gewann, ihm ihre Sympathie. Zum Starez Sossima ging Vater Ferapont nie. Er wohnte zwar in der Einsiedelei, aber man belästigte ihn nicht sonderlich mit den dort geltenden Geboten, wiederum weil er sich geradezu wie ein religiöser Irrer benahm. Er war mindestens fünfundsiebzig Jahre alt und wohnte hinter den Bienenstöcken der Einsiedelei, in einer alten, halbzerfallenen, hölzernen Zelle in einem Mauerwinkel; sie war bereits im vorigen Jahrhundert für einen anderen großen Faster und Schweiger errichtet worden, für Vater Jona, der es auf hundertundfünf Jahre gebracht hatte und von dessen Taten man sich im Kloster und in der Umgegend noch immer seltsame Geschichten erzählte. Vater Ferapont hatte vor sieben Jahren endlich durchgesetzt, daß auch er in dieser abgelegenen kleinen Zelle, die eigentlich eine einfache Hütte war, wohnen durfte. Die Hütte hatte allerdings Ähnlichkeit mit einer Kapelle, denn sie enthielt viele gestiftete Heiligenbilder, und vor diesen brannten gestiftete Ewige Lämpchen, die zu beaufsichtigen gewissermaßen Vater Feraponts Amt war. Er aß, wie man sagte, und das war, die Wahrheit, in drei Tagen nicht mehr als zwei Pfund Brot, das ihm alle drei Tage der ebenfalls in der Nähe der Bienenstöcke wohnende Imker brachte; auch zu ihm sprach Vater Ferapont selten ein Wort. Diese vier Pfund Brot bildeten zusammen mit dem sonntäglichen Weihbrot, das der Abt dem »Gerechten« regelmäßig nach der Spätmesse sandte, seine ganze Wochennahrung. Das Wasser in seinem Krug aber wurde täglich erneuert. Zum Gottesdienst erschien er nur selten. Verehrer, die ihn besuchten, sahen ihn manchmal den ganzen Tag im Gebet verharren, ohne daß er sich von den Knien erhob oder um sich blickte. Wenn er sich wirklich einmal in ein Gespräch einließ, so sprach er kurz, abgehackt, seltsam und beinahe grob. Es kam jedoch, wenn auch sehr selten, vor, daß er sich vor den Besuchern gesprächig zeigte; meist aber sprach er nur ein seltsames Wort, das dem Besucher ein Rätsel aufgab und das er, allen Bitten zum Trotz, nicht erklärte. Einen geistlichen Rang hatte er nicht, er war nur ein einfacher Mönch. Es ging das sonderbare Gerücht, allerdings nur unter ungebildeten Leuten, Vater Ferapont verkehre mit himmlischen Geistern und spreche nur mit ihnen, deshalb sei er Menschen gegenüber so schweigsam.
Nachdem sich der Mönch aus Obdorsk zu den Bienenstöcken hingefunden hatte, begab er sich nach den Hinweisen des Imkers, auch eines schweigsamen, finsteren Mönchs, in jenen Winkel, wo Vater Feraponts Zelle stand. »Vielleicht wird er mit dir, einem Fremden, reden. Es kann aber auch sein, daß du kein Wort zu hören bekommst«, sagte ihm der Imker im voraus. Der Mönch näherte sich der Zelle, wie er später selbst erzählte, mit großer Furcht. Es war ziemlich spät. Vater Ferapont saß vor der Tür der Zelle auf einem niedrigen Bänkchen. Über ihm rauschte eine mächtige Ulme. Die Abendkühle war bereits fühlbar. Der Mönch aus Obdorsk fiel vor dem »Gerechten« nieder, verbeugte sich bis zur Erde und bat um seinen Segen.
»Willst du, daß ich ebenfalls vor dir niederfalle, Mönch?« sagte Vater Ferapont. »Steh auf!«
Der Mönch erhob sich.
»Segne mich und sei gesegnet! Setze dich neben mich! Woher kommst du?«
Am meisten überraschte den Mönch, daß Vater Ferapont trotz seines zweifellos strengen Fastens und hohen Alters noch recht rüstig schien. Er war groß, hielt sich ungebeugt und hatte ein zwar mageres, aber doch frisches, gesundes Gesicht. Unzweifelhaft besaß er noch erstaunliche körperliche Kraft. Er war von athletischer Konstitution; trotz seines Alters war sein dichtes, früher schwarzes Kopf- und Barthaar noch nicht einmal vollständig ergraut. Seine Augen waren grau, groß und leuchtend, dabei auffallend weit geöffnet. Er trug einen langen rötlichen Bauernrock aus grobem »Sträflingstuch«, wie man früher sagte, und als Gurt einen dicken Strick. Hals und Brust waren nackt. Unter dem Rock hing ein dickes Leinwandhemd hervor, das seit Monaten nicht gewechselt und daher fast schwarz war. Angeblich trug er unter dem Rock dreißig Pfund schwere Büßerketten. Die nackten Füße steckten in alten Stiefeln, die beinahe auseinanderfielen.
»Aus einem kleinen Kloster in Obdorsk, ›Zum Heiligen Silvester‹«, antwortete der fremde Mönch demütig, während er den Einsiedler mit seinen flinken, neugierigen, etwas ängstlichen Äuglein betrachtete.
