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war wie immer, wenn etwas nicht so lief, wie er es sich vorstellte.

      Erst beschlich ihn eine unbestimmte Furcht, die ihm in den Magen fuhr, schließlich verwandelte sie sich, aus reiner Hilflosigkeit, in Zorn.

      Tom war sicher alles andere als ein boshafter Mensch. Aber er neigte dazu, wütend zu werden, wenn etwas nicht so klappte, wie er es sich vorstellte.

      Gab ihm dann noch jemand Widerworte, so musste er ganz tief in sich graben, um noch einen Flecken Besonnenheit zu finden, der ihn daran hinderte, loszubrüllen und zu schimpfen.

      Hinzu kam, dass er sich extra auf einer Karte angesehen hatte, wie sie zu fahren hatten. Sie waren der M4050 gefolgt, waren einen Schlenker gefahren, der Richtung Küste führte,und sollten so hinauf kommen zu dem alten Wachturm, der einst dazu gedient haben sollte, mögliche Piratenangriffeabzuwehren.

      Nun aber saßen sie hier an den Klippen fest.

      „Lass uns eine Pause machen“, bat Louisa, der die vom Himmel stechende Sonne deutlich zusetzte. Sie hatte die Hand gegen die Stirn gelegt, um ihre Augen vor dem grellen Licht zu beschatten.

      Ihren hübschen Mund, den er so unendlich gern küsste, hatte sie in Anspannung verzogen. Ihre ansonsten so ausgeglichenen, zart geschnittenen Züge waren eingefallen, und in den Mundwinkeln saß ein nicht zu übersehender Schimmer von Erschöpfung.

      „Ist gut“, sagte er.

      Beide setzten sich, fanden Platz auf der Kante eines aus der Erde ragenden Felsens und mussten nach wenigen Sekunden lachend zugeben, dass sie sich den beschissensten Platz ausgesucht hatten, den man nur finden konnte, um sich etwas Ruhe zu gönnen.

      „Guck dir mal deine Füße an“, kicherte Louisa und lehnte ihren Kopf an Toms Schulter.

      „Die tun auch höllisch weh“, gestand er, ohne sich zu trauen, die zerschrammte und zerkratzte Haut zu betrachten.

      „Du bist ja auch so gut wie barfuß.“

      „Es ist Sommer!“

      Louisa lachte.

      Das war seine Standardantwort auf ihre Einwände, wenn es, wie fast immer, zur Sommerzeit in Deutschland regnete und Tom dennoch in kurzer Hose, T-Shirt und vor allem ohne Schuhe lief.

      „Du bist ein Spinner!“

      Er musste nun ebenfalls lachen. Der eben in ihm aufkeimende Zorn, die Angst davor, sie beide in eine unübersichtliche Situation geführt zu haben, verflog allmählich. Er legte seinen Arm um Louisas Schultern, drückte sie fest an sich und fragte nach gut zehn Minuten Pause: „Wollen wir weiter?“

      „Du willst den Wachturm ja sehen.“

      „Ja, das will ich.“

      „Dann zur nächsten Biegung. Da muss es ja einen Weg geben, der hinauf führt.“

      „Ganz bestimmt“, sagte Tom.

      „Obwohl …“ Louisa begann ihn wieder zu necken.

      „Ja, da gibt es eine Straße. Ganz gewiss. Spanier planen halt anders ihre Wege als wir engstirnigen Deutschen …“

      *

      „Es gab keine Straße“, sagte Louisa, als sie zusammen Richtung Hotel schlurften; erschöpft und müde, abgekämpft und am Ende ihrer Kräfte. Dazu schaute sie in die besorgten Gesichter von Denise, Katrin und Conny.

      Oliver war genervt.

      Ausnahmsweise nicht, weil er die Geschichte langweilig fand, sondern weil er so viel Dummheit nicht verstand.

      Das vermutete Tom zumindest.

      Er musste nur an die gemeinsamen Teamsitzungen denken, wenn ihr Trainer die Fehler im Spiel ansprach. Da hatte Oliver immer genauso geschaut. Weil er wusste, was die anderen gleich zu hören bekamen.

      Und ebenso, wie er dort alles voraussagen konnte, so war es auch hier.

      Ihm wäre das natürlich nicht passiert.

