und bog in die Whitechapel Road nach Stepney ein. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein.
Gleich nach McWardens überstürztem Abgang hatte Agatha Simpson ihn gebeten, die Adresse der Firma »Hitec« aus dem Telefonbuch herauszusuchen. Fünf Minuten später war das Duo aus Shepherd’s Market aufgebrochen.
»Hier dürfte es sein, Mylady«, meldete Parker über die Sprechanlage in den mit einer Panzerglasscheibe abgetrennten Fond. Gemächlich ließ er seinen Wagen auf dem Besucherparkplatz ausrollen.
Die schmucklosen Hallen und betonierten Hofflächen der Firma Hitec waren von einer übermannshohen Backsteinmauer mit Stacheldrahtkrone umgeben. Der Pförtner in der verglasten Kabine neben dem stählernen Rolltor hatte sich derart in das Studium seiner Sportzeitung vertieft, daß er Mylady und ihren Butler überhaupt nicht Vorbeigehen sah.
Wenig später hatten die Besucher eine Tür mit der Aufschrift »Vorzimmer des Geschäftsführers« erreicht.
››Sie wünschen?« erkundigte sich die schon etwas angejahrte Vorzimmerdame mißtrauisch und musterte das skurrile Paar von Kopf bis Fuß. Der Anblick, den die Besucher boten, war aber auch alles andere als alltäglich.
In seinem steifen, schwarzen Zweireiher, die schwarze Melone auf dem Kopf und den altväterlich gebundenen Regenschirm am angewinkelten Unterarm, wirkte Josuah Parker wie ein hochherrschaftlicher Butler aus vergangenen Zeiten.
Während Parker alterslos schien, von eher durchschnittlicher Statur war und nur leichte Neigung zum Bauchansatz zeigte, verfügte seine Herrin über eine eindrucksvolle Fülle, die durch ein derbes Tweedkostüm mühsam gebändigt wurde. Agatha Simpson, die ihr Alter seit Jahren mit sechzig angab, steckte in rustikalen Schnürschuhen und trug ein wucherndes Filzgebilde auf dem Kopf, das sie hartnäckig als Hut bezeichnete, obwohl es eher einem mißratenem Napfkuchen glich.
»Mylady wünscht, den Herrn Geschäftsführer zu sprechen«, teilte der Butler mit einer knappen Verbeugung mit.
»Mister Clenwick ist in einer Besprechung«, gab die Dame hinter dem Schreibtisch kühl zurück. »Worum handelt es sich denn?«
»Das ist streng vertraulich und geht nur Mister Penstick und mich an«, beschied Mylady sie mit herablassender Geste.
»Sie meinen vermutlich Mister Clenwick?« vergewisserte sich die Sekretärin.
»Natürlich, wen denn sonst?« reagierte die Detektivin ungeduldig. »Im übrigen ist eine Lady Simpson nicht gewohnt, daß man sie warten läßt. Also sagen Sie Ihrem Mister Penstick, daß er sich gefälligst beeilen soll.«
»Aber...« Die Frau wollte protestieren, doch in diesem Augenblick wurde die Tür zu Clenwicks Büro geöffnet. Zwei unauffällig gekleidete Herren mit undurchdringlichen Gesichtern querten grußlos das Vorzimmer und verschwanden in Richtung Aufzug.
Der etwa 45jährige Mann im dunkelblauen Nadelstreifenanzug mit akkurat sitzender Krawatte und kurzgeschnittenem Blondhaar, der die beiden mit einem Kopfnicken verabschiedet hatte, machte einen nervösen und übernächtigten Eindruck. Die hellblauen Augen im gebräunten Gesicht streiften Agatha Simpson und Josuah Parker mit einem überraschten Blick.
»Sie wollen zu mir?« fragte er, schon wieder auf dem Rückweg in sein Büro.
»Chief-Superintendent McWarden hat mir die weiteren Ermittlungen in Ihrer Sache übertragen, Mister Penstick«, schwindelte die Detektivin ungeniert.
»Mylady genießt einen außerordentlichen Ruf als Detektivin«, setzte Parker hinzu, als er Clenwicks ungläubigen Blick bemerkte.
