musst, kann ich dich mitnehmen.«
Und als ob sie den anderen jeden Abend nach Hause brächten, gingen sie hinaus und stiegen in die Droschke.
Dem alten Jolyon kam es vor, als sei sein Sohn gewachsen. »Irgendwie mehr ein richtiger Mann«, bemerkte er für sich. Über das von Natur aus liebenswürdige Gesicht seines Sohnes hatte sich eine zynische Maske gelegt, als ob er das Gefühl gehabt hätte, die Umstände seines Lebens bedürfen einer Rüstung. Seine Züge waren ohne Zweifel die eines Forsyte, doch sein Gesichtsausdruck war eher so nach innen gekehrt wie der eines Studenten oder Philosophen. Er hatte sich mit Sicherheit gezwungenermaßen sehr viel mit seinem Innenleben beschäftigen müssen während jener fünfzehn Jahre.
Für den jungen Jolyon war der Anblick seines Vaters im ersten Moment zweifelsohne ein Schock gewesen – er sah so alt und erschöpft aus. Doch als sie dann in der Droschke saßen, kam es ihm so vor, als habe er sich kaum verändert. Er hatte noch immer diesen ruhigen Blick, an den er sich so gut erinnerte, noch immer scharfe Augen und eine aufrechte Haltung.
»Du siehst gut aus, Papa.«
»Ach, es geht so«, antwortete der alte Jolyon.
Ihn quälte eine Sorge, die er meinte, aussprechen zu müssen. Jetzt, wo er seinen Sohn so wiederbekommen hatte, hatte er das Gefühl, ihn nach seiner finanziellen Lage fragen zu müssen.
»Jo«, sagte er, »ich wüsste gern, wie deine Situation ist. Ich nehme an, du hast Schulden?«
Er formulierte es so, um es seinem Sohn leichter zu machen, es zuzugeben. Der junge Jolyon antwortete mit seiner ironisch klingenden Stimme: »Nein! Ich habe keine Schulden!«
Der alte Jolyon merkte, dass er verärgert war, und berührte seine Hand. Das Risiko war er eingegangen. Dennoch hatte es sich gelohnt, und Jo war ihm noch nie lange böse gewesen. Sie fuhren weiter bis Stanhope Gate, ohne dass einer der beiden noch etwas sagte. Der alte Jolyon lud ihn ein, mit hineinzukommen, aber der junge Jolyon schüttelte den Kopf.
»June ist nicht da«, beeilte sich sein Vater zu sagen. »Sie ist für einen Besuch verreist. Du weißt wahrscheinlich, dass sie verlobt ist, oder?«
»Schon?«, murmelte der junge Jolyon.
Der alte Jolyon stieg aus, und als er den Fahrer bezahlte, verwechselte er zum ersten Mal in seinem Leben einen Sovereign mit einem Shilling. Der Kutscher steckte die Münze zwischen die Zähne, gab dem Pferd verstohlen einen Peitschenhieb und fuhr schnell davon.
Der alte Jolyon drehte den Schlüssel sachte im Schloss, öffnete die Tür und winkte ihn herein. Sein Sohn sah, wie er mit gewichtigem Ausdruck seinen Mantel aufhängte, einem Ausdruck wie dem eines Jungen, der Kirschen stehlen wollte.
Die Esszimmertür stand offen, das Gaslicht brannte schwach. Auf einem Teebrett zischte ein Spirituskocher und dicht neben ihm schlief eine zynisch dreinblickende Katze auf dem Esstisch. Der alte Jolyon verscheuchte sie. Durch den Zwischenfall konnte er etwas an Emotionen herauslassen. Er wedelte mit seinem Zylinder hinter ihr her.
»Sie hat Flöhe«, sagte er und folgte ihr aus dem Zimmer. In der Eingangshalle rief er noch ein paar Mal »Sch!« durch die Tür, die zum Keller führte, als ob er der Katze beim Verschwinden helfen wollte, bis durch einen seltsamen Zufall der Butler unten auftauchte.
»Sie können zu Bett gehen, Parfitt«, sagte der alte Jolyon. »Ich schließe dann ab und mache das Licht aus.«
Als er wieder ins Esszimmer zurückging, schlich sich die Katze unglücklicherweise an ihm vorbei, den Schwanz in die Höhe gestreckt, als ob sie zeigen wolle, dass sie das Manöver mit dem Butler von vornherein durchschaut hatte … Die häuslichen Kriegslisten des alten Jolyon hatten noch nie funktioniert.
Der junge Jolyon konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Mit Ironie kannte er sich nur zu gut aus, und alles an diesem Abend erschien ihm ironisch. Die Sache mit der Katze, die Nachricht von der Verlobung seiner eigenen Tochter. Also hatte er nicht mehr Anteil an ihr als an der Katze! Die poetische Gerechtigkeit der Sache gefiel ihm.
