verging schnell. Ich aß mein Sandwich und unterhielt mich mit Olivia über unsere Firma. Es war sehr interessant, da ich nun auch einige Interna erzählt bekam, von denen ich das Gefühl hatte, dass Olivia sie dringend jemandem anvertrauen wollte.
***
Mit einem Ruck erwachte ich. Der Bus fuhr durch große Felsschluchten, die mit Tannen bewachsen waren. Ich suchte mit einem Rundrumblick das Hotel, konnte aber keins entdecken. Dann blickte ich auf die Uhr und fragte mich, ob wir hier nur kurz rasten wollten. Doch es war viertel nach zwölf. Wir mussten da sein. Der Bus hielt. Vor uns waren ein paar Holzhütten zu sehen.
»Sind wir schon da?«, fragte ich Olivia.
»Ja. Schön hier, nicht wahr!«
Ich nickte, unfähig zu sprechen. Die zwölf Leute, die mit uns im Bus gefahren waren, packten ihre Sachen und redeten aufgeregt, stiegen schließlich aus. Olivia und ich bildeten das Schlusslicht. Zielstrebig liefen die Seminarteilnehmer auf eine der Holzhütten zu, auf der groß das Schild »Rezeption« prangte. Lachend kamen uns Leute entgegen. Einige trugen Blöcke und Staffeleien mit sich fort.
Wir gingen in die Dunkelheit der Rezeption. Nach einer Weile waren wir endlich dran und bekamen unsere Hütte zugeteilt. Mit einer Hand deutete die Rezeptzionistin nach links, sagte, dass sich dort die Toiletten befänden, deutete mit der anderen Hand nach rechts und erzählte, dass sich dort die Duschen befänden.
»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte ich Olivia nach meiner ersten Sprachlosigkeit.
»Aber ja! Es ist doch traumhaft schön hier, findest du nicht?«
»Doch, schon, aber ... Ich glaube, ich habe etwas anderes erwartet.«
»Ja? Was denn?«
Diese Frage haute mich um. Es lag doch auf der Hand, dass man ein richtiges Hotel erwartete, in dessen Räumen dann auch das Seminar abgehalten wurde. Mit kleinen Wasser- und Cola-Fläschchen auf dem Tisch und Tellern mit leckeren Keksen für Zwischendurch.
»Ich dachte an ein Hotel«, gab ich zu.
»Aber das ist doch ein Hotel.«
»Aber ...«, ich winkte ab, »ist ja auch egal.«
Olivia lachte. »Ja, ich weiß schon, was du meinst, aber das hier wird dir ewig in Erinnerung bleiben. Es ist urig und originell.«
Im Stillen gab ich Olivia recht.
Wir mussten lange laufen, denn ich hatte nicht erwartet, dass sich hier so viele Hütten befinden würden. Zwischen den hohen Bergen, wo unsere Hütten in dieser Talsenke standen, verlief ein Wasserlauf, an dem einige Angler saßen und stumm vor sich hin warteten.
»So, hier ist meine Hütte. Du bist bestimmt nicht weit entfernt davon.«
Olivia hatte recht, schon die nächste Unterkunft war meine. »Horse-Shoe« stand über der Tür. Jede Hütte hatte seinen Namen. Ich schloss auf und war voller Erwartungen, die allerdings nicht sehr hochgesteckt waren. Doch es war ein süßes, kleines Zimmer mit einem Bett in der Ecke, einem Schreibtisch, einem großen Kleiderschrank samt Spiegel und einem Waschtischchen mit fließendem Wasser. Ich öffnete die Holzfensterläden und ließ die Sonne ins Zimmer. Der Blick war wunderschön. Direkt auf den Fluss und ins hohe, saftige Gras. Am Horizont die Bergkette mit den dunkelgrünen Tannen. Auf der linken Seite konnte ich die Hütte Olivias sehen. Sie hielt ihren Kopf aus dem Fenster, hatte die Augen in der Sonne geschlossen und genoss die Wärme. Ich tat es ihr nach.
»Hallo, Chalet! Ist das nicht herrlich hier?«
»Ja, stimmt, es ist wirklich traumhaft schön.«
»Verstehst du jetzt, was ich meine? Das bekommt kein einziges Hotelzimmer hin.«
Ich nickte. »Ja, da hast du völlig recht.«
Summend packte ich meine Sachen aus und wechselte meinen dicken Pullover gegen ein T-Shirt mit einer dünnen grauen Strickjacke darüber. Dann machte ich mich auf den Weg zu Olivias Hütte und nahm sie mit zum Mittagessen.
»Das nenne ich Service. Kaum angekommen, schon gibt’s etwas zu essen. Aber ich denke, wir müssen heute noch ran. Ich bin mal gespannt, wie der Seminarleiter ist.« Olivia kicherte wie ein kleines Mädchen. Sie kam mir, seitdem wir aus dem Bus gestiegen waren, sowieso völlig verändert vor. Sie war locker, ungezwungen und fröhlich. Ich hatte das Gefühl, sie hätte ihre Firmenmaske im Bus liegen gelassen.
