Staatsanwältin muss und wird sofort erkennen, was dahintersteckte, hinter dieser Anzeige. Es wird sicherlich nicht der erste Fall dieser Art auf deren Schreibtisch sein.«
»Da magst du Recht haben, Martin. Trotzdem dürfte ich nicht so handeln. Aber ich kann nicht anders«, sagte Wolfi. »Ich kann nur hoffen, dass die Sache zu einem guten Ende kommt. Das kann aber dauern.«
»Wolfi, du steigerst dich da in etwas hinein«, bemerkte Martin. »Außerdem fehlt mir etwas die Einsicht, gestehe ich dir. Du bist doch nicht nur Polizist. Klar, es ist dein Beruf. Aber kann er so über dein Leben bestimmen? Du bist doch auch ein Mensch, ein Bursche, und hast dein eigenes Leben. Niemand kann doch verlangen, dass du das alles hintenanstellst, oder? Zuerst kommt die Pflicht und danach soll lange, lange nichts kommen und erst dann – du als Mensch?«
Wolfi seufzte. »Martin, ich habe mich für den Beruf entschieden. Du weißt, es war mein Traumberuf. Ich wollte immer zur Polizei. Bisher war ich auch nie in einem Konflikt.«
Wolfi schloss für einen Augenblick die Augen. Er erinnerte sich an den Tag, an dem er seinen Eid ablegte.
»Als ich damals meinen Amtseid ablegte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich einmal in so eine Situation komme.«
»Wie ist das mit der Verpflichtung?«, fragte Katja.
»Da gibt es eine Formel. Sie lautet: ›Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.‹ Das habe ich bisher immer getan.«
»Also«, sagte Katja, »wie ich das sehe, warst du nicht im Dienst, als du Moni gefunden hast. Mir will nicht einleuchten, dass dieser Eid für jeden Augenblick deines Lebens gilt.
»Doch, Katja, so ist es. Sieh mal, eigentlich ist jeder Bürger verpflichtet, Straftaten zu melden oder zu helfen, einen Straftäter, in diesem Fall eine Straftäterin, zu überführen. Das ist Bürgerpflicht«, erklärte Wolfi mit Nachdruck.
»Das gilt nicht im Fall von der Moni«, erklärte Walli mit fester Stimme. »Wir alle wissen, dass Moni das Auto nicht gestohlen hat. Also musst du kein schlechtes Gewissen haben. So sehe ich das. Wolfi, mache es dir nicht komplizierter, als es ohnehin schon ist.«
»Danke für dein Verständnis, Walli. Aber so einfach ist das nicht. Ich kenne einige Beispiele von Kollegen, die auch schon mal etwas unter den Tisch fallen ließen. Es nahm jedes Mal ein böses Ende. Wenn die Mühlen erst einmal anfangen zu mahlen, wird es gefährlich, Martin. Ich denke und grübele darüber, ja keine Spuren zu hinterlassen, versteht ihr?«
Katja und Walli nickten.
Martin schaute Wolfi ernst an. »Kann ich ganz offen reden, Wolfi? Ich möchte dich nicht verletzen. Weißt du, Freunde sind für mich nicht nur deshalb Freunde, weil sie mir immer zustimmen. Ich erwarte von einem Freund, dass er auch mal kritische Fragen stellt oder Zweifel äußert. Das wollte ich dir sagen. Mir geht ein Gedanke durch den Kopf.«
»Okay, ich habe deine Vorrede verstanden. Spuck es aus, Martin!«, brummte Wolfi. Es war ihm anzumerken, dass er sehr angespannt war.
»Wolfi«, sagte Martin und bemühte sich, seiner Stimme einen weichen und mitfühlenden Tonfall zu geben, »vielleicht solltest du erst einmal klären, ob Moni dich will? Ich meine, du hast dich in sie verliebt. Das ist wunderbar. Wir gönnen es dir. Aber ich möchte dich behutsam warnen. Die Liebe ist noch einseitig. Bis du weißt, ob dir Moni auch Liebe entgegenbringt, wäre es vielleicht wirklich angebracht, vorsichtig zu sein. Am Ende stehst du mit leeren Händen da. Moni ist dir durch die Finger gerutscht, und deine Arbeit bei der Polizei bist du auch los.«
»Das sind harte Worte, Martin«, sagte Wolfi. »Auch, wenn ich den Gedanken gern verdrängen würde, muss ich ihn akzeptieren. Du hast vollkommen recht.«
Martin legte Wolfi die Hand auf die Schulter. »Denke mal darüber nach, ob es einen Kompromiss gibt! Ich meine derart, dass du dem Madl hilfst, ohne selbst ein zu hohes Risiko einzugehen.«
»Das ist es ja, was mich quält. Es gibt in dem Fall nur Schwarz oder Weiß. Ich verpfeife Moni und liefere sie aus. Sie wird sicher nicht in Untersuchungshaft kommen, denke ich. Oder ich tue so, als hätte ich nie etwas gehört und gesehen, weder das Auto, noch Moni. Dabei gibt es eine Unsicherheit. Ich hatte einen Kollegen gebeten, die Autonummer zu recherchieren. Ich habe ihm gestanden, dass ich mich in die Autofahrerin verliebt habe. Ich weiß nicht, ob der Kollege mich deckt. Sicher ist die Kameradschaft sehr groß. Das ist auch notwendig, weil man sich in einer Gefahrensituation auf die Kollegen verlassen muss. Ich ärgere mich, dass ich jemanden um Hilfe gebeten habe. Ich hätte es selbst machen sollen. Zu spät! Das Kind ist in den Brunnen gefallen«, seufzte Wolfi.
