Nina Kayser-Darius

Notarzt Dr. Winter 2 – Arztroman


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      »Ich hatte einen schrecklichen Tag, und das einzige, was mich dazu gebracht hat, ihn durchzustehen, war die Freude auf diesen Ausritt. Jetzt geht es mir wieder gut. Reiten ist wirklich etwas Wunderbares.«

      »Ja«, bestätigte Mareike Sandberg leise, »das finde ich auch. Aber leider funktioniert es bei mir heute nicht so wie bei Ihnen, Frau Berger. Ich hätte meinen Tag auch gern abgeschüttelt, doch es gelingt mir einfach nicht.«

      »Dann lassen Sie uns doch ein Glas Wein zusammen trinken«, schlug Esther vor. »Oder haben Sie keine Zeit?«

      »Doch«, antwortete Mareike und lächelte. »Das ist eine gute Idee. Sie haben immer so interessante Geschichten zu erzählen. Sie wissen ja, wie gern ich Ihnen zuhöre.«

      Sie verabredeten einen Treffpunkt, und dann trennten sich ihre Wege. Esther kehrte zum Bauernhof zurück, und Mareike schlug den Weg zu ihrem Reitstall ein. »Bis in einer halben Stunde also«, rief Esther.

      »Ja, bis gleich.«

      Sie ist unglücklich, dachte Esther, wie sie es schon so oft gedacht hatte. Arme Frau. So schön, so reich – und es hilft ihr offenbar gar nicht.

      *

      Adrian Winter sah den großgewachsenen Mann mit den harten Augen, der vor ihm lag, nachdenklich an. Er war von seinem Chauffeur in die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik gebracht worden, was ungewöhnlich genug war.

      Sein Chef, hatte der Chauffeur erklärt, sei während der Fahrt plötzlich totenbleich geworden. Er habe über Übelkeit geklagt, und kalter Schweiß sei ihm ausgebrochen. Da habe er es mit der Angst zu tun bekommen. Und da die Klinik in der Nähe gewesen sei, habe er sich gedacht, es sei besser, Herrn Sandberg sofort dorthin zu bringen und untersuchen zu lassen.

      Erst allmählich hatte der junge Notaufnahmechef begriffen, daß er es mit einem ausgesprochen prominenten Patienten zu tun hatte. Denn der Mann, dessen Untersuchung er gerade beendet hatte, war jener Industrielle Sandberg, über den man jeden Tag sowohl auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen, als auch in den Klatschspalten der Regenbogenblätter eine Geschichte lesen konnte.

      »Sie müssen aufpassen, Herr Sandberg«, sagte er sehr ruhig. »Ihr Blutdruck ist viel zu hoch. Ich nehme an, Sie nehmen Medikamente dagegen?«

      Robert Sandberg nickte. »Ja, sicher, schon seit Jahren.«

      »Aber leben Sie auch entsprechend? Sie sollten sich beim Alkohol sehr zurückhalten, gesund und abwechslungsreich essen, viel Bewegung…«

      »Kommen Sie mir bloß nicht mit solchen Ratschlägen!« rief der andere herrisch. Es ging ihm offenbar schon wieder besser, seine Wangen bekamen allmählich Farbe. »Das ist völlig unrealistisch!«

      »Wenn Sie sich an solche Ratschläge nicht halten, dann wird Ihr Leben schneller zu Ende sein, als Ihnen vielleicht lieb ist«, erwiderte Adrian ungerührt. »Sie sind nur knapp an einem Schlaganfall vorbeigekommen, Herr Sandberg. Und was ein Schlaganfall bedeutet, das muß ich Ihnen doch sicher nicht erzählen, oder?«

      Robert Sandberg funkelte ihn wütend an, sagte aber nichts.

      »Bedanken Sie sich bei Ihrem Chauffeur«, fuhr Adrian fort, »daß er Sie sofort hierhergebracht hat. Und nehmen Sie die Sache als Warnschuß, auf den Sie unbedingt hören sollten. Denn wenn Sie das nicht tun…«

      Der Patient richtete sich ein wenig auf. »Wollen Sie mir drohen?« rief er aufgebracht, ohne zu merken, wie lächerlich seine Worte waren.

      »Womit sollte ich Ihnen denn drohen?« erkundigte sich Adrian ruhig. »Ich sage Ihnen lediglich, was ich Ihnen als Arzt sagen muß.«

      »Was bilden Sie sich eigentlich ein?« knurrte Robert Sandberg. »Mir fehlt nichts, überhaupt nichts.«

      »Ich bilde mir nichts ein«, antwortete Adrian, noch immer völlig ruhig. Wütende Patienten kannte er schon. »Und daß Ihnen nichts fehlt, ist schlichter Unsinn. Ich weiß es besser und wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie es auch. Ich sage Ihnen, was Sie erwartet, das ist alles. Aber es ist Ihr Leben, Herr Sandberg. Natürlich können Sie damit anfangen, was Sie wollen.«

      »Ach, was wissen Sie denn schon«, gab der andere mürrisch zurück und ließ sich wieder auf die Liege sinken. »Ich esse gern, und ich trinke gern. Und ich… Aber lassen wir das jetzt. Wollen Sie mir alles wegnehmen, was mir Spaß macht?«

      »Alles nicht«, antwortete der junge Arzt mit feinem Lächeln.

