Es war noch früh am Nachmittag und ein kühler Apriltag. Ein etwa fünfjähriger Junge kam von der Bushaltestelle her die Straße herauf. Immer wieder musste er stehen bleiben, weil ihm die Last auf dem Arm zu schwer wurde. Er trug einen dunkelbraunen, fast schwarzen Dackel auf dem Arm, dem er von Zeit zu Zeit etwas zuflüsterte.
Als das Tierheim Waldi & Co. in Sicht kam, ging er langsamer und wechselte schließlich auf die andere Straßenseite hinüber. Dann blieb er stehen. »Ich kann nicht lesen, was auf dem Schild steht«, sagte er zu seinem Hund, der seinen Kopf an die Schulter des Jungen gelegt und die Augen geschlossen hatte.
Hilflos stand Teddy Rosar da. Da sah er einen älteren Mann die Straße heraufkommen, der ein Fahrrad schob und recht freundlich aussah.
Teddy trat zu ihm. »Entschuldigung«, sagte er schüchtern.
Der Mann blieb stehen. »Ja?«
»Ich wollte nur etwas fragen.« Teddy nahm seinen Hund schnell auf den linken Arm und deutete mit dem rechten über die Straße. »Können Sie mir vielleicht sagen, was auf dem Schild dort drüben steht?«
Neugierig blickte der Mann von dem Jungen zu dem Tierheim. »Darauf steht: Waldi & Co. – das Heim der glücklichen Tiere«, las er vor.
Teddys Augen leuchteten auf. »Danke.«
Der Mann achtete nicht weiter auf den Jungen, sondern setzte seinen Weg fort. Als er um die Ecke gebogen war, lief Teddy mit seinem Hund schnell über die Straße. Er schaute sich noch einmal nach allen Seiten um und trat dann durch das offen stehende Tor.
Weit und breit war niemand zu sehen. Teddy atmete erleichtert auf und tat nun das, was er sich vorgenommen hatte. Er legte seinen Hund mitten auf den leeren Hof und versteckte sich dann schnell hinter dem nächsten Busch.
Zunächst geschah gar nichts. Teddy wartete geduldig, und der Hund sah aus, als sei er eingeschlafen. Er wirkte wie ein bewegungsloser dunkler Fleck auf hellem Grund.
Das war es, was Severin, der Dogge, zuerst auffiel – dieser dunkle Fleck, der da gar nicht hingehörte. Schnuppernd überquerte Severin den Hof. Das riecht ja nach Hund, stellte er fest, als er auf zwei Meter herangekommen war. Kein Zweifel, das war ein Hund.
Severin stupste das fremde Tier mit der Schnauze an. Doch der Dackel rührte sich nicht. Er öffnete nur blinzelnd die Augen, um sie gleich wieder zu schließen.
Hilflos schaute sich die Dogge um. Da kam auch schon Munko über den Hof marschiert. Der ausgediente Polizeihund ging vorsichtiger an die Sache heran. Aus einem Meter Entfernung bellte er den fremden Hund an. Aber der reagierte nicht.
Munko, der Schäferhund, kam näher und machte nun die gleiche Erfahrung wie Severin. Ratlos standen die beiden Hunde vor dem fremden Dackel. Schließlich begannen sie fast gleichzeitig laut zu bellen.
Das lockte den Dackel Waldi auf die Szene. Wo gebellt wurde, da war etwas los. Und wo etwas los war, dort gehörte er hin.
Waldi flitzte über den Hof. Er drängte sich zwischen Severin und Munko und begann laut und freudig zu bellen. Ein Dackel! Schwanzwedelnd umrundete er den Artgenossen und bellte wieder. Es klang werbend, wie ein Willkommensgruß. Doch nicht einmal darauf reagierte der fremde Dackel.
»Da muss doch etwas los sein«, murmelte Janosch, der Tierpfleger. »Die Hunde bellen doch nicht ohne Grund.« Er unterbrach seine Arbeit und verließ das Tierheim.
Mitten auf dem Hof sah er Munko, Severin und Waldi stehen. So, als bestaunten sie etwas.
Janosch kam näher und staunte mit. Da lag doch glatt ein fremder Hund!
Auf den ersten Blick erkannte Janosch, dass dieser Hund krank war. Er blickte sich suchend um. Irgendjemandem musste das Tier ja schließlich gehören. Aber es war niemand zu sehen.
