Günter Dönges

Der exzellente Butler Parker 13 – Kriminalroman


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      Lady Agatha lief das Wasser im Mund zusammen.

      Wie hypnotisiert blickte sie auf den netten älteren Herrn, der gerade am Paßschalter des Flughafens Heathrow stand und auf die Rückgabe seiner Papiere wartete. Der etwa fünfzigjährige Mann hatte keine Eile. Er hielt in der linken Hand einen kleinen Kunststoffbeutel, in dem sich gebrannte Mandeln befanden.

      Schon allein der typische Geruch löste in der älteren Dame fast so etwas wie wilde Gier aus. Sie kannte die Köstlichkeit von diversen Jahrmärkten her und fühlte sich plötzlich in ihre Kindheit versetzt. Sie wußte, daß sie um jeden Preis zumindest eine dieser gebrannten Mandeln haben mußte.

      Der Unbekannte hatte inzwischen seine Papiere zurückbekommen und trug seinen Koffer gelassen zur Zollabfertigung. Dabei schob er sich eine weitere Mandel in den Mund und warf einen kurzen Blick auf Lady Agatha, die zielsicher die Trennbarriere ansteuerte ...

      Die Zollabfertigung nahm nur wenige Augenblicke in Anspruch.

      Der nette ältere Herr bot dem Zollbeamten eine gebrannte Mandel an, die dieser nach kurzem Zögern auch tatsächlich nahm. Auch er konnte der Verlockung nicht widerstehen. Der nette ältere Herr nahm den Koffer in die Hand und trug ihn hinüber zur Cafeteria, die sich an der Stirnseite der weiten Empfangshalle befand. Hier nahm er an einem Tisch Platz, stellte seinen Koffer ab und erhob sich höflich, als Lady Agatha sich ebenfalls an den Tisch setzte.

      »Lassen Sie sich nicht stören«, meinte die ältere Dame und lächelte wohlwollend. Dabei blickte sie auf den durchsichtigen Beutel, in dem sich noch viele Mandeln befanden. »Ich habe Sie übrigens schon die ganze Zeit über beobachtet.«

      »Beobachtet, Madam?« Der nette ältere Herr wirkte plötzlich ein wenig unruhig.

      »Schon seit gut zehn Minuten«, fuhr Lady Simpson fort. »Und mir ist nicht entgangen, daß Sie ...«

      »Was, bitte, ist Ihnen nicht entgangen?« Der Mann wurde noch unruhiger.

      »Daß Sie gebrannte Mandeln haben«, sagte die ältere Dame.

      »Ja, und was ist mit ihnen?« Der nette, ältere Herr blickte sich verstohlen um.

      »Sie duften verführerisch«, machte Lady Agatha nun klar. »Ich bin sicher, daß Sie mich wenigstens eine Mandel kosten lassen.«

      »Ach so, das ist es.« Der Mann atmete tief und erleichtert durch. »Natürlich, Madam. Bitte, bedienen Sie sich.«

      Er klemmte mit Daumen und Zeigefinger den Tüteninhalt nach unten weg und sorgte dafür, daß wirklich nur eine einzige Mandel greifbar war. Dann blickte er kurz auf den Folienbeutel, korrigierte sein Angebot und reichte Mylady die Tüte.

      »Dann bin ich so frei«, meinte Agatha Simpson und langte mit beiden Händen zu, die man auf keinen Fall als damenhaft klein bezeichnen konnte. Die ältere Dame schüttelte die Mandeln durcheinander, nachdem sie den Klemmgriff des Mannes spielend leicht gelöst hatte und versorgte sich mit gebrannten Mandeln.

      »Sehr liebenswürdig«, säuselte sie und nickte freundlich. »Ich wußte doch gleich, mit wem ich es zu tun habe.«

      Sie hatte fünf Mandeln erbeutet, winkte dem völlig verdutzten Mann zu und entschwand. Agatha Simpson war eine große, majestätisch wirkende Dame, die das sechzigste Lebensjahr längst überschritten hatte. Sie verfügte über die ansehnliche Fülle einer Wagner-Walküre aus früheren Zeiten und trug ein eindeutig zu weites Tweed-Kostüm.

      Auf ihrem Kopf saß eine Hutschöpfung, die an einen verunglückten Napfkuchen erinnerte, der imposanten und durchaus bemerkenswerten Erscheinung baumelte ein sogenannter Pompadour an langen Schnüren.

      Durchaus höflich, wie Lady Agatha sein konnte, blickte sie sich noch mal nach dem Mandel-Spender um, konnte ihn zu ihrer Überraschung aber schon nicht mehr sehen. Er hatte den Tisch verlassen und sich im Gewühl der Fluggäste verloren.

