Freundin. Es wurde, stellte Christian fest, eine längere SMS.
Anna, die sonst beharrlich Fragen stellen konnte, wenn sie etwas herausfinden wollte, hatte sich von einem beschwörenden Blick Christians davon abhalten lassen. Er würde ihr später alles erzählen.
Endlich schickte Konrad seine Nachricht ab. Die Antwort erreichte ihn wenig später in dem Augenblick, als der Chauffeur zur Münchener Oper abbog. Konrad strahlte über das ganze Gesicht, während er las, was Laura ihm geschrieben hatte, und Christian wusste: Der Abend war gerettet.
*
Es war eine glanzvolle Premiere von Verdis »La Traviata« in der Münchener Oper, zu der sich viel Prominenz eingefunden hatte. Auch Reporter und Journalisten waren zahlreich vertreten. In den bunten Blättern würde stehen, wer mit wem erschienen war, welche Damen die aufregendsten Kleider und kostbarsten Schmuckstücke getragen hatten und wer mit wem freundschaftlich umgegangen war – oder eben nicht.
Als Ludovica am Arm ihres derzeitigen Begleiters, Graf Ernst zu Stolberg, vor der Oper aus dem Wagen stieg, flammten die Blitzlichter auf. Sie lächelte strahlend, dann schritt sie mit hoch erhobenem Kopf auf den Eingang zu. Auch im Foyer wurde ihr große Aufmerksamkeit zuteil, die sie entgegennahm wie eine Königin die Huldigungen ihrer Untertanen. Von Alina, die mit ihrer gemeinsamen Großmutter Liliane von Schönbrunn ebenfalls im Wagen gesessen hatte, nahm kaum jemand Notiz.
»Das ist sie«, sagte Gero leise zu Marius. »Die große Dunkelhaarige, die gerade hereingekommen ist. Du musst zugeben, sie sieht hinreißend aus.«
Marius kam nicht dazu, etwas zu erwidern, denn in diesem Augenblick trat Johannes von Brahms auf sie zu. »Ihr seid also auch hier«, stellte er fest, nachdem er sie begrüßt hatte, »schön, euch mal wiederzusehen. Wer fasziniert dich denn so, Gero?«
Gero, ertappt, drehte sich sofort um. »Ach, niemand«, behauptete er.
Doch Johannes ließ sich nicht täuschen. Er war Geros Blick gefolgt und hatte ohne große Mühe die richtigen Schlüsse gezogen. »Bist du etwa auch einer von Ludovicas Fans?«, fragte er.
»Leider«, brummte Gero. »Ich versuche, die Frau zu vergessen. Und du?«
»Kein Fan«, stellte Johannes lächelnd fest.
Marius betrachtete ihn neugierig. »Du scheinst eine Ausnahme zu sein.«
»Bin ich. Und du?«
»Ich kenne sie bisher nicht, nur den Ruf, der ihr vorauseilt.«
Johannes lachte. »Ich glaube, sie ist stolz darauf. Ach, seht mal, wer dort kommt!«
Die beiden anderen drehten sich um. »Die Sternberger!«, rief Marius. »Das ist ja eine richtig schöne Überraschung. Kommt, wir müssen sie unbedingt begrüßen.«
Es gab ein großes Hallo, als die drei jungen Männer, die zu den regelmäßigen Besuchern auf Schloss Sternberg zählten, die Familie von Kant und Christian von Sternberg begrüßten. »Und vollzählig seid ihr!«, stellte Marius fest. »Ist das dein erster Opernbesuch, Anna?«
Die Dreizehnjährige schüttelte den Kopf. »Mein zweiter«, gestand sie dann. »Aber in einer Premiere war ich noch nie. Ich wusste nicht, dass das so ein Unterschied ist. Als ich das erste Mal in der Oper war, sahen die Leute nicht so elegant aus wie heute.«
Es klingelte bereits, und so machten sie sich auf den Weg zu ihren Plätzen. »Wir sehen uns hoffentlich in der Pause«, rief die Baronin ihnen noch zu.
