Melanie Rhoden

Fürstenkinder 4 – Adelsroman


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Fürstenkinder – 4 –

      Fürst Rainer von Wildberg-Kallau steuerte selbst den großen, schweren Wagen. Auf den Waldstraßen nahe dem Schloß fuhr er besonders langsam, weil gerade in den Morgenstunden Wildwechsel eine Gefahr bedeutete. Erst auf der Autobahn konnte der starke Motor seine Kräfte entwickeln. Weniger Spitzengeschwindigkeiten als das zügige Fahren brachte die Reisenden rasch nach dem Süden. Kaum drei Stunden später tauchten schon die mächtigen Umrisse der Berge als blaugraue Schemen auf. Die Zeit verging schnell, weil die Kinder auf den Rücksitzen nett miteinander plauderten. Fürstin Vera saß neben ihrem Mann und schaute verträumt in die reizvolle Landschaft des Alpenvorlandes. Glückliche Stunden zogen als Erinnerungen vorbei; an die glanzvolle Hochzeit auf Schloß Wildberg; an den Augenblick, da ihr bewußt wurde, daß sie Mutter sein werde. Und dann die dramatisch verlaufende Geburt, während der sie meinte, sterben zu müssen! Fürstin Vera wußte noch genau, daß sie unter der Wirkung der schmerzlindernden Mittel nur noch einen Wunsch fühlte, nämlich wenigstens einmal ihr Kind sehen zu können. Sie überstand alle Komplikationen mit dem festen Willen, bei ihrem geliebten Mann und bei ihrem Kind zu bleiben. Die Ärzte sprachen von einem Wunder und verboten ihr jede weitere Schwangerschaft.

      »Ich wollte damals auf keinen Fall, daß Ronald als Einzelkind aufwächst«, sagte Fürstin Vera unvermittelt. Erst verstand Rainer nicht gleich, was sie meinte, aber dann fand er sich in ihre Gedanken.

      »Du warst wunderbar tapfer«, bestätigte er ihr. »Wie habe ich dich für deinen Leichtsinn verurteilt!«

      »Glaub mir, Rainer, wenngleich die Ärzte schwarz in schwarz die Gefahren ausmalten, wußte ich genau, daß ich einmal für meine Kinder nicht sterben, sondern leben sollte!«

      Fürst Rainer suchte tastend die Hand seiner Frau, zog sie an die Lippen und küßte zärtlich die Fingerspitzen, bis sie ihn verwies: »Das ist während der Fahrt verboten, mein Lieber. Sicherheit geht vor!«

      Lächelnd gab er sie frei und widmete sich wieder ganz der Kunst, völlig risikofrei und rasch zu fahren. Eine Stunde später erreichten sie über eine gute ausgebaute Seitenstraße das Dorf Neu-Galling. An einen Hügel gebaut, lag, protzig und etwas zu groß, das Sanatorium von Professor Wernhoff. Weißgekieste Straßen und Wege führten durch den Park. Kaum hatte der Fürst den Wagen vor dem schloßartigen Gebäude gehalten, begann schon das freudige Rufen der Kinder: »Oma! Ich sehe sie! Oma sitzt auf einer rotgestrichenen Bank!«

      Vergeblich mahnte der Fürst, man müsse hier besonders Ruhe bewahren, die Aufregung der Kinder war zu groß. Allerdings ließen sie sich beim Wagen noch ordentlich aufstellen, weil sie erst dann die Geschenke für die Jubilarin ausgehändigt bekamen. Nun aber stürmten sie los, der sechsjährige Ronni Blumen schwingend, die vierjährige Reni hinter ihm her, wobei sie eine große Bonboniere schleppte.

      Es gelang Fürstin Thea von Vingenstein, dem Anprall der beiden Enkelkinder sitzend standzuhalten. Mit aufwallender Rührung drückte sie die Kleinen an sich, ließ sich zärtlich küssen und gab dann jedem auch einen Kuß auf die Stirn.

      Mit großen, strahlenden Augen schaute sie dem Fürstenpaar entgegen.

      »Mama, alles Gute zum Sechziger!« rief Vera, lief auf ihre Mutter zu und umarmte sie. Sie konnte die Tränen des Glücks nicht zurückhalten, denn Mama schaute prächtig erholt aus.

      Wohl weil Fürst Rainer ähnliches feststellte, rügte er seine Frau: »Vera, du bist einfach ungalant! Liebste Mama, auch von mir die besten und herzlichsten Wünsche. Bleib auch die zweiten fünfzig Jahre gesund, glücklich und bei uns!«

      Er küßte die Hand seiner Schwiegermutter, worauf sie ihn, zum Scherz rügend, ermahnte: »Du mußt nicht nur ganz junge Frauen küssen, mein lieber Rainer. Wenn du schon so galant bist, mich um zehn Jahre jünger zu schwindeln, so darfst du mich sogar auf den Mund küssen! Wir wollen Vera geradezu eifersüchtig machen!«

      Fürstin Thea, Veras Mutter, war bester Laune, glücklich über das Kommen der Familie, und sie ahnte nicht, daß dieses Glück nur noch eine kurze Zeit währen sollte.

