Bettina Clausen

Sophienlust 310 – Familienroman


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sagte Doris zu den anderen Mädchen. Und zum Vater: »Das sind Ingrid und Bärbel, und das hier ist Heidi. Sie ist meine Freundin geworden. Stimmt’s, Heidi?«

      Die Kleine, die vorher mit Doris gespielt hatte, nickte eifrig.

      Doris hatte noch immer ein geschwollenes Gesicht. Besonders auffällig waren die Hamsterbäckchen an den Wangen. Zärtlich strich Eric darüber.

      »Das geht wieder weg, hat die Tante Doktor gesagt.«

      »Natürlich.« Erich räusperte sich. »Sag mal, Schätzchen, hat dich die Mami eigentlich einmal besucht?«

      »Nein.«

      Eric war auf Tränen gefasst gewesen, hatte sich schon Worte zurechtgelegt, mit denen er sein Töchterchen trösten wollte, aber Doris schüttelte nur den Kopf und sagte trocken: »Sie kommt auch nicht mehr.«

      Eric wusste nicht, was er sagen sollte.

      »Sie ist für immer weggegangen«, fuhr Doris fort.

      »Hat sie das zu dir gesagt?«

      »Ja.« Doris nickte.

      »Und du bist gar nicht traurig darüber?«

      »Nein, Vati. Ich habe ja dich.« Treuherzig schaute die Kleine zu ihm empor.

      Eric schluckte und nahm seine Tochter in die Arme. »Du hast recht, Kleines. Solange wir beisammenbleiben, ist alles gut.« Er wusste, dass Doris nicht sonderlich an der Mutter gehangen hatte. Trotzdem hatte er einen Schock befürchtet und war nun froh, dass Doris es so leicht aufnahm.

      »In acht Tagen darfst du nach Hause. Dann spielen wir den ganzen Tag zusammen oder machen Ausflüge.«

      »Gehen wir auch einmal in den Zoo, Vati?«

      »Natürlich. Sooft du willst.«

      »Dann könnt ihr mich ja auch einmal besuchen«, warf Heidi ein.

      »O ja, Vati!« Doris klatschte in die Hände. »Heidi wohnt in einem Heim mit vielen Tieren und einem großen Garten.«

      »In einem Heim?«, fragte Eric.

      Die Fünfjährige im Nebenbett nickte. »Kommt ihr wirklich?«

      Eric versprach es. Das Heim interessierte ihn. Aber er kam nicht mehr dazu, Heidi auszufragen.

      Eine Schwester brachte das Abendessen. Für Eric war das das Signal zu gehen. »Ich komme morgen wieder«, versprach er.

      »Bestimmt, Vati?«

      »Ganz bestimmt.« Er küsste Doris und verabschiedete sich auch von den anderen Mädchen. Neben Heidis Bett zögerte er einen Augenblick. »Gefällt es dir in dem Heim?«

      »Natürlich«, sagte Heidi. Ihr Ton verriet, dass sie seine Frage gar nicht verstand. Natürlich gefiel es ihr. »Allen gefällt es bei uns.«

      »Aha.« Eric nickte, obwohl er diesmal derjenige war, der nicht verstand. Wie konnte es Kindern in einem Heim gefallen?

      »Sie müssen jetzt leider gehen, Herr Peters«, sagte die Schwester.

      Eric nickte. »Ich bin schon unterwegs.« Er warf Doris eine Kusshand zu. »Bis morgen.«

      Als die Schwester wieder gegangen war, fragte die kleine Heidi: »Sag mal, Doris, kommt deine Mutti wirklich nicht wieder?«

      »Nein. Sie ist nach Amerika gegangen.« Doris biss in ein Schinkenbrötchen.

      »Aber deswegen kann sie doch wiederkommen?«

      Kopfschütteln. Doris aß den Rest des Brötchens und sagte dann kauend: »Sie hat ja gesagt, dass sie nicht wiederkommt.«

      »Warum ist sie überhaupt weggegangen?«

      »Weil sie Vati nicht mehr lieb hat«, antwortete Doris gleichgültig.

