daß Sie bis dahin gesund sind.«
»Sie sind wohl nicht bei Verstand«, erwiderte Lisa nervös, »daß Sie diesen Scherz gleich zu einem solchen Unsinn ausspinnen! ... Ach, da kommt Mama zurück, vielleicht genau zur rechten Zeit. Mama, wie lange Sie immer wegbleiben! Wie ist das nur möglich? Da bringt Julija auch das Eis!«
»Ach, Lise, schrei nur nicht so, das ist die Hauptsache! Schrei nicht so! Von diesem Schreien wird mir ... Was soll ich denn machen, wenn du die Scharpie selbst an einen anderen Platz gelegt hast! Ich habe gesucht und gesucht ... Ich vermute, daß du es mit Absicht getan hast.«
»Ich konnte doch gar nicht wissen, daß er mit einem zerbissenen Finger zu uns kommt. Sonst hätte ich es vielleicht wirklich mit Absicht getan. Mama, mein Engel, Sie fangen an, außerordentlich geistreiche Dinge zu reden.«
»Meinetwegen geistreich, aber was für Empfindungen muß Alexej Fjodorowitschs Finger, muß alles andere bei mir wachrufen, Lise! Ach, lieber Alexej Fjodorowitsch, was mich tötet, sind nicht die Einzelheiten, nicht so ein Doktor Herzenstube, sondern alles zusammen, alles als Ganzes! Das ist es, was ich nicht ertragen kann.«
»Nun genug, Mama, genug von Doktor Herzenstube!« sagte Lisa lachend. »Reichen Sie mir schnell die Scharpie, Mama, und das Wasser! Es ist einfaches Bleiwasser, Alexej Fjodorowitsch, jetzt ist mir der Name eingefallen, aber es ist ein vorzügliches Mittel. Mama, denken Sie nur, er hat sich unterwegs auf der Straße mit Schulknaben geprügelt, und ein Junge hat ihn gebissen. Na, ist er da nicht selbst noch ein Junge, der reine Junge? Und kann er unter solchen Umständen etwa heiraten, Mama? Denn können Sie sich das vorstellen, er will heiraten, Mama? Stellen Sie sich ihn als Ehemann vor – na, ist das nicht zum Lachen, ist das nicht schrecklich?«
Lisa brach in ihr nervöses leises Lachen aus und sah Aljoscha dabei schelmisch an.
»Nun, wie er heiratet, Lise, und aus welchem Grund, ist ganz und gar nicht deine Sache ... Vielleicht war dieser Bursche tollwütig?«
»Ach, Mama! Gibt es etwa tollwütige Kinder?«
»Warum nicht, Lise? Als ob ich eine Dummheit gesagt hätte! Diesen Burschen hat ein toller Hund gebissen, und da ist er selber toll geworden und beißt den ersten besten, der ihm nahe kommt. Was für einen schönen Verband sie Ihnen gemacht hat Alexej Fjodorowitsch. Ich hätte das nie so gut fertigbekommen Haben Sie jetzt noch Schmerzen?«
»Nur geringfügig.«
»Und sind Sie nicht wasserscheu?« fragte Lisa.
»Nun hör auf, Lise! Was ich von dem tollwütigen Burschen gesagt habe, war vielleicht wirklich übereilt, aber du nutzt das nun gleich aus. Katerina Iwanowna hatte kaum erfahren, daß Sie hier sind, Alexej Fjodorowitsch, als sie auch zu mir kam. Sie möchte Sie dringend sprechen.«
»Ach, Mama! Gehen Sie allein zu ihr. Er kann jetzt nicht gleich kommen, er hat zu große Schmerzen.«
»Ich habe gar keine großen Schmerzen und kann sehr wohl zu ihr gehen ...«, sagte Aljoscha.
»Wie? Sie wollen fortgehen? Also so sind Sie? So einer sind Sie?«
»Was ist denn? Sowie ich fertig bin, komme ich zurück, und wir können dann wieder miteinander reden, soviel Ihnen beliebt. Es liegt mir aber sehr daran, recht bald mit Katerina Iwanowna zu sprechen, weil ich heute möglichst bald ins Kloster zurückkehren, möchte.«
»Mama, nehmen Sie ihn und bringen Sie ihn schleunigst weg! Alexej Fjodorowitsch, bemühen Sie sich nicht, nach dem Gespräch mit Katerina Iwanowna noch einmal zu mir zu kommen! Gehen Sie direkt in Ihr Kloster, da ist Ihr Platz! Ich möchte schlafen, ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«
»Ach, Lise, das sind alles nur Scherze von dir. Doch wie wäre es, wenn du jetzt wirklich ein bißchen schläfst?« rief Frau Chochlakowa.
»Ich weiß nicht, wodurch ich ... Ich werde noch ungefähr drei Minuten bleiben. Wenn Sie wollen, auch fünf«, murmelte Aljoscha.