Es war ganz still in der Küche.
»Wolfi, du kannst einem wirklich leidtun. Du hast unser aller Mitgefühl«, sagte die alte Walli. »Wir haben alle mitgemacht. Mitgegangen, mitgehangen, heißt es. Hast du keinen Vorgesetzten, dem du dich anvertrauen könntest? Weißt du, jemand mit Erfahrung und Verständnis, jemand mit viel Lebenserfahrung und der auch Lücken in der Dienstvorschrift zu finden weiß und auch mal Menschlichkeit zeigt.«
Wolfi dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich denke, es ist besser, sich niemandem anzuvertrauen«, sagte er leise.
Sie schwiegen alle. Die Minuten verrannen.
»Wolfi, ich bin immer noch der Meinung«, ergriff Martin das Wort, »dass es das Beste ist, so zu tun, als wärst du das Wochenende in den Bergen gewesen. Okay, du hast ein Madl gesehen. Dein Herz schlug schneller. Man könnte es so darstellen. Du hattest keine Gelegenheit, sie näher kennenzulernen. Du hattest nur ihre Autonummer. Alles Weitere hast du über den befreundeten Kollegen erfahren. Aber du bist dem Madl nicht mehr begegnet. Das war gut so, denn du hast das Interesse an der jungen Frau verloren, nachdem du erfahren hast, dass sie wegen Autodiebstahls gesucht wurde. Ich denke, das ist eine glaubhafte Variante der Geschichte. Soll dir doch irgendjemand nachweisen, dass es nicht so war!«, erklärte Martin im Tonfall fester Überzeugung.
»Wie du das sagst, klingt es ganz einfach, Martin.«
»Es ist einfach. Und wenn es nötig wird, dann stehe ich dir bei. Okay, du hattest das Madl im Auto gefunden und mich angerufen. Zweitens, ich habe das Madl aufgenommen und verarztet. Drittens, Moni hat meine ärztlichen Leistungen bar bezahlt und ist verschwunden. Ich kann viertens zugeben, dass mir ihr Verhalten etwas sonderbar vorkam. Aber ich erklärte es mir damit, dass sie unter Schock stand.«
»Und jetzt ist die Patientin fort. So einfach ist das«, fasste es Walli zusammen.
»Und warum hat sie dich aufgesucht?«, fragte Wolfi.
»Mei, das gehört unter die ärztliche Schweigepflicht. Basta!«, antwortete Martin mit fester Stimme.
Wolfi rieb sich das Kinn. »Klingt gut«, murmelte der leise. »Aber du, Katja, Walli, Pfarrer Zandler, ihr seid nicht die Einzigen, die davon wissen. Was ist mit Beate und Carl? Was ist mit Toni und Anna? Falls es zu einem Verhör kommt, hängt ihr alle mit drin.«
Martin seufzte. »Mei, Wolfi, höre auf, dich da in etwas hineinzusteigern! Das ist ja nimmer mit anzusehen. Das ist schon fast krankhaft. Höre bitte jetzt auf, dir solche Schreckensszenen auszumalen«, schimpfte Martin. »Mache lieber, dass du wieder auf die Berghütte kommst. Moni muss ja irgendwann wieder unter Menschen gehen.«
Wolfi schüttelte den Kopf. »Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht besser ist, Moni zu meiden. So für einige Tage, dachte ich mir. Jedenfalls bis Arnold Lehmann sein Auto zurückbekommen hat. Vielleicht besitzt er noch einen winzigen Rest von Anstand und zieht die Anzeige gegen Moni wegen Autodiebstahl zurück?«
»Das würde die Sache vereinfachen«, bemerkte Katja.
»Stimmt!«, nickte Wolfi. »Er könnte sagen, dass er sich geirrt habe. Er muss den Kollegen nicht auf die Nase binden, dass Moni sich von ihm getrennt hat. Er könnte sagen, dass seine Freundin verreist sei und er sie nicht erreicht habe, um sie nach dem Auto zu fragen. Sicher ist diese Ausrede etwas dünn. Aber ich sage euch, jede Dienststelle ist froh über jeden Fall, den sie nicht