Svenja herum. Unten war die Küche, rechts daneben ein Wohnbereich mit Fernseher und modernster Technik. Dahinter, durch einen Paravent abtrennbar, der untere Schlafraum, ihr Domizil. Auch hier war ein Eingang, der auf eine kleine Terrasse führte. Neben der Küche führte eine Treppe nach oben, hier war das Bad, noch ein paar Stufen weiter, der andere Wohnbereich, auch mit einer Terrasse versehen. Überall nobles Inventar und geschickt im historischen Stil dekoriertes Ambiente. Fantastisch!
Hannes holte sein Gepäck rein, Svenja machte es sich bequem. Als er fertig war, klopfte er brav an die Wand, bevor er ihren Bereich betrat, und fragte: »Hast du Lust, mit mir zu Abend zu essen?«
»Klar. Ist denn was da?«
»Unten hat Alex einen kleinen Laden eingerichtet. Hier gibt es ja kein Geschäft im Dorf. Was man von Alex’ mitnimmt, schreibt man auf und bezahlt bei Abreise.«
»Na, das nenn ich Vertrauen! Bringst du mir was mit?«
»Komm doch mit runter, wir suchen uns zusammen etwas aus.«
Kapitel 3
Mit Brot, Käse, Wurst und zwei Flaschen Rotwein kamen beide ins Zimmer zurück.
»Alle Lebensmittel sind von der Insel«, betonte Hannes. »Alex meint, dass die kretischen Produkte die Besten seien. Ich lad dich ein auf meine Terrasse, da hat man einen wunderbaren Blick ins Land.«
Svenja verstand, warum Hannes sich hier eingemietet hatte. Sie musste sich das Domizil merken, falls sie sich noch mal mit Maria hier treffen würde.
»Das ist also die Dachterrasse, die du so liebst … Ich muss zugeben, es ist wunderbar hier.«
»Nein, nein, die Dachterrasse ist hier drüber, hinten führt eine schmale Treppe hinauf. Ich zeig’s dir morgen.«
»Und warum ist die so wichtig für dich?«
»Da kann ich gut zeichnen. Ich zeichne gern.«
»Du malst Bilder? Ein Künstler also. Deswegen hat Alex mich auch als deine Muse bezeichnet, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich. Aber ich zeichne keine Menschen. Nur Landschaften und Pflanzen, hauptsächlich Tiere.«
»Aber da oben gibt es doch gar keine Tiere«, sagte sie grinsend.
Hannes lachte. »Für ein Bild mache ich erst eine Skizze und halte darin die wesentlichen Merkmale fest. Ein Pferd, zum Beispiel, hält ja nicht stundenlang still, bis ich fertig gezeichnet habe. Wenn ich dann Zeit und Muße habe, vervollständige ich das Bild in aller Ruhe.«
»Ist das komische Paket da hinten deine Staffelei?«
Er nickte. »Ganz recht.«
»Sind da Skizzen drin, die du auf dem Dach noch fertigstellen willst?«
»So ist es.«
Sie lachten sich an.
»Tiere zeichnen …«, sinnierte Svenja. »Wie kommt man darauf?«
»Ich habe eine Professur an der Zoologie in Frankfurt. Zu zeichnen angefangen habe ich, um die typischen Merkmale einer Art oder Rasse besser hervorzuheben. Auf Fotografien kommt das nicht immer ausreichend zur Geltung.«
»Aha«, sagte Svenja und dachte: Ein Professor, soso. Danach sah er nun eigentlich nicht aus.
»Auf Kreta gibt es eine Ziegenart, die nur hier vorkommt. Durch die Insellage hat sie sich anders entwickelt als ihre Artgenossen. Deswegen bin ich auch hier. Oben im Gebirge ist ein Tal, in dem diese fast ausgerottete Art noch lebt.«
»Deswegen hast du dir auch einen Geländewagen gemietet?«
»Genau. Ich will morgen da hin. Wenn du willst, kannst du ja mitkommen.«
Svenja lachte. Warum eigentlich nicht, dann würde sie wenigstens von ihrem Dilemma abgelenkt werden und auch noch andere Bereiche der Insel kennenlernen.
»Und dich hat der Urlaub hierher getrieben?«, fragte er.
Sie schwieg einen Moment, dann antwortete sie: »Tja, könnte man so nennen.« Und auf seinen fragenden Blick hin fuhr sie fort: »Ich habe mich mit meiner Freundin hier getroffen. Wir kennen uns schon von der Schule her.«
»Und wo ist deine Freundin jetzt?«
»Ihr Flieger wurde noch abgefertigt. Sie ist jetzt wieder in Kairo.«
»Aha.«
»Wir … Wir sind ein Liebespaar. Ich bin lesbisch, musst du wissen.« Kurz sah sie zu ihm auf, eine Reaktion erwartend, aber Hannes sah sie nur interessiert an. Also fuhr sie fort: »Das sind wir schon seit Schulzeiten. Damals hatten wir den ersten Sex miteinander und sie ist bis heute meine einzige große Liebe. Unsere Wege haben sich getrennt, aber zweimal im Jahr treffen wir uns irgendwo am Mittelmeer.« Wehmut lag in ihrer Stimme.
Einen Moment schwiegen sie.
»Und warum zieht ihr nicht