G.F. Waco

Waco 6 – Western


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      Lemuel rennt in langen Sätzen zum Haus hinüber. Aus der Küchentür dringt das wüste Brüllen des Alten, der nach dem Mittagessen noch friedlich geschlafen hat. Irgend etwas kracht schwer, und dann meldet sich durch das gellende Hohngelächter Claire Madocks entsetzte Stimme weinerlich:

      »Dimp, Dimp, das darfst du nicht tun. Es ist Clarissas Geld. Das Kind hat es sich zusammengespart. Dimp, laß es liegen. Dimp, ich bitte dich...«

      »Du verdammte Hexe!« brüllt Dimp, der Teufel, in höchster Wut. »Kein Geld im Haus, was? Verdammte Lügnerin, fort mit dir!«

      Einem Klirren folgt Claire Madocks Aufschrei. In diesem Moment erreicht Lemuel die Küche. Auf den ersten Blick sieht der dreiundzwanzigjährige Lemuel Madock seine Mutter neben dem Wohnzimmertisch am Boden liegen. Das Zimmer macht den Eindruck, als hätte eine Granate eingeschlagen. Der Schrank steht weit offen.

      »Hexe, Lügnerin!« tobt der Alte in Clarissas kleiner Kammer. Die Kammer liebt neben dem Wohnraum, und die Tür steht offen. »Kein Geld im Haus – der Teufel soll dich holen, du vertrocknete Wüstendistel!«

      In Lemuel schießt die wilde Wut hoch.

      Mit zwei Sätzen springt Lemuel in den Wohnraum, dann an seiner Mutter vorbei und auf die Kammertür zu.

      Ich packe ihn mir, denkt Lemuel grimmig. Einmal ist es genug. Ich werde ihm...

      Und mehr denkt er nicht. Er hat sich durch das Fluchen des Alten bluffen lassen. Als er durch die Tür springt, sieht er den alten mit eiskalten Augen schon bereitstehen. Dimp Madock hat einen Schemel in beiden Fäusten. Im nächsten Augenblick schlägt der Alte den Schemel Lemuel über den Kopf.

      »Willst du was?« knirscht der Alte heiser. »Dir helfe ich, du Taugenichts. Da hast du dein Teil!«

      Lemuel sieht ein Feuerwerk und bricht in die Knie. Er ist halb benommen, bekommt einen Tritt unter die Rippen und fliegt rücklings in den Wohnraum. Wie aus weiter Ferne hört er noch den gellenden Aufschrei seiner Mutter, dann wird ihm schwarz vor Augen.

      Als Brian in die Tür stürmt, bleibt er wie gelähmt stehen. Aus Augen, in denen irre Lichter funkeln, stiert ihm Dimp entgegen. Der Alte hat Lemuel hochgerissen und sein Messer gezogen. Er hält es an Lemuels Hals und starrt Brian und Hardison wie der leibhaftige Satan an.

      »Wollt ihr auch was?« brüllt er ihnen entgegen. »Das denkt ihr euch so, was? Na, kommt doch, los, versucht mal, mich anzufassen. Was meint ihr, passiert dann, he? Lügengesindel, verkommenes Packzeug, euch bringe ich die Furcht noch bei. Los, weg da, ich will euch nicht mehr sehen.«

      »Du... du verdammter Schurke!« schreit Brian zornbebend. »Was hast du da wieder angestellt, he? Laß ihn los!«

      »Könnte dir so passen«, giftet der Alte. »Schert euch weg, sattelt meinen Gaul. Sie hat mich belogen wie immer, alle belügen mich hier, alle! Hatte doch Geld, wußte ich doch. Verschwindet, holt meinen Gaul, ich reite weg!«

      »Oh, mein Gott, Brian, er hat dreißig Dollar genommen. Sie gehören Clarissa«, sagt Claire schluchzend am Boden. »Brian...«

      Wenn der Alte vor jemandem Respekt hat, dann vor seinem eigenen Sohn.

      »Schon gut, Ma«, brummt Brian finster. »In drei Wochen habe ich Geld, wir erwarten Rinder. Dann bekommt Clarissa es zurück. Du kannst gehen, Alter – hau ab!«

      »Werde ich auch, werde ich. Bin froh, wenn ich euch nicht mehr zu sehen brauche«, brüllt Dimp und wartet, bis sie verschwunden sind und sein Pferd gesattelt haben. »Mich seht ihr vorläufig nicht wieder – Packzeug, verlogenes!«

      Er schleudert Lemuel zu Boden und geht fluchend hinaus. Dann sitzt er auf und reitet davon.

