Mädchen hatte sie jedem erzählt, daß sie ihn eines Tages heiraten würde. Später war sie auf jede Frau eifersüchtig gewesen, die ihm auch nur in die Nähe gekommen war. Deshalb machte es ihn doppelt froh, daß es nun einen anderen Mann in ihrem Leben gab.
»Danke, Eric«, antwortete die junge Frau schriftlich. »Ich glaube, daß ich mit Manfred sehr glücklich werde.«
Als Dr. Baumann aus dem Zimmer der Krankengymnastin kam, begegnete ihm seine Kollegin Frau Dr. Bertram. Sie war vor fünf Minuten in die Praxis gekommen. Nachdem sie einander begrüßt hatten, fragte sie, ob es am Sonntag dabei bleiben würde, daß sie seine Vertretung übernehmen sollte. Er hatte an diesem Wochenende Dienst.
»Ja, es bleibt dabei, Mara«, erwiderte er. »Gestern abend habe ich noch einmal mit meinem Freund telefoniert. Ich werde den ganzen Sonntag in München verbringen.«
Nacheinander trafen drei Patienten ein. Mara eilte in den kleinen Raum, in dem das Ozongerät stand. Eric ging in sein Sprechzimmer, um rasch noch etwas zu essen, bevor er seinen ersten Patienten empfing. Außerdem wollte er gleich in der Münchener Universitätsklinik anrufen, um einen Termin für Stefan Eschen auszumachen. Er wußte, er würde während der nächsten Stunden kaum ein paar Minuten dafür erübrigen können.
*
»Ich bin eine Rose zu Sharon, eine Lilie im Tal…« Carmen Thiele lauschte hingerissen der Predigt des Pfarrers. Zusammen mit ihrem Mann saß sie in der ersten Reihe der kleinen Kirche, in der sie getraut wurden. Das Lied der Lieder hatte für sie schon in der Schule zu den schönsten Teilen des Alten Testaments gehört. Deswegen hatte sie es sich als Thema ihres Traugottesdienstes gewünscht. Sie konnte sehr gut die Liebe nachempfinden, die Shulamit mit Salomo verbunden hatte. Jedes ihrer Worte hätte auch ihr eigenes sein können.
Christian Thiele drückte zärtlich die Hand seiner Frau. Seit ihrer standesamtlichen Trauung am gestrigen Vormittag hielt er sich für den glücklichsten Mann der Welt. Die jungen Leute hatten sich vor zwei Jahren kennengelernt. Für Christian war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Von Anfang an hatte für ihn festgestanden, daß sie eines Tages heiraten würden.
Nach dem Segen begannen die Glocken zu läuten. Arm in Arm verließ das Brautpaar die Kirche. Ein langer Hochzeitszug folgte ihnen. Carmen arbeitete bei der Post, Christian als Informatiker bei einer großen Firma. Zu ihrer Hochzeit hatten sie all ihre Freunde und viele ihrer Kollegen eingeladen.
Vor der Kirche wurde den jungen Leuten von allen Seiten gratuliert. Es war ein wunderschöner Tag, kein Wölkchen zeigte sich am strahlend blauen Himmel. Carmen schien es, als wollte sich alle Welt mit ihr freuen. »Ich bin so glücklich, Christian«, flüsterte sie ihrem Mann ins Ohr. »Ich könnte immerzu tanzen, mich um mich selbst drehen, mich…«
Martina Weiß, Carmens beste Freundin und Trauzeugin, griff nach ihrer Hand. »Wie glücklich mußt du sein«, meinte sie zu ihr. »Ich freue mich für dich, Carmen. Herzlichen Glückwunsch.« Sie wandte sich Christian zu und nahm auch seine Hand. Es fiel ihr nicht leicht, ein fröhliches Gesicht zu machen. Was hätte sie darum gegeben, an Carmens Stelle zu sein. Seit sie Christian kennengelernt hatte, liebte sie ihn. Es tat weh, ihn jetzt mit einer anderen verheiratet zu sehen, auch wenn diese andere ihre beste Freundin war.
In einer langen Wagenkolonne fuhren sie zu einem Hotel am Wannsee. Im festlich mit Blumen und Kerzen geschmückten Bankettsaal wartete bereits der Kaffee auf sie. Vor dem Platz des Brautpaars stand eine mehrstöckige, mit Marzipanrosen verzierte Hochzeitstorte. Auf einem langen Tisch bei der Tür lagen
die Hochzeitsgeschenke. Carmen freute sich schon darauf, sie nachher zusammen mit ihrem Mann auszupacken. Sie war überzeugt, daß es dabei viel zu lachen geben würde. Immerhin kannte sie ihre Freunde und deren Sinn für Humor.
Während des Kaffeetrinkens hielt Christians bester Freund eine Rede und erwähnte in ihr den glücklichen Zufall, der seinen Freund und ihn vor zwei Jahren in das Tanzcafé geführt hatte, in dem auch Carmen und Martina ein paar Stunden verbrachten. Ihm sei vom ersten Augenblick an klargewesen, daß es zwischen den beiden gefunkt hatte.