»Ist Mister McWarden denn krank geworden?« wunderte sich der Firmenchef, während er seinen Besuchern Platz anbot und die Tür zum Vorzimmer schloß. »Ich war sehr froh, als er die Ermittlungen persönlich in die Hand nahm, weil er mir als außerordentlich fähiger Kriminalist geschildert wurde.«
»Der gute McWarden ist wohlauf«, beruhigte Agatha Simpson ihr Gegenüber und ließ sich wohlig seufzend in einen üppig gepolsterten Ledersessel fallen. »Er hat nur eingesehen, daß er ohne meine Hilfe in dieser brisanten Sache nicht weiterkommt.«
»Mister McWarden wird schon wissen, was er tut«, schluckte Clenwick arglos die faustdicke Lüge. »Was kann ich für Sie tun, Mylady?«
»Mylady wünscht, zunächst die Bekanntschaft jener Herren zu machen, die an der Entwicklung des tragbaren Lasergerätes führend beteiligt waren«, sprang der Butler in die Bresche, als er das Zögern seiner Herrin bemerkte.
»Das sind nur zwei«, gab Clenwick zur Antwort. »Unsere Oberingenieure Rowes und Longdale. Alle übrigen Mitarbeiter der Abteilung haben lediglich Details bearbeitet und hatten keinen Überblick über das Gesamtprojekt«
Clenwick sah auf seine Armbanduhr und erhob sich. »Die beiden müßten eigentlich noch im Computerraum sein«, sagte er. »Wenn Sie nichts dagegen haben, bringe ich Sie hin.«
»Diesen Vorschlag kann man in der Tat nur begrüßen, Sir«, pflichtete Parker ihm bei und assistierte diskret seiner Herrin, die einige Mühe hatte, ihre Pfunde aus dem Sessel zu wuchten.
»Sie müssen die Einbrecher schnappen, ehe die Konstruktionsunterlagen ins Ausland geschmuggelt werden, Mylady«, beschwor Clenwick die Detektivin, während er durch lange, kahle Flure voranging. »Das Ministerium macht mir die Hölle heiß. Die beiden Herren, die ich vor Ihnen zu Besuch hatte, kamen von der Spionageabwehr.«
»Für eine Detektivin meines Ranges ist das überhaupt kein Problem, junger Mann«, prahlte Agatha Simpson. »Mein taktisches Konzept steht bereits. Bis zur Entlarvung der Täter können höchstens noch ein paar Stunden vergehen.«
*
»Verzeihung«, murmelte der Mann, mit dem Clenwick um ein Haar an der Tür zum Computerraum zusammengeprallt wäre. Parker schätzte ihn auf Ende Dreißig. Er war mit grellbuntem T-Shirt und einem abgeschabten Jeansanzug bekleidet. Seine aufmerksamen Augen blickten durch die Gläser einer modischen Hornbrille.
»Ich wollte gerade weg, weil ich noch eine Verabredung zum Tennis habe«, erklärte der Eilige. »Oder steht noch was Wichtiges an, Mister Clenwick?«
»Lady Simpson ist Detektivin«, stellte der Firmenchef seine Besucherin vor. »Sie möchte Ihnen und Mister Longdale noch ein paar Fragen stellen.«
»Schon wieder Fragen«, maulte der junge Mann, den Clenwick als Oberingenieur Peter Rowes vorstellte. »Aber wenn’s sein muß...«
Rowes Kollege Sinclair Longdale saß am Bildschirm und fragte Daten aus dem Großrechner ab, der eine Längswand des Raumes voll in Anspruch nahm. Der Mann trug einen blütenweißen Laborkittel über dem grauen Maßanzug. Das dunkle, an den Schläfen ergraute Haar war streng gescheitelt, Schwarze Augen in tiefliegenden Höhlen verliehen dem kantigen Gesicht einen leicht verschlagenen Ausdruck.
»Mister Rowes ist mit der Entwicklung der neuartigen Solarzellen der entscheidende Durchbruch gelungen«, fuhr Clenwick fort. »Seine Lösung erwies sich als kostengünstiger.«
»Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Mister Clenwick«, muckte Longdale auf. »Außerdem ist mein Verfahren zuverlässiger.«
»Sie wissen, daß die Entscheidung im Kreis der Anteilseigner einstimmig gefallen ist, Mister Longdale«, erklärte Clenwick seinem Mitarbeiter kühl. »Die Zeit der Diskussionen ist vorbei.«
»Ich weiß«, murrte Longdale. »Dafür jagen sich die Verhöre. Worum geht es denn jetzt schon wieder?«
»Mylady würde gern erfahren, auf welche Weise es möglich war, die im Computer gespeicherten Konstruktionsunterlagen zu entwenden«, ließ Parker sich vernehmen.
»Das ist eine Kleinigkeit, wenn man weiß, wie’s geht«, antwortete Longdale.
»Darf man möglicherweise auf eine etwas ausführlichere Erläuterung hoffen, Sir?« hakte der Butler nach.
»Man gibt den neunstelligen Zifferncode ein, holt sich die Sache auf den Bildschirm und schaltet den Drucker ein«, erläuterte der Oberingenieur.