      Er fand seinen Weg.

      Immer.

      Wie genau, das wusste Tom nicht. Denn bei Olli hatte man das Gefühl, als würde er nichts planen, nicht eine Sekunde vorausdenken, geschweige denn, sich über irgendwelche Konsequenzen im Klaren zu sein.

      So aber täuschte man sich in ihm.

      Olli war ein Frauen- und Maulheld. Aber bisher hatte er es von ihnen allen am Weitesten im Job gebracht. Was er genau studiert hatte und wie er dazu kam, in einer Bank zu sitzen und über Risikoinvestitionen zu entscheiden, wusste Tom ebenfalls nicht. Das waren böhmische Dörfer für ihn.

      Was er jedoch wusste, war, dass Oliver ein glasklares Bild von dem hatte, was er einmal erreichen und werden wollte.

      Und dazu gehörte es nicht, sich auf Mallorca zu verlaufen und stundenlang durch die Klippenlandschaft zu klettern.

      „Nein, die gab es nicht“, gestand Tom, den sein Sonnenbrand auf Beinen, Armen und Gesicht langsam, aber sicher zu quälen begann.

      „Alter“, sagte Oliver. „Wie war das möglich?“

      Tom zuckte mit den Schultern. Sein Hals war trocken, und für einen Schluck kaltes Wasser hätte er ohne groß nachzudenken jemanden verprügelt.

      Die Sonne, die so erbarmungslos auf sie niedergebrannt hatte, war dabei, im Westen langsam, wie es schien, im Meer zu versinken. Ihr weicher, das Wasser bedeckende Schein, sprang über die einzelnen, nun von einem stärker werdenden Wind angetriebenen Wellen zu hüpfen.

      Die auf dem Wasser dümpelnden Schiffe wirkten wie unendlich weit entfernt. Von einem Maler nur deshalb verewigt, um die Weiten des Meeres darzustellen.

      „Frag mich nicht.“

      „Doch, das tue ich aber.“

      „Ihr solltet euch ganz schnell eincremen“, riet Katrin. „Das wird ein übler Sonnenbrand.“

      Den Schrecken, als ihr bewusst geworden war, dass sich Louisa und Tom nicht auf der Straße befanden, sah man ihr an. Die Haare waren ihr ganz wirr ins Gesicht gefallen, und um ihre Nase gab es einen blassen Teint, der sich nur allmählich zu verflüchtigen begann.

      „Ich sag nur: Toni …“, lachte Louisa.

      „Toni?“, wollte Denise wissen.

      „Toni“, bestätigte Louisa. „Einfach nur Toni …“

      *

      Hinter der nächsten Klippe war die nächste gekommen, und dahinter noch eine. Die alte Wehrmauer, die so nahe ausgesehen hatte, war in unendliche Ferne gerückt. Was wiederum dazu führte, dass Louisa ihre gute Laune zu verlieren drohte. Nicht, dass es um Toms Stimmung besser gestanden hatte. Aber in dem Moment, als er Louisa sagen hörte: „Wir kommen heute gar nicht mehr nach Hause“, hatte ihn so etwas wie Ehrgeiz gepackt.

      Eine kurze Woge des Trotzes, die ihn den Kopf schütteln ließ, während er das Fahrrad noch immer auf den Schultern trug. „Doch. Wenn wir gleich oben sind.“

      „Oben?“

      „Wir klettern nicht mehr um die Klippen herum. Wir gehen jetzt nach oben und versuchen so über den Grat zu wandern, bis wir einen Weg oder eine Straße finden, die uns wieder ins Tal bringt.“

      „Das ist viel zu …“

      Tom, der Menschen ansonsten immer ausreden ließ, unterbrach Louisa jetzt mit einem: „Wir gehen nach oben. Basta!“

      Louisa nickte nur.

      So erschöpft sie war, so müde und durstig, so verbrannt von der Sonne, gab es kaum noch einen Funken Widerstand in ihr.

      Tom, der sich dafür die Schuld gab, hievte sein Fahrrad in die Höhe und ließ es dann auf einem steilen Überhang liegen. Er drehte sich zu Louisa, um sie aufzufordern: „Gib mir dein Fahrrad.“

      „Hier.“

      Er