      Die passionierte Detektivin blieb neben einer Stellwand stehen und schob sich die erste gebrannte Mandel in den Mund. Dabei schnupperte sie genießerisch und dachte wieder an ihre Jugendzeit. Damals hatte sie wirklich keine Gelegenheit versäumt, sich auf Jahrmärkten und Festwiesen mit solchen Mandeln zu versorgen.

      Ihre Zunge umspielte den harten Zuckermantel, um dann wenig später versuchsweise zum erstenmal vorsichtig zuzubeißen. Sie setzte die Mandel dem Druck ihrer Kiefer aus und suchte nach der Schwachstelle in dem eigenwilligen Konfekt, um es spalten zu können.

      Als dies nicht auf Anhieb geschah, verstärkte sie den Druck der Zähne und ... fuhr zusammen, als wäre sie von einem elektrischen Schlag getroffen worden. Sie hatte das Gefühl, sich einen Backenzahn ausgebissen zu haben.

      Mylady suchte mit der Zungenspitze nach dem harten Kern, fand ihn und schob ihn nach vorn zu den Lippen. Anschließend griff sie mit zwei spitzen Fingern zu und begutachtete den Übeltäter, der einen Zahnnerv nachhaltig in Vibration versetzt hatte.

      Es handelte sich, wie sie sofort sehr fachmännisch erkannte, um nichts anderes als um einen Halbkaräter.

      *

      »Wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt, Mister Parker?« räsonierte Lady Agatha, als ihr Butler sich ihr gemessen näherte und dabei grüßend die schwarze Melone lüftete.

      »Der Andrang im Reisebüro war leider geradezu bedrückend«, gab der Butler Auskunft und zeigte ihr dann eine dicke Mappe, die mit Prospekten gefüllt war. »Dafür ist die Auswahl an möglichen Reisezielen überwältigend, Mylady.«

      »Ich habe andere Sorgen«, gab sie zurück, »das heißt, ich suche nach einem Mann, der gebrannte Mandeln ißt, Mister Parker.«

      Parker hatte das ausdruckslose Gesicht eines hochherrschaftlichen Butlers und gestattete sich auch jetzt keine Regung. Er kannte das mitunter exzentrische Verhalten der Lady Simpson. Sie war für jede Überraschung gut. Sie war eine überaus bemerkenswerte Dame, die sich einen Sport daraus machte, in jedes erreichbare Fettnäpfchen zu treten.

      Lady Agatha war immens vermögend und konnte sich leisten, was immer sie wollte. Seit vielen Jahren betätigte sie sich als Detektivin und hielt sich auf diesem Gebiet für unschlagbar. Sie merkte noch nicht mal andeutungsweise, daß Parker seine stets schützende Hand über sie hielt und Schaden von ihr abwandte.

      »Sehen Sie sich das an«, redete sie weiter. »Um ein Haar hätte ich mir einen Zahn abgebissen.«

      Während sie noch redete, zeigte sie ihrem Butler den Halbkaräter. Parker nahm ihn vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und begutachtete ihn.

      »In der Tat ein Halbkaräter«, sagte er, ohne seine Stimme erstaunt zu heben. »Meiner bescheidenen Ansicht nach handelt es sich um ein lupenreines Stück in feinem Weiß, Top Wesselton. Darf man sich erlauben, nach der Herkunft dieses Brillanten zu fragen?«

      »Er war in einer gebrannten Mandel«, antwortete Lady Agatha und öffnete verstohlen ihre restlichen vier Süßigkeiten.

      »Eine erstaunliche Füllung, Mylady.«

      »Wieviel ist der Stein wert, Mister Parker?« wollte sie wissen. Sie war eine ungemein sparsame Frau, der man schottischen Geiz nachsagte.

      »Etwa vier- bis fünftausend Pfund, Mylady«, lautete Parkers sachkundige Antwort.

      »Guter Gott«, schnaufte sie und blickte auf die vier Mandeln auf ihrer Handfläche. »Diesen Nachmittag werde ich bestimmt nicht vergessen. Es handelt sich nicht um einen Glasstein, Mister Parker?«

      »Von der Echtheit des Steines können Mylady ausgehen.«

      »Ich werde sofort nachprüfen, ob die übrigen Mandeln mit Diamanten gefüllt sind«, kündigte sie an. »Kommen Sie, dabei braucht man uns nicht zu beobachten.«

      »Mylady kamen völlig regulär in den Besitz der Mandeln?« fragte der Butler. Ihm war längst klar, daß man auf dem besten Weg war, in einen neuen Kriminalfall zu schlittern.

      »Die Mandeln wurden mir förmlich aufgedrängt«, gab sie zurück. »Hätte ich doch nur mehr davon genommen! Das hat man nun von seiner vornehmen Zurückhaltung.«

      Sie setzte ihre majestätische Fülle in