»Ich habe bei deinem Silvester gewohnt. Ist er gesund?«
Der Mönch stutzte.
»Unvernünftige Menschen seid ihr! Wie haltet ihr die Fasten ein?«
»Unsere Speisenordnung, entsprechend der alten Einsiedlerregel, ist folgende. In den Großen Fasten gibt es montags, mittwochs und freitags weder Mittag- noch Abendessen. Dienstags und donnerstags bekommt die Brüderschaft Weißbrot, Honigtrunk, Brombeeren oder Salzkohl und Haferbrei. Sonnabends Weißkohlsuppe, Nudeln aus Erbsenmehl, Grütze mit Hanfsaft, alles mit Öl. Sonntags gibt es zur Kohlsuppe trockenen Fisch und Grütze. In der Karwoche vom Montag bis Sonnabendabend, sechs Tage lang, Brot und Wasser, nur ungekochte Pflanzenkost, und auch das nur enthaltsam; wenn möglich, sollte man überhaupt nicht alle Tage Nahrung zu sich nehmen. Am Karfreitag wird nichts gegessen, ebenso am folgenden Sonnabend bis zur dritten Stunde, dann genießen wir etwas Brot mit Wasser und trinken eine Tasse Wein. Am Gründonnerstag essen wir Eingemachtes ohne Öl und trinken dazu bisweilen ein wenig Wein; denn laut Konzil zu Laodicea über den Gründonnerstag ziemt es sich nicht, in den Großen Fasten am Donnerstag der letzten Woche Dispens zu erteilen und so die ganze Fastenzeit zu entehren. So wird es bei uns gehalten. Aber was ist das im Vergleich mit Ihnen, großer Vater«, fügte der Mönch, schon etwas dreister geworden, hinzu. »Denn Sie leben das ganze Jahr, sogar am heiligen Osterfest, von Brot und Wasser, und die Brotmenge, die wir in zwei Tagen verzehren, reicht Ihnen für die ganze Woche. Wahrhaft bewundernswert, diese Enthaltsamkeit.«
»Und die Pfifferlinge?« fragte plötzlich Vater Ferapont.
»Welche Pfifferlinge?« fragte der Mönch erstaunt zurück.
»Ich werde von ihrem Brot abgehen, ich brauche überhaupt kein Brot. Ich werde einfach in den Wald gehen und von Pfifferlingen und Beeren leben. Aber die hier gehen nicht ab von ihrem Brot, sie sind dem Teufel verfallen. Heutzutage sagen die Ungläubigen, so zu fasten habe keinen Sinn. Hochmütig und heidnisch ist dieses Urteil!«
»Ach ja, das ist wahr«, sagte der Mönch seufzend.
»Hast du die Teufel bei ihnen gesehen?« fragte Vater Ferapont.
»Bei wem meinen Sie?« erkundigte sich schüchtern der Mönch.
»Ich war im vorigen Jahr am Pfingstsonntag beim Abt und bin seitdem nicht wieder da gewesen. Dem einen saß ein Teufel an der Brust und versteckte sich unter der Kutte, daß nur die Hörner herausguckten; bei einem zweiten sah einer zur Tasche heraus, seine Augen gingen schnell hin und her, weil er mich fürchtete; bei einem dritten saß einer im Bauch, in dem unsauberen Wanst, bei einem vierten gar hatte sich ein Teufel am Hals festgeklammert, er trug den Teufel und sah ihn nicht.«
»Und Sie ... Sie haben die Teufel gesehen?« fragte der Mönch.
»Ich sage dir ja, daß ich sie gesehen habe, ganz genau habe ich sie gesehen. Als ich vom Abt weggehen wollte, sah ich, wie sich einer hinter der Tür versteckte, ein kräftiger, anderthalb Eilen großer, mit einem dicken und langen schwarzbraunen Schwanz, und mit dem Ende dieses Schwanzes war er in die Spalte der Tür geraten. Ich aber, nicht dumm, schlug plötzlich die Tür zu und klemmte seinen Schwanz ein. Hei, wie er winselte, wie er sich wand! Ich machte dreimal das Zeichen des Kreuzes über ihn, und er verreckte wie eine zerdrückte Spinne. Jetzt ist er jedenfalls da in der Ecke verwest und stinkt, aber die sehen nichts und riechen nichts. Seit einem Jahr gehe ich nicht mehr hin. Nur dir, einem Fremden, erzähle ich es.«
»Furchtbar sind Ihre Worte! Aber wie steht es, großer gerechter Vater«, fragte der Mönch, immer mutiger werdend, »mit
dem ruhmvollen Gerücht über Sie, das sogar in ferne Gegenden gedrungen ist. Sie ständen mit dem Heiligen Geiste in
ständiger Verbindung?«
»Er kommt manchmal herabgeflogen.«
»Wie denn? In welcher Gestalt?«
»Als Vogel.«
»Der Heilige Geist in Gestalt einer Taube?«
»Mal der Heilige Geist, mal der Heiliggeist. Der Heiliggeist ist etwas anderes, der kommt auch