»Auch fünf! Bringen Sie ihn bloß schnell weg, Mama! Dieses Ungeheuer!«
»Lise, du hast den Verstand verloren! Kommen Sie, Alexej Fjodorowitsch, sie ist heute zu launenhaft! Ich habe Angst, sie zu reizen. Oh, es ist ein Kreuz mit so einem nervösen Mädchen, Alexej Fjodorowitsch! Aber vielleicht ist sie während des Zusammenseins mit Ihnen müde geworden. Wie haben Sie sie nur so schnell müde gemacht? Das ist ja ein wahres Glück!«
»Ach, Mama, wie lieb Sie jetzt reden! Ich will Ihnen einen Kuß dafür geben, Mamachen.«
»Und ich dir auch, Lise. Hören Sie, Alexej Fjodorowitsch«, flüsterte Frau Chochlakowa geheimnisvoll und mit wichtiger Miene, während sie mit Aljoscha wegging. »Ich will Ihnen nichts einflüstern und nicht den Schleier lüften. Gehen Sie hinein und sehen Sie sich selbst alles mit an, was da vorgeht – es ist wahrhaftig zum Erschrecken! Es ist die phantastischste Komödie, die man sich denken kann. Sie liebt Ihren Bruder Iwan Fjodorowitsch und will sich mit Gewalt einreden, daß sie Ihren Bruder Dmitri Fjodorowitsch liebt. Es ist schrecklich. Ich gehe mit Ihnen zusammen hinein und warte das Ende ab, wenn ich nicht hinausgejagt werde...«
5. Überspanntheit im Salon
Aber im Salon war das Gespräch bereits beendet. Katerina Iwanowna war sehr erregt, obgleich sie äußerlich einen entschlossenen Eindruck machte. In dem Augenblick, als Aljoscha und Frau Chochlakowa eintraten, stand Iwan Fjodorowitsch gerade auf, um hinauszugehen. Sein Gesicht war ein wenig blaß, Aljoscha musterte es beunruhigt. Für einen seiner Zweifel, für ein Rätsel, das ihn seit einiger Zeit gequält hatte, fand Aljoscha nämlich jetzt hier eine Lösung. Schon seit einem Monat hatte er mehrere Male und von verschiedenen Seiten zu hören bekommen, sein Bruder Iwan liebe Katerina Iwanowna und beabsichtige, sie seinem Bruder Mitja »abspenstig zu machen«. Bis zuletzt hatte Aljoscha das für eine Ungeheuerlichkeit gehalten, obwohl es ihn wirklich tief beunruhigte. Er liebte seine Brüder beide und fürchtete eine solche Nebenbuhlerschaft zwischen ihnen. Und doch hatte ihm Dmitri Fjodorowitsch auf einmal gestern selbst erklärt, er freue sich sogar über die Nebenbuhlerschaft seines Bruders Iwan; sie werde ihm, Dmitri, bei vielem behilflich sein. Wobei behilflich? Gruschenka zu heiraten? So einen Schritt hielt Aljoscha für ein verzweifeltes Wagnis. Außerdem hatte er, ohne im geringsten zu zweifeln, bis zum gestrigen Abend geglaubt, Katerina Iwanowna selbst liebe seinen Bruder Dmitri leidenschaftlich – aber er hatte es nur bis zum gestrigen Abend geglaubt. Außerdem hatte er sich aus irgendeinem Grund immer vorgestellt, sie könne einen Menschen wie Iwan gar nicht lieben, sie liebe eben seinen Bruder Dmitri, und zwar so, wie er ist, trotz der Ungewöhnlichkeit einer solchen Liebe. Doch gestern, während der Szene mit Gruschenka, war er plötzlich zu einer anderen Auffassung gelangt. Das Wort »Überspanntheit«, das Frau Chochlakowa soeben verwendet hatte, ließ ihn fast zusammenzucken, da er gerade in dieser Nacht, als er im Morgengrauen halbwach dalag, wahrscheinlich nach einem Traum, vor sich hin gesagt hatte: »Überspanntheit! Überspannt!« Geträumt hatte er die ganze Nacht von der gestrigen Szene bei Katerina Iwanowna. Jetzt nun äußerte Frau Chochlakowa plötzlich offen und mit aller Bestimmtheit ihre Überzeugung, Katerina Iwanowna liebe seinen Bruder Iwan und betrüge sich absichtlich, aus Spielerei, aus »Überspanntheit« selbst und quäle sich mit ihrer irrtümlichen, auf einer Art Dankbarkeit beruhenden Liebe zu Dmitri. Das hatte Aljoscha stark beeindruckt. ›Ja‹, sagte er sich, ›vielleicht liegt die volle Wahrheit tatsächlich in diesem Wort!‹ Doch wie war in diesem Fall die Lage seines Bruders Iwan? Aljoscha fühlte instinktiv, daß ein Charakter wie Katerina Iwanowna herrschen mußte; herrschen konnte sie aber nur über einen Menschen wie Dmitri, kaum über einen wie Iwan. Denn nur Dmitri könnte sich ihr, allerdings nur für kurze Zeit, schließlich zu seinem eigenen Glück fügen, was sogar Aljoschas Wunsch gewesen wäre, Iwan aber nicht. Iwan konnte sich ihr nicht fügen, und eine derartige Fügsamkeit würde ihm auch kein Glück bringen. Diese Ansicht hatte sich Aljoscha unwillkürlich bereits über Iwan gebildet. Und nun gingen ihm alle diese Zweifel und Erwägungen in dem Augenblick durch den Kopf, als er in den Salon trat. Und noch ein Gedanke drängte sich ihm plötzlich unwiderstehlich auf: ›Wie, wenn sie keinen von beiden liebt, weder den einen noch den anderen?‹ Ich vermerke, daß sich