Janosch bückte sich. Respektvoll wichen die drei Hunde zurück. Waldi achtet aber darauf, dass er Janosch am nächsten stand und genau beobachten konnte, was hier vorging.
Janosch befühlte die Schnauze des Dackels und nickte. Sie war trocken und heiß. Der arme Kerl war ja in einer furchtbaren Verfassung.
Gerade, als er ihn aufheben wollte, kam Andrea über den Hof gelaufen.
»Was ist denn los, Janosch?« Die junge Frau entdeckte den fremden Hund. »Nanu, wo kommt denn der her?«
Janosch hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Das weiß ich nicht. Plötzlich lag er hier.«
»Das gibt’s doch gar nicht.« Andrea schaute sich um. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Sie wandte sich an die drei Hunde. »Was ist mit euch? Habt ihr nichts gesehen?«
Drei treue Augenpaare blickten sie an, als wollten sie sagen: Wir sind so ahnungslos wie du.
Andrea seufzte.
Da begann Munko aufgeregt zu schnuppern.
»Ja«, sagte Andrea. »Such, Munko, such!«
Der ehemalige Polizeihund schien eine Fährte gefunden zu haben. Denn er bewegte sich plötzlich von dem Dackel fort, wobei er immerzu schnupperte.
Andrea beobachtete das mit Interesse. Janosch dagegen nicht. Er bückte sich, nahm den kranken Dackel auf den Arm und trug ihn ins Haus. Er wusste, dass Dr. Hans-Joachim von Lehn noch in seiner Praxis war. Patienten waren im Moment keine da.
»Kümmern Sie sich um ihn, Janosch?«, rief Andrea dem Tierpfleger nach.
»Mach ich, Frau von Lehn!«
Andrea nickte und beobachtete weiter den Schäferhund. Munko hatte jetzt die Rasenfläche erreicht. Vor einem Strauch blieb er stehen und umrundete ihn langsam.
Als Teddy den großen Schäferhund sah, wich er ängstlich zurück. »Tu mir nichts.«
Doch Munko kam immer näher.
Da sprang Teddy schnell auf und kam hinter der Hecke hervor.
Andrea starrte den Jungen an. Ich werde verrückt, dachte sie. Zuerst ein Hund und jetzt das Kind. Sie sah, dass sich der Junge vor dem Schäferhund fürchtete, und rief Munko zurück.
Der gehorchte augenblicklich.
»Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben«, sagte Andrea zu dem Jungen. »Er tut dir nichts.«
Schüchtern und mit gesenktem Blick stand Teddy vor ihr.
»Komm«, sagte Andrea und streckte ihm ihre Hand hin. Dabei lächelte sie so freundlich, dass Teddy zutraulich nach ihrer Hand griff.
Andrea nahm den Jungen mit ins Haus. Enttäuscht blickten die drei Hunde ihr nach. Dann zerstreuten sie sich.
Andrea führte den Jungen in die Küche und gab ihm ein Glas Milch und ein paar Kekse.
Hungrig griff Teddy danach und trank auch die Milch.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte Andrea.
»Teddy. Teddy Rosar. Und mein Dackel heißt Xanti.«
»Ein hübscher Name«, sagte Andrea. »Und so ungewöhnlich.«
»Ja. Und jetzt ist er krank. Schon seit gestern und vorgestern«, erzählte Teddy und aß den letzten Rest der Kekse auf. Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen. Nun stellte er plötzlich fest, dass er sehr hungrig war.
»Wo wohnst du eigentlich?«, erkundigte sich Andrea vorsichtig.
»In einem Hotel. In Mai…, Mai…«
»Maibach?«, fragte Andrea.
»Ja.« Teddys Augen leuchteten auf. »So heißt das. Meine Eltern wohnen dort.« Er schaute Andrea prüfend an und kam zu dem Ergebnis, dass er ihr vertrauen könne. »Und weil Xanti krank wurde, wollte Mutti sie totmachen lassen. Sie kann Xanti nämlich nicht leiden. Aber die arme Xanti kann doch nichts dafür, dass sie krank wurde, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Andrea sofort. »Dafür kann sie bestimmt nichts. Aber vielleicht kann sie unser Onkel Doktor wieder gesund machen.«
»Das wäre