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Buntfarbige Fahnen und Wimpel wehen lustig im Winde. An eigens für das Betriebsfest errichteten Masten winden sich Girlanden hinauf und verleihen dem weiten Fabrikhof ein buntes, fröhliches Aussehen.
Alle, die zur Gefolgschaft der Imhoff-Weberei gehören, sind auf den Beinen, denn heute gilt es, die stattlichen Bauten einzuweihen, die sich nach einem verheerenden Brand an Stelle der Trümmer stolz erheben.
Meister Henschel, ein graubärtiger, rüstiger Fünfziger, führt seine kleine Schar vor die Freitreppe, die zu dem Verwaltungsgebäude emporführt. Sie nehmen Aufstellung zum Empfang des Fabrikherrn.
Dann läuft alles programmgemäß ab. Bernds Wagen fährt vor. An seiner Seite sitzen Bob Rodisch und dessen Vater Christoph, seine beiden ungleichen Freunde, die sich in der letzten schweren Zeit so treu bewährt haben.
Das Gesicht des Fabrikherrn Bernd Imhoff wirkt wie eine Maske. Seine Augen, düster und traurig, schweifen über das prächtige, farbenfreudige Bild. Er sieht frohe, erwartungsvolle Gesichter. Ein erhebendes Gefühl schwellt seine Brust. Wie sie ihn freut, die Anhänglichkeit seiner Mitarbeiter! Die hohe Gestalt gestrafft, steigt er die Stufen hinan.
Aus den Reihen der kaufmännischen und technischen Angestellten löst sich eine Gestalt, blaß das Gesicht, etwas vornübergeneigt, in den Augen jedoch strahlende Lebensfreude – der alte Prokurist Lehrmann. Er hält eine feierliche Ansprache.
Bernds Augen glänzen feucht. Er hat immer noch die Hand Lehrmanns in der seinen und merkt es nicht einmal. Kummer und Sorgen um ein gemeinsames Ziel haben die beiden Männer eng miteinander verbunden.
Zum Abschluß der offiziellen Feier spricht Bernd zu seinen Arbeitern. Er schließt tiefbewegt seine Rede, die nachhaltig wirkt: »… Euer Vertrauen gab mir den Mut, das Werk nach dem Brande wieder aufzurichten, das wir hier, schöner als wir es uns träumen ließen, vollendet vor uns sehen. Für einen einzelnen wäre es unmöglich gewesen. Doch mit dem Bewußtsein, treue, arbeitswillige Mitarbeiter hinter mir zu haben, wurde es mir leicht gemacht. Und dann möchte ich meine Freunde nicht vergessen, die mir wertvolle, tatkräftige Hilfe geleistet haben.«
Er läßt eine kurze Pause eintreten.
Langanhaltendes Händeklatschen und begeisterte Hochrufe erfüllen minutenlang die Luft.
Hochaufgerichtet steht Bernd auf der Freitreppe. Seine letzten Worte klingen in ihm nach: »Seid fröhlich mit den Fröhlichen.«
Ach, wenn er es doch auch sein könnte. Wie Hohn kommt ihm der Ansporn für die anderen für sich selbst vor.
Da legt sich ihm eine Hand auf die Schulter, und Bobs Stimme spricht warm und eindringlich: »Sei auch du einmal fröhlich, Bernd. Vergiß wenigstens für einige Stunden das Leid um deine kranke Frau.«
»Ich will es versuchen«, kommt es leise über seine Lippen.
Als er seine Leute in ungehemmter Lebenslust beim Tanz gut aufgehoben weiß, verläßt er den Saal. Bob begleitet ihn. Sie fahren in Bernds Wohnung, wo seine Mutter in nimmermüde Liebe und Geduld wirkt. Bei einem Glase Wein sitzen sie sich gegenüber. Auch seine Mutter hat sich zu ihnen gesellt. Der Kinder wegen ist sie dem heutigen Festtrubel ferngeblieben.
»Ich erlebe im Geiste alles mit«, hat sie Bernd zum Abschied erwidert, als er nochmals in sie drang, ihn zu begleiten. Vermessen wäre es ihr vorgekommen, Marias Platz einzunehmen, den sie doch nie ganz ausfüllen kann.
Jetzt darf Bernd die Maske fallen lassen, braucht keinem mehr eine Fröhlichkeit vorzutäuschen, von der sein Herz nichts weiß.
Bobs Blicke folgen denen des Freundes. Diese gleiten suchend umher, bleiben an den durch die Erinnerung geheiligten Gegenständen haften, die Maria einst in ihren Händen gehalten hatte.
Bob gibt sich einen Ruck. Einmal muß es gesagt werden, jetzt hält er den Zeitpunkt für gekommen. »Bernd, du richtest dich zugrunde, wenn du dich derartig von der Vergangenheit beherrschen läßt«, beginnt er vorsichtig.