»Wie sieht June denn jetzt aus?«, fragte er.
»Sie ist ein kleines Ding«, erwiderte der alte Jolyon. »Alle meinen, sie käme nach mir, aber das ist Unsinn. Sie kommt eher nach deiner Mutter – die gleichen Augen und Haare.«
»Ah, und ist sie hübsch?«
Der alte Jolyon war zu sehr Forsyte, um frei heraus seine Anerkennung zu zeigen, besonders wenn es um etwas ging, für das er aufrichtige Bewunderung empfand.
»Schlecht sieht sie nicht aus – hat ein echtes Forsyte-Kinn. Es wird einsam sein hier ohne sie, Jo.«
Der Ausdruck im Gesicht seines Vaters erschreckte ihn erneut, so wie es sein Anblick im ersten Moment getan hatte.
»Was wirst du dann mit dir anfangen, Papa? Ihre Welt dreht sich jetzt wahrscheinlich nur um ihn, oder?«
»Mit mir anfangen?«, wiederholte der alte Jolyon mit einem verärgerten Zittern in der Stimme. »Es wird einfach furchtbar sein, allein hier zu leben. Ich weiß nicht, wie das noch enden soll. Ich wünschte bei Gott …« Er hielt inne, um sich zu fangen, und fügte dann hinzu: »Die Frage ist, was mache ich dann mit diesem Haus?«
Der junge Jolyon sah sich im Zimmer um. Es war seltsam groß und düster, geschmückt mit den riesigen Stillleben, an die er sich noch aus seiner Kindheit erinnerte – schlafende Hunde, deren Schnauzen auf einem Bund Karotten ruhten, zusammen mit Zwiebeln und Trauben, die etwas überrascht nebeneinanderlagen. Das Haus war kostspielig und brachte mehr Ärgernis als Nutzen, doch er konnte sich seinen Vater in keiner kleineren Wohnung vorstellen. Und umso mehr wirkte das alles ironisch.
In seinem großen Sessel mit Lesepult saß der alte Jolyon, Gallionsfigur seiner Familie, seiner Klasse und seiner Weltanschauung, mit seinem weißen Haar und der hohen, gewölbten Stirn, Verfechter von Mäßigung, Ordnung und Liebe zu Besitz. Der einsamste alte Mann in ganz London.
Da saß er im düsteren Komfort seines Zimmers, eine Marionette in den Händen großer Mächte, die sich unbeeindruckt von Familie oder Klasse oder Weltanschauung wie Maschinen in schrecklichen Schritten auf unergründliche Ziele zubewegten. So erschien es dem jungen Jolyon als neutralem Betrachter.
Armer alter Papa! Das war also das Ende, das Ziel, auf das er mit so bewundernswerter Mäßigung hingelebt hatte! Einsam zu sein und immer älter zu werden und sich dabei so sehr nach jemandem zum Reden zu sehnen!
Der alte Jolyon wiederum sah seinen Sohn an. Er wollte über so vieles reden, über das er all die Jahre nicht hatte reden können. June hatte er unmöglich ernsthaft anvertrauen können, dass er überzeugt war, dass der Wert von Grundstücken in Soho steigen würde. Oder dass es ihm Unbehagen bereitete, dass Pippin, der Verwalter der New Colliery Company, deren Vorsitzender er so lange gewesen war, nie auch nur einen Ton von sich gab. Oder wie sehr es ihn aufregte, dass die American Golgothas immerzu sanken. Es war nicht einmal möglich gewesen, darüber zu reden, wie er am besten durch irgendeine finanzielle Vereinbarung jene Erbschaftssteuern umgehen konnte, die mit seinem Tod anfallen würden. Unter dem Einfluss einer Tasse Tee, in der er endlos zu rühren schien, fing er dann doch endlich an zu reden. Damit eröffnete sich eine neue Perspektive in seinem Leben, ein gelobtes Land der Gespräche, das ihm ein schützender Hafen inmitten der Wogen von Erwartungen und Reue sein konnte, wo er seine Seele mit dem Opium des Planens von Möglichkeiten zur Abrundung seines Vermögens zur Ruhe kommen lassen und den einzigen Teil von ihm, der auch nach seinem Tod noch da sein würde, unsterblich machen konnte.
Der junge Jolyon war ein guter Zuhörer, das war seine Stärke. Er blickte seinen Vater unentwegt an und stellte hin und wieder eine Frage.
Die Uhr schlug eins, bevor der alte Jolyon zu Ende geredet hatte, und mit dem Klang der Uhr kehrten seine Prinzipien wieder zurück. Überrascht holte er seine Uhr hervor: »Ich muss ins Bett, Jo«, sagte er.
Der junge Jolyon stand auf und streckte seinem Vater die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Das alte Gesicht sah wieder erschöpft und eingefallen aus, er hielt den Blick geflissentlich abgewandt.
»Mach’s