»Der kleine Fürst ist ganz schön groß geworden«, stellte Johannes fest, als sie weitergingen. »Ob er den Namen wohl noch lange behält? Chris ist jetzt fünfzehn. Wenn er volljährig wird, ist er der nächste Fürst von Sternberg. Da können sie ihn doch nicht mehr ›der kleine Fürst‹ nennen.«
»Bis dahin fließt noch viel Wasser die Isar hinunter«, erwiderte Marius. »Jetzt jedenfalls halten die Leute an diesem Kosenamen noch fest, und er gefällt ihm auch, das hat er mir selbst einmal gesagt.«
»Er wirkt ernst für sein Alter«, meinte Gero. »Aber wenn man mit fünfzehn beide Eltern verliert, muss man wohl sehr schnell erwachsen werden.«
Christians Eltern, Fürstin Elisabeth und Fürst Ludwig von Sternberg, waren Monate zuvor bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Seitdem lebte er in der Familie seiner Tante Sofia – aber weiterhin auf Schloss Sternberg, da Sofia und Friedrich mit ihren Kindern schon vor langen Jahren dorthin gezogen waren, des engeren Familienzusammenhalts wegen.
»Er hält sich tapfer, sagen Sofia und Fritz«, berichtete Marius. »Ich wollte demnächst mal wieder hinfahren. He, Jo, was ist los?«
»Ich suche jemanden«, murmelte Johannes. »Ich muss da rüber, wir sehen uns später. Bis dann.«
»Das glaube ich ihm nicht«, sagte Gero, als Marius und er ihre Plätze einnahmen.
»Wovon redest du?«
»Dass er kein Fan von Ludovica ist. Ich kenne keinen einzigen Mann, der sich nicht in sie verliebt hat – da wird doch Jo nicht gerade die Ausnahme sein, oder?«
»Gero, Gero«, seufzte Marius, »wann schlägst du dir endlich diese Frau aus dem Kopf?«
Statt einer Antwort vertiefte sich Gero in das Programmheft, und das war gut so, denn in diesem Augenblick erschien Gräfin Ludovica, die einen Platz in der ersten Reihe hatte. Marius konnte sie sich also in aller Ruhe ansehen, und er stellte fest, dass Gero zumindest in der Beschreibung ihres Äußeren nicht übertrieben hatte: Sie war von atemberaubender Schönheit.
*
Als die letzte Arie der sterbenden Violetta verklungen war, hatte Alina Tränen in den Augen. Musik übte auf sie häufig diese Wirkung aus – ebenso wie Filme, wenn sie ihr zu Herzen gingen. Dann saßen die Tränen locker. Schon oft hatte ihre Cousine sie deshalb aufgezogen. Ludovica weinte nie, weder im Kino noch in der Oper. Und, vermutete Alina, auch sonst nicht.
Sie tupfte sich verstohlen über die Augen. Zum Glück saß ihre Großmutter zwischen ihr und Ludovica, so dass sie hoffen konnte, ihre Cousine würde die Tränen nicht bemerken. Bis das Licht im Saal anging, hatte sie sich jedenfalls wieder gefasst.
»Es war wundervoll, nicht wahr?«, flüsterte Liliane ihr zu.
Alina sah, dass sie ebenfalls feuchte Augen hatte und nickte stumm.
Der Beifall war überwältigend. Alina hörte auf, die Vorhänge zu zählen, es waren jedenfalls sehr viele. »Wundervolle Stimmen«, sagte ihre Großmutter. »Ich bin froh, dass ich euch begleitet habe, obwohl ich Premieren immer ein wenig anstrengend finde.«
»Wieso denn, Omi?«, fragte Alina, während der Beifall langsam verebbte.
»Ach, bis man sich in Schale geworfen hat und einigermaßen zufrieden mit seinem Äußeren ist«, seufzte Liliane, »das kostet in höherem Alter doch sehr viel mehr Zeit als früher.«
Alina lachte und gab ihr einen Kuss. »Du siehst klasse aus für dein Alter, Omi, du musst dich wirklich nicht verstecken.«
»Ich danke dir, mein Kind.«
Ludovica beugte sich herüber. »Wir essen noch eine Kleinigkeit, ja? Ernst hat einen Tisch reservieren lassen.«
»Fein«, sagte Liliane erfreut, »die Musik hat mich richtig hungrig gemacht.«
Als Alina aufstand, sah sie wenige Reihen hinter sich Johannes von Brahms im Gespräch mit zwei jungen Männern, von denen ihr einer vage bekannt vorkam. Er sah aus wie einer von Ludovicas Begleitern der letzten Zeit. Den anderen kannte sie nicht.
Hastig wandte sie den Blick ab, sie wollte nicht dabei überrascht werden, wie sie Johannes von Brahms anstarrte. Aber die wenigen Sekunden hatten genügt, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie war erst zwei oder drei Mal verliebt gewesen in ihrem Leben, sie hatte nicht viel Erfahrung, was die Liebe betraf. Hoffentlich konnte sie Johannes von Brahms schnell wieder vergessen. Wenn eine Sache aussichtslos war, musste man sie am besten umgehend beenden, das wusste sie. Und dieser attraktive junge Mann