      »Ma, jetzt sehen wir ihn zwei Wochen nicht mehr wieder«, versucht

      Brian seine Stiefmutter zu beruhigen. »Keine Sorge, er muß nun mal seinen Fusel haben.«

      »O Gott, Brian, sieh dir Lemuels Kopf an«, stöhnt Claire Madock entsetzt. »Eines Tages bringt er uns noch um. Werde bloß nie so wie er, Brian, Junge.«

      Nie so wie er, denkt Brian, ich... ich bin schon so, nur saufe ich nicht so viel. Ich bin ein Dieb und Mörder geworden. Weiß Gott, was passiert, wenn sie es einmal erfährt? Wenigstens haben Lemuel und Hardison kaum mal mitgemacht, die müssen immer dafür sorgen, daß wir ein Alibi haben. Der Alte mag sie nicht, sie sind nicht von seinem Blut. Dieser Teufel, er ist mein Vater, aber...

      Vorläufig haben sie Ruhe vor Dimp. Weiß der Teufel, wie lange er sich jenseits der Grenze herumtreiben und saufen wird.

      *

      Lemuel Madock bleibt vor Schreck fast der Verstand stehen, als er den Alten um den bereits geflickten Schuppenanbau kommen sieht.

      Dimp Madock sitzt schief im Sattel, er schwankt leicht, hält am Corral und stiert auf die Rinder. Dann lacht er meckernd vor sich hin und kommt grinsend auf Lemuel und Hardison zu.

      »Na, ihr Strolche?« begrüßt er sie. »Hähä, gut gearbeitet, was? Euch ist doch die Zeit ohne mich nicht etwa lang geworden, was? Hähä, und die Rinder sind auch da.«

      »Ja«, antwortet Hardison kurz. »Vorgestern hat Dalton sie gebracht. Wir sollten etwas vorsichtig sein, sagt er.«

      Er sieht sich zum Haus um, aber seine Mutter ist im Waschhaus und kann nichts hören.

      »Dimp, angeblich treibt sich Brennan, O’Learys Vormann, in dieser Gegend herum. Er soll alle Händler aufsuchen. Vielleicht kommt er her, was? Wir haben seit gestern nacht Wache gehalten und passen auch am Tag auf.«

      »Aha – na, ist gut, also paßt auch weiterhin schön auf«, bestimmt Dimp grinsend. »Sieht man noch was vom Brandzeichen?«

      »Pah, nichts«, antwortet Hardison. »Man könnte meinen, der Brand wäre ein paar Monate alt.«

      »Wußte ich es doch«, der Alte lacht breit. »Wo ist Brian?«

      »Zu den Nachbarn, er bleibt sicher über Nacht dort. Dimp, wann treiben wir sie weg?«

      »Übermorgen«, brummt Dimp Madock. »Paßt mir ja auf, hier hat keiner was verloren, das ist unser Land. Und wer ungebeten heraufkommt, der fliegt im Bogen herunter. Auch O’Learys verrückte Burschen. Ah, die werden sich hüten, hier ihre Nasen blicken zu lassen, sonst schießen wir sie ihnen ab. Die Rinder sind schon verkauft, ich war drüben in Arizona.«

      »Hardison«, sagt Lemuel leise und bitter, als der Alte fort ist, »was würdest du an O’Learys Stelle tun, wenn dir zwei Leute erschossen werden?«

      »Suchen, ob ich die Mörder finde«, brummt Hardison mürrisch. »Verdammt, es paßt mir so wenig wie dir, aber wir können nie reden. Wir würden Mutter damit umbringen, Lemuel. Dieser Teufel bringt uns noch alle an den Galgen. Na, hierher wird schon niemand kommen.«

      Und wenn sie doch herkommen, denkt Lemuel Madock beklommen. Das geht nicht gut auf die Dauer mit Dimp. Eines Tages packen sie uns.

      *

      Lemuel Madock lehnt sich gegen das noch warme Holz und starrt müde in die Nacht hinaus. Im Haus ist jetzt alles ruhig. Dimp, der alte Teufel, schläft seinen Rausch aus. Hardison ist in sein Bett gekrochen, und Claire hat vor einer halben Stunde das Licht gelöscht. Stille um Lemuel Madock, in der er mit dem Gewehr zwischen den Knien am Holzstapel kauert.

      Weggehen, denkt Lemuel Madock bitter, einfach die Sachen nehmen und weggehen. Und dann? Das läßt einen doch nie los. Man wird sich erinnern, daß Mutter hier ist – hier, bei dem Teufel da hinten im Haus.

      Er seufzt leise. Geht er fort, läßt er seine Mutter im Stich. Dann wird hier alles verfallend, denn Hardison ist faul, bequem, träge. Er arbeitet nicht gern. Und der Alte wird vielleicht die Ranch verkaufen.

      Er lehnt sich zurück, kauert sich bequem hin und döst. Das Mädchen fällt ihm ein, ein schlankes schwarzhaariges Mädchen mit seltsam hellgrauen Augen. Patricia Mallings. Tochter eines reichen Mannes, schön, sanft... Wenn Lemuel sie sieht, bleibt er stehen und