Werner wandte sich dem Brautpaar zu. »Ihr ahnt nicht, wie sehr ich mir freue, euer Trauzeuge zu sein. Wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind, so seid ihr es.«
Martina dachte ebenfalls an jenen Abend. Christian hatte auch sie zum Tanzen aufgefordert, allerdings hatte sie schon bald gemerkt, daß es nur Höflichkeit gewesen war. Er interessierte sich nur für Carmen, hatte nur Augen für ihre Freundin. Sie konnte nicht verstehen, was er an Carmen fand, die sie trotz ihrer schwarzen Haare und braunen Augen für ausgesprochen farblos hielt. Christian mußte blind sein, absolut blind, sonst hätte er sich in sie und nicht in ihre Freundin verliebt. Es fiel ihr schwer, dem jungen Paar nicht zu zeigen, daß sie von dieser Verbindung nichts hielt.
Der Nachmittag verging mit Sketchen, die Kollegen von der Post aufführten, dem Auspacken der Geschenke und fröhlichen Gesprächen. Carmen und Christian wollten am nächsten Morgen zu ihrer Hochzeitsreise an den Tegernsee aufbrechen, und so hatte ihnen Werner Vogt außer einem Kaffeeservice auch einen Gutschein für ein Candelight-Dinner im Hotel ›Seeschlößchen‹ geschenkt. Er war dort auf seiner eigenen Hochzeitsreise abgestiegen und überzeugt, daß seine Freunde diesen Abend niemals vergessen würden.
Nach dem Abendessen spielte eine Band zum Tanz auf. Christian hatte sich als Eröffnung Carmens Lieblingslied gewünscht: ›Nachts in meinen Träumen‹ aus dem Film Titanic. Eng umschlungen tanzte er mit seiner Frau quer durch den Saal. Minutenlang gab es für ihn nur noch Carmen, vergaß er völlig, daß sie nicht allein waren. Immer wieder flüsterte er ihr zu, wie sehr er sie liebte.
Auch Martina tanzte. Werner Vogt hatte sie aufgefordert. Seine Frau konnte an der Hochzeit nicht teilnehmen, weil sie wegen einer Knieoperation im Krankenhaus lag. »Sind die beiden nicht ein schönes Paar?« fragte er und schaute zu den jungen Leuten hinüber. »Sie sind wie füreinander geschaffen«, fuhr er fort.
Martina antwortete ihm nicht. In Gedanken summte sie den Text des Liedes mit. ›Nachts in meinen Träumen sehe ich dich und fühle, daß ich nicht weit fort bin von dir. Über alle Grenzen, das weiß ich, das spür ich, daß du immer sein wirst in mir.‹
Es war genau das, was sie empfand. Dieses Lied war allein für sie geschrieben worden. Ja, für sie und Christian. ›Du bist die Liebe in mir und du bleibst mir ganz nah, weil mein Herz dich nie mehr vergißt‹, klang es in ihr nach. Und so war es auch. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie die Liebe, die sie für Christian empfand, jemals vergessen würde.
Carmen und Christian tanzten noch immer miteinander. Sie ahnten nicht, daß Martina sie glühend beneidete. Carmen wäre niemals auf die Idee gekommen, daß Martina in ihr eine Feindin sah. Sie hatten gemeinsam bei der Post angefangen, gemeinsam ihre Freizeit in den letzten Jahren verbracht. Nein, nicht mehr ganz. Als Christian in ihr Leben getreten war, hatte sie mehr Zeit mit ihm als mit Martina verbracht. Aber das war ganz normal, und sie war überzeugt, daß ihre Freundin das verstand.
»Ich liebe dich«, sagte Christian. »Ich liebe dich so sehr, daß es direkt weh tut.« Impulsiv zog er seine Frau an sich und küßte sie.
*
Dr. Eric Baumann hatte einen äußerst vergnüglichen Tag bei den Sanwalds in München verbracht. Er kannte Dr. Sanwald seit seiner Jugendzeit. Dennoch hatten sie sich jahrelang nicht gesehen, da die Sanwalds einige Zeit in Südamerika gelebt hatten und erst vor wenigen Wochen nach Deutschland zurückgekehrt waren.
Trotz des strömenden Regens fuhr der Arzt bester Laune nach Tegernsee zurück. An und für sich hatte er erst um acht aufbrechen wollen, doch bereits um sechs war es so dunkel geworden, als würde ein Weltuntergang bevorstehen. Aus dem Autoradio klang das Brandenburgische Konzert. Er war nur noch wenige Kilometer von Tegernsee entfernt. Noch von München aus hatte er seine Haushälterin angerufen und von ihr erfahren, daß Mara Bertram einen äußerst ruhigen Tag verlebt hatte. Es hatte nicht einen einzigen Notfall gegeben.
Plötzlich sah er im Kegel seiner Scheinwerfer unterhalb der Böschung einen umgestürzten Wagen. Er hielt am Straßenrand an, stieg aus und kletterte im strömende Regen die Böschung hinunter. Der Unfall konnte