      Vorerst lud sie ihre Gäste in das kleine Appartement, das sie hier in der Klinik bewohnte, und bestellte über das Haustelefon einige Erfrischungen.

      »Mama, du hast keinerlei Beschwerden mehr beim Gehen!« stellte Vera glücklich fest. »Die Kur hat Wunder bewirkt, du bist tatsächlich um wenigstens zehn Jahre jünger geworden!«

      Vera freute sich darüber so sehr, daß wieder Tränen in ihre Augen tragen. Nur Fürstin Thea grollte ihr: »Vorhin hast du das gar nicht ausgesprochen. Nur Rainer gratulierte mir sogleich zum Fünfziger. Spaß beiseite: Ich fühle mich wie neugeboren. Kinder, ich wünsche mir auch noch einige Jahre, um euer Glück ein bißchen beobachten und mich daran mit erfreuen zu können. Ihr wißt ja nicht, wie froh ich über euer Kommen bin!«

      So verging die Zeit sehr schnell. Alle waren glücklich über das Beisammensein. Die Fürstin von Vingenstein horchte deshalb erstaunt auf, als auf dem Korridor ein elektrischer Gong ertönte, und sie sagte: »Das Zeichen zum Mittagstisch. Allerdings denke ich nicht daran, mich an einem so wunderbaren Tag über Professor Wernhoffs Diätküche zu ärgern. Kinder, ich lade euch zu einem exquisiten Mittagsmahl in zweitausend Metern Höhe ein, ins Hotelrestaurant auf dem Klaiberstein!«

      Die Einladung wurde mit größter Begeisterung aufgenommen, nur Klein-Reni vergewisserte sich erst: »Oma, gibt es dort oben auch Himbeereis?«

      »Frisch vom Gletscher!« schwindelte Oma Thea, womit sie auch Renis Vorbehalte beseitigte.

      Und so trieben die Ereignisse auf die Katastrophe zu.

      *

      Um diese Stunde war selbstverständlich die Hotelbar auf dem Klaiberstein längst geöffnet. Zwei gutaussehende, salopp gekleidete und bestens gelaunte Herren um die dreißig amüsierten sich köstlich in Gesellschaft zweier blutjunger, bildhübscher Mädchen.

      »Tim, noch einmal dasselbe!« sagte einer der Herren zum Mixer, der sich beeilte, diesen Wunsch zu erfüllen. Das waren immerhin Gäste, die gewohnt waren, sich jeden Wunsch zu erfüllen, und die auch dafür nicht nach dem Preis fragten.

      »Salute!« rief ein Herr.

      »Ex!« befahl der zweite, und die Mädchen standen nicht zurück.

      »Also gilt es? Start in zwei Minuten. Hinunter bis ins Dorf, dreimal rund um den Kirchenplatz, und dann zurück. Wer als erster wieder hier an der Bar sitzt, hat gewonnen. Aber nur paarweise! Ihr Schönen müßt mitlaufen!«

      »Tim zählt bis drei, dann gilt der Start!« befahl einer der Kavaliere.

      Der Mixer Tim hatte mitgehört und verstanden, worum es hier gehen sollte. Die beiden jungen Herren fuhren Sportwagen, Letztmodelle. Man wollte also Privatrennen austragen. Ausgerechnet auf der kurvigen Bergstraße über einen Höhenunterschied von beinahe tausendfünfhundert Metern! Auf dem Kirchenplatz würden bestimmt alte, nicht mehr so schnell reagierende Leute unterwegs sein; vielleicht auch Kinder. Tim, der erfolggewohnte Mixer in der Hotelbar, dachte insgeheim: Betrunken! Ihr seid Verbrecher! Was ihr tun wollt, ist geradezu kriminell! Dann sagte er, zuletzt ein beachtliches Trinkgeld erwartend: »Selbstverständlich, meine Herrschaften. Tim erfüllt jeden Wunsch! Mein Kommando gilt: eins, zwei und… drei!«

      Beinahe wäre es nicht zu diesem Rennen gekommen, denn eines der Mädchen war so betrunken, daß es kaum noch gerade laufen konnte. Der Begleiter stand auch nicht ganz sicher auf den Beinen, aber nachdem er sich hinter das Lenkrad seines Sportwagens geklemmt hatte, mußte er gleich ordentlich ›auf die Tube drücken‹, weil sein Freund bereits mit radierenden Reifen in die erste Spitzkehre einfuhr. Kavaliersstart mit durchdrehenden Rädern. Lustig aufkreischend, klammerte sich seine reizvolle Begleiterin am Haltegriff fest, und schon stürzte ihr das Band der Straße entgegen.

      »Immer die Ideallinie!« schrie ihr der Freund zu, schnitt die Kurve in perfektem Rennstil an, ließ den Wagen mit allen vier Rädern in der Kurve kommen, kurz Gas weg, und dann wieder draufgetreten. Er spürte, welch köstliches Prickeln ihm die Todesgefahr im längst nicht mehr nüchternen Gehirn verursachte. Köstlich! Das war noch lebenswertes Leben!

      *

      Fürstin Thea von Vingenstein ließ sich von ihrem Schwiegersohn zum Wagen führen. Selbstverständlich bot ihr ihre Tochter den Ehrenplatz an der Seite des