»Habe ich euch Grund zur Unzufriedenheit gegeben? Belästige ich euch etwa mit dem, was mich beschäftigt?« fragt Bernd beinahe gereizt. »Wenn ich die Erinnerung an Maria hege und pflege, dann falle ich damit doch niemandem zur Last.«
»Aber du leidest schwer darunter. Was bist du heute gegen früher? Ein Schatten!« Ein teilnehmender Blick streift sein Antlitz. »Von mir, deinem Freunde, darfst du dir das schon sagen lassen.«
»Ist das etwa ein Wunder?« fragt Bernd gequält.
»Nein, ich verstehe dich«, erwidert Bob warm. »Deshalb möchte ich dir einen Vorschlag machen. Du wirst vielleicht sehr erstaunt sein; wenn du dich jetzt erst mit dem Gedanken vertraut gemacht hast, wirst du einsehen, daß er gut ist für dich, für deine Mutter und auch für deine Kinder.«
»Da bin ich wirklich neugierig.« Bernd lächelte nachsichtig.
Bob lehnt sich zurück und macht mit der Hand einen Kreis in die Luft. »Du mußt aus der Wohnung hier heraus, wo dich jeder Gegenstand an Maria erinnert.«
Wie Bob vorausgesehen hat, fährt Bernd sogleich auf. »Ich soll die Wohnung aufgeben? Das einzige, was mich noch mit Maria verbindet? Von hier, wo ich glaube, ihre zarte Gestalt umhergehen, ihre feinen Hände walten zu sehen, von hier soll ich fort «
»Ja!«
»Ausgeschlossen!« Als wollte Bernd vor diesem Gedanken fliehen, steht er auf und beginnt eine ruhelose Wanderung durch die Zimmer.
Frau Hanna sinnt mit großen Augen vor sich hin. Bob bestürmt weder Mutter noch Sohn; aber ein wissendes, überlegenes Lächeln steht um seinen Mund. Was sich jetzt noch in Bernd gegen seinen Vorschlag wie gegen das Ungeheuerliche aufbäumt, wird bei ruhiger Überlegung verebben.
»Ich habe da draußen im Grünen ein nickt allzu großes, aber reizendes Landhaus entdeckt. Die Besitzerin lebt in der Schweiz. Sie will das Anwesen verkaufen. Ein Garten, wie ein kleines Paradies anzuschauen, gehört dazu.«
Bernd drängt das harte Wort der Ablehnung, das ihm auf die Lippen kommen will, zurück. Und er wird sich plötzlich bewußt, daß er an die Kinder noch gar nicht gedacht hat, sondern nur an sich selbst.
Bittend hebt Frau Hanna den Blick zu ihrem Sohne auf, der nun nähertritt.
Da steht Bernd auch schon neben ihr und nimmt ihre Hand. »Vermißt du deine Berge, Mutter? War ich zu egoistisch, als ich dich bat, zu mir zu kommen?«
Heftig abwehrend schüttelt sie den Kopf. »So war es nicht gemeint, mein Junge. Muß ich dir erst beteuern, wie gern ich deinem Rufe gefolgt bin?« Sie lächelt fein. »Ich sehe nur nicht ein, warum man nicht auch hier der Natur nahe sein kann. Daß ich mich etwas beengt fühle, ist schon richtig. Und wie würden die Kinder aufblühen in freierer Umgebung. Nicht wahr, Bernd, du wirst nicht unter allen Umständen ablehnen, sondern in Ruhe alles überdenken?«
Bernd preßt die Lippen zusammen. Keiner denkt an sich, alle nur immer an ihn! Nun gleitet sein Blick umher, über jeden Gegenstand. Ein kurzer, harter Kampf, dann wendet er sich an den still beobachtenden Bob: »Ihr habt mich überrumpelt.«
*
An einem der nächsten Tage schließt Bernd den Vertrag mit dem Bevollmächtigten der Besitzerin des wirklich schön gelegenen Landhauses ab.
Einige Stunden später, als er den unterschriebenen Vertrag in der Tasche hat, sitzt Bernd in seinem Wagen und fährt einem anderen schönen Fleckchen Erde zu – Dörflingen.
Stunde um Stunde sitzt er am Steuer, ohne müde zu werden. Nur eine kurze Rast legt er ein, um eine Stärkung zu sich zu nehmen. Am Spätnachmittag hält er vor einer hohen, weinumrankten Mauer, hinter der er seine Maria weiß.
Unverzüglich wird er zu Professor Holzer geführt.
Die beiden Männer schütteln sich die Hände wie alte Bekannte, mehr noch, wie Kameraden, denn sie haben beide gemeinsam nächtelang um ein Leben gebangt.
»Wie geht es meiner Frau? Kann ich sie sehen?« fragt Bernd, kaum mehr imstande, seine Ungeduld zu zügeln. »Ist ihr Zustand immer noch der gleiche?«
»Unverändert«,