      »Kann ich jetzt gehen?«

      »Sicher können Sie das. Aber wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, bleiben Sie noch eine Stunde hier liegen und lassen sich dann zu Ihrem Hausarzt fahren. Der erzählt Ihnen das Gleiche wie ich, aber auf ihn hören Sie ja vielleicht, weil Sie ihn schon länger kennen als mich und Vertrauen zu ihm haben. Und dann leben Sie vernünftiger und können steinalt werden.«

      Wider Willen imponierte Robert Sandberg dieser junge Mediziner, der sich von ihm und seinem prominenten Namen ganz offensichtlich überhaupt nicht beeindrucken ließ.

      »Wer will das schon – steinalt werden?« knurrte er unwillig und richtete sich erneut auf. Mit lauter Stimme rief er nach seinem Chauffeur und verließ wenige Minuten später, schwer auf dessen Arm gestützt, die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik.

      Adrian sah ihm kopfschüttelnd nach. Hoffentlich sah er diesen Mann nicht wieder. Ein angenehmer Zeitgenosse war er wirklich nicht.

      »Geht er schon?« fragte seine Kollegin Julia Martensen verblüfft. »Hast du ihn entlassen?«

      »Nein, habe ich nicht«, antwortete er seufzend. »Aber er gehört zu diesen Unbelehrbaren, Julia, die sich für unsterblich halten.«

      Die schlanke Endvierzigerin nickte. »So hat er auch gewirkt«, stellte sie sachlich fest. »Vergiß ihn, Adrian. Wir haben jede Menge Arbeit.«

      Er folgte ihr, und bald darauf hatte er Robert Sandberg tatsächlich vergessen.

      *

      »Es ist sehr schön, mit Ihnen hier zu sitzen und zu reden«, sagte Mareike Sandberg. Sie sah Esther dabei offen ins Gesicht, und diese erschrak, als sie das Unglück in den schönen Augen der anderen sah. Aber sie tat, als habe sie nichts davon bemerkt, denn sie ahnte, daß es Frau Sandberg nicht recht gewesen wäre, zuviel von sich selbst zu offenbaren.

      Esther überlegte, ob eine Frau wie Mareike wohl eine Freundin hatte, mit der sie über alles, was sie bewegte, sprechen konnte. Wenn nicht, dann mußte sie sehr einsam sein in ihrem riesigen Haus mit den vielen Dienstboten und dem Mann mit den kalten Augen. Warum sie ihn wohl geheiratet hatte?

      Sie war so in ihre Gedanken versunken, daß sie völlig verblüfft war, als sie plötzlich bemerkte, daß etwas geschehen sein mußte. Denn auf einmal lächelte Mareike Sandberg, ihre Augen glänzten, und auf ihren Wangen lag ein rosiger Schimmer. Im nächsten Augenblick wußte Esther auch, warum das so war.

      Ein dunkelhaariger junger Mann mit blauen Augen blieb an ihrem Tisch stehen und grüßte höflich. Esther kannte ihn genauso gut und genauso wenig wie Mareike Sandberg. Es war John Tanner, von dem sie nur wußte, daß er Künstler war. Außerdem war er ebenfalls leidenschaftlicher Reiter und fiel, wie Mareike auch, in dem exklusiven Reitstall eher aus dem Rahmen. Esther hatte bisher erst wenige Worte mit ihm gewechselt, aber es war jedesmal angenehm gewesen.

      Er war klug, gebildet und überhaupt nicht arrogant. Es war ihr ein Rätsel, wie er in jenen exklusiven Reitclub geraten war. Bei Mareike Sandberg lag es wegen ihrer gesellschaftlichen Stellung auf der Hand, aber bei John Tanner hatte sie sich sogar schon gefragt, ob er überhaupt reich war. Sie hatte ihn ein paarmal in einem uralten, zerbeulten Auto gesehen, und seine Kleidung bestand in der Regel aus Jeans und karierten Hemden oder T-Shirts.

      »Guten Tag, Herr Tanner«, sagte sie freundlich, als sie merkte, daß es Mareike offenbar die Sprache verschlagen hatte. »Warum setzen Sie sich nicht ein wenig zu uns?«

      »Wenn ich nicht störe«, erwiderte er und warf Mareike einen fragenden Blick zu.

      Sie errötete heftig