      Da mischte sich Ingrid, das älteste Mädchen im Zimmer, ins Gespräch ein. »Macht es dir gar nichts aus, dass deine Mutti fort ist?«

      Doris überlegte. »Ich weiß nicht … Eigentlich nicht. Sie hat sowieso bloß immer geschimpft.«

      »Aber sie ist doch deine Mutti«, rief Ingrid.

      »Vati hat gesagt, sie war eine Rabenmutti.«

      »Dann hast du deinen Vati wohl lieber?«, fragte Heidi.

      »Viel lieber. Er würde nie fortgehen und mich allein lassen. Er schimpft auch nicht, und er hat mich noch nie geschlagen.«

      »Hat deine Mutti dich geschlagen?«, wollte Heidi wissen.

      »Ja, oft.« Doris’ Gesicht bekam einen bockigen Ausdruck. Sie erinnerte sich an Schläge und böse Worte. Lieb und zärtlich war die Mutti nie gewesen. »Sie hat auch nie mit mir gespielt.«

      »Warum nicht?«

      Doris zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Sie hat immer gesagt, sie hat keine Zeit.«

      »Ist sie arbeiten gegangen?«, fragte Ingrid.

      »Nein. Mit einem fremden Mann ist sie oft weggegangen, und dann musste ich immer allein bleiben. Einmal habe ich geheult, weil ich Angst hatte. Es war schon dunkel.«

      »Und dann?«, fragte Heidi.

      »Dann ist Mutti mit dem Mann zurückgekommen, und er hat gesagt, dass ich böse und unartig bin und dass ich eine Tracht Prügel verdient hätte …« Sie begann zu weinen.

      »Warum weinst du, Doris?«

      »Ich wollte gar nicht unartig sein«, schluchzte Doris. »Ich hatte doch bloß Angst. Es war ganz dunkel und hat geblitzt.«

      »Ein Gewitter?«

      Doris nickte.

      »Dann ist Mutti mit dem Mann ins Wohnzimmer gegangen, und ich musste allein in meinem Zimmer bleiben. Aber ich hatte Angst vor dem Donner. Er hat so laut gekracht und …«

      »Und was?«

      »Da bin ich doch ins Wohnzimmer gegangen.« Wieder sah Doris dieses grässliche Bild vor sich: Die Mutti in den Armen des fremden Mannes.

      »Und was ist dann passiert?«, wollte Ingrid wissen.

      »Mutti hat mich geschlagen, weil ich hereingekommen bin.« Doris begann zu weinen.

      Heidi kam zu ihr. »Weine doch nicht, Doris.«

      Doris schnüffelte und fuhr sich über die Augen.

      »Reden wir lieber von etwas anderem«, schlug Ingrid vor. »Erzähle uns von deinem Vati, Doris. Was macht er? Warum ist er nie zu Hause?«

      »Weil er auf einem Schiff fährt«, erzählte Doris stolz.

      »Wirklich?« Heidis Augen glänzten vor Aufregung. »Ist er ein Kapitän?«

      »Wenn er auf einem Schiff fährt, dann ist er ein Matrose«, sagte Ingrid.

      Doris widersprach ihr. »Er ist – jetzt hab ich’s vergessen. Aber ihr könnt ihn ja morgen fragen, wenn er kommt.«

      Heidi setzte sich auf Doris’ Bett. »Warst du auch schon einmal auf einem Schiff?«

      »Noch nicht. Aber irgendwann nimmt mich Vati einmal mit. Das hat er mir versprochen.«

      *

      Eric verbrachte den Rest des Tages in seinem Stammlokal. Die leere Wohnung ertrug er nicht. Er bestellte sich ein Bier, einen Klaren und ein Wiener Schnitzel.

      Der Wirt selbst bediente ihn. Die beiden kannten sich seit vielen Jahren.

      »Auch wieder einmal im Lande, Herr Peters?«

      »Ja, drei Wochen Urlaub. Trinken Sie einen Klaren mit mir?«

      »Danke, gern.« Der Wirt schenkte ein. »Wie geht’s der Familie?«

      Eric musste lachen. »Meine Tochter liegt mit Mumps im Krankenhaus, meine Frau ist mir davongelaufen. Prost!«

      »Prost«,