***
Die Seminarteilnehmer bestanden aus zehn Leuten, fünf Männern und fünf Frauen. Der Kurs fand ebenfalls in einer der kleinen Blockhütten statt. Mit Schwung betrat ein gut aussehender Mann, ich schätzte ihn auf Mitte dreißig, die Hütte.
»Sorry, Leute, sorry. Habe mich ein bisschen festgequatscht. Wie ich sehe, haben Sie es alle gefunden.« Er setzte sich an einen leeren Tisch und blätterte in einigen Zetteln. »Und, soweit mein Auge es überblicken kann, sind alle vollzählig.« Er lächelte und zeigte eine Reihe guter Zähne.
Ich fand ihn sehr attraktiv und bemerkte, wie Olivia auf ihrem Stuhl sichtlich nervös wurde. Aha, sie hatte also den gleichen Geschmack wie ich, wobei man allerdings bei so einer Art von Mann nicht vom gleichen Geschmack reden brauchte. Denn wer den nicht mag, mag auch Brad Pitt, Kevin Costner und Pierce Brosnan nicht, ganz zu schweigen von Mel Gibson …
Ich bemerkte den Blick, den der Seminarleiter schließlich Olivia zuwarf, doch auch bei mir blieb er hängen. Mein Herz klopfte laut.
»So, liebe Leute, mein Name ist Larry Thurman. Ich denke, wir können uns aber auf unsere Vornamen beschränken, oder?!«
Allgemeines Nicken und Raunen.
»Gut. Also, was wir heute machen werden, ist nicht mehr sehr viel. Es wird eine Vorstellrunde geben, denn ich denke, es macht es uns vertrauter und leichter, miteinander umzugehen. Dann habe ich nur noch auf dem Zettel, zu umreißen, was auf euch in den folgenden drei Tagen zukommen wird. Fragen?«
Ich war beeindruckt. Larry Thurman war locker, sympathisch und smart. Wie konnte es sein, dass jemand so viele Komponenten in sich vereinigte?
Ein Seitenblick Olivias ließ mich zu ihr hinschauen. Sie lächelte und zog die Augenbrauen hoch. Ich nickte ihr zu. Ich war froh, dass wir uns anscheinend besser verstanden, als ich zu hoffen gewagt hatte. Noch vor der Reise war ich unsicher, tat es aber unter dem Motto ab, es wäre alles rein geschäftlich. Dass dieses Seminar aus uns so etwas wie Verbündete machte, daran hätte ich nie gedacht. Obwohl es auch zu Komplikationen kommen konnte, indem wir beide den gleichen Mann mochten. Im Stillen beschloss ich, Olivia den Vortritt zu lassen. Letztendlich würde sich jeder Mann doch für das hübschere und beruflich erfolgreichere Modell entscheiden, und das war unumstritten Olivia.
Ich seufzte, hörte nur mit halbem Ohr hin, was die anderen Kursteilnehmer erzählten, denn meine Gedanken hingen an Larry. Er hatte sich inzwischen auf seinen Tisch gesetzt, einen Arm vor der Brust verschränkt, den anderen, die Hand aufs Kinn legend, hochgestellt und den Kopf schief gelegt. Da er nun auf dem Tisch saß, wirkten seine Oberschenkel noch breiter, als sie in Wirklichkeit waren. Ich stellte mir vor, wie sie sich zwischen meine Beine pressen würden. Mein Blick wanderte höher zu seiner versteckten Männlichkeit. Der Stoff der Jeans spannte sich dort ziemlich.
Ich erschrak, als ich Larrys Blick bemerkte, denn meine Augen hatten seinen Körper ziemlich ungeniert abgetastet. Im meinem Herz polterte es los und ich schaute schnellstens auf meinen Karoblock. Hatte er gesehen, wie ich seine Jeans taxiert hatte? Aber ich konnte doch unmöglich die einzige Frau sein, die das tat. Olivia hatte ihn bestimmt schon voll im Visier. Ich versuchte, einen Blick von ihr zu erhaschen. Zu meiner Verwunderung war sie an die sprechenden Teilnehmer gewandt. Ich gab mir einen Ruck und zwang mich, nicht mehr an Larry zu denken, sondern den anderen Leuten zuzuhören. Ich verstand mich nicht, normalerweise war ich eine vorbildliche Seminarteilnehmerin: immer dabei, immer am Unterrichtsstoff interessiert. Doch der gut aussehende Larry lenkte mich einfach zu sehr ab. Erneut blickte ich zu ihm hin und er zu mir zurück, wobei er fragte: »Und wie ist Ihr Name?«
Völlig überrumpelt, dass er mich vor allen so offiziell