Bettina Clausen

Sophienlust Classic 46 – Familienroman


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»Ich werde dich erinnern, wenn du etwas vergisst.«

      »Das kann ja lustig werden«, sagte Chris trocken.

      Cindy hakte die wichtigsten Zahlungen, die auf der Liste vermerkt waren, ab und legte das Geld dafür beiseite. »Von dem Rest müssen wir leben«, sagte sie und zählte schnell ab.

      »Vierzig Euro weniger als im letzten Monat«, sagte Chris leise.

      Cindy nickte. »Dabei hat es da auch schon nicht gereicht. Na, macht euch keine Gedanken. Ich werde ein Paar Überstunden einschieben. Dann geht alles in Ordnung.«

      »Und ich bekomme das kleine Spielzeugauto, das du mir im letzten Monat versprochen hast«, strahlte Peter seine große Schwester entwaffnend an.

      »Du bist wohl verrückt geworden«, explodierte Chris. »Wir überlegen, wie wir mit Mühe und Not über die Runden kommen, und du denkst an Spielgzeugautos!«

      Peters Gesicht legte sich in weinerliche Falten. »Es kostet ja nur einen Euro fünfzig«, verteidigte er sich schwach.

      Da legte Cindy beschützend ihren Arm um ihn. »Keine Angst, du bekommst dein Auto, Peter. Der eine Euro macht uns auch nicht ärmer.«

      »Cindy hat recht«, mischte sich nun Alice ein. Sie fühlte sich mit ihren zwei Jahren Altersunterschied dem kleinen Bruder schon sehr überlegen.

      »Gut«, freute sich Cindy. »Dann wären wir uns ja wieder einmal einig. Und jetzt machen wir uns fein und gehen essen.«

      »Darf ich meinen Anzug mit der Krawatte anziehen, Cindy?«, fragte Peter aufgeregt.

      »Aber natürlich«, lachte Cindy. »Wenn wir schon ausgehen, dann richtig. Und wenn du die Krawatte nicht binden kannst, dann bitte Alice oder Chris darum. Ich gehe nur schnell duschen, damit das Bad für euch wieder frei wird.«

      Peter, der mit Chris in einem Zimmer schlief, trottete ein wenig schmollend hinter dem großen Bruder her. Er dachte immer noch an Chris’ Einwand, was das Spielzeugauto betraf.

      Chris, der nicht gewohnt war, dass Peter sich so still verhielt, drehte sich neugierig um. »Was ist mir dir? Freust du dich nicht auf die Pizza? Ach so …« Er schlug sich vor den Kopf. »Du bist mir noch böse wegen dem Auto! Na ja, wenn ich gewusst hätte, dass es nur einen Euro kostet, hätte ich ja nichts gesagt.«

      »Einen Euro fünfzig«, stellte Peter richtig.

      »Also schön, meinetwegen auch einen Euro fünfzig. Ist ja nicht die Welt«, räumte Chris ein. Im Grunde genommen hatte er seinen kleinen Bruder doch sehr gern.

      Für dieses Zugeständnis warf Peter ihm einen dankbaren Blick zu. »Sag mal, Chris, hast du nicht manchmal auch furchtbaren Appetit auf süße Sachen, Bonbons oder so?«

      Doch Chris hob augenblicklich abwehrend die Hände. »Stopp, kleiner Bruder! Ich weiß doch, worauf eine solche Frage von dir wieder hinausläuft.«

      »Ich sag ja schon nichts mehr«, murmelte Peter und beschloss, sich das nächste Mal an Alice zu wenden. Die hatte mehr Verständnis dafür.

      »Das Bad ist frei!«, ertönte in diesem Moment Alices Stimme durch die offene Tür.

      Während Chris im Bad verschwand beobachtete Alice Cindy beim Anziehen und Frisieren. Sehnsüchtig hing ihr Blick am Gesicht der großen Schwester. »Ich möchte später einmal genauso schön werden, wie du, Cindy. Aber wahrscheinlich geht das nicht, weil meine Haare ja blond sind und deine fast schwarz.« Sie betrachtete Cindys apart gezeichnetes Gesicht mit den großen schwarzen Augen.

      »Das ist doch noch viel schöner,

      Alice. Blondes Haar und blaue Augen«, lächelte Cindy. »Komm, ich bürste dein Haar, dass es wie Gold glänzt. Dann bist du die Goldprinzessin aus dem Märchen, das ich euch gestern erzählt habe.«

      Schnell setzte Alice sich vor den Spiegeltisch und ließ sich von Cindy das Haar bürsten. »Meine Schulfreundinnen haben gesagt, dass du das schönste Mädchen in der Stadt bist, Cindy.«

      »Aber das ist doch Unsinn, es gibt viele hübsche Mädchen«, wehrte Cindy ab. Sie war kein bisschen eitel. Derlei Komplimente, die sie sehr oft hörte, berührten sie nicht. Dabei zeigte ihr Gesicht in der Tat eine so eigenwillige Schönheit, dass sich die Leute oft auf der Straße nach ihr umdrehten. Das einzige Kompliment, das sie jemals stolz gemacht hatte, war ein Ausspruch ihres Vaters gewesen: »Wenn Cindy lacht, dann ist es, als ob die Sonne aufgeht«, hatte er gesagt. Seither lachte sie gern und oft. Das war jedes Mal so, als sei der Geist des Vaters dann in ihrer Nähe.

      Ein Geschrei, das einem Indianerhäuptling alle Ehre gemacht hätte, riss Cindy aus ihren Betrachtungen. Mit drei Schritten war sie in Peters Zimmer. Auch Chris kam aus dem Bad gestürzt.

      »Au, au, das tut weh«, jammerte Peter und hielt seinen blutenden Finger.

      »Wie hast du denn das wieder fertiggebracht?«, fragte Alice und zog den Bruder neben sich aufs Bett, damit Cindy seinen Finger verbinden konnte.

      »Ich habe die Schublade zugemacht, aber der Finger war drin«, wimmerte Peter.

      »So was wie dich gibt’s auch bloß alle fünfzig Jahre einmal«, stöhnte Chris. »Pass das nächste Mal auf, dass du nicht deinen Kopf irgendwo drin hast, wenn du zumachst!« Damit verschwand Chris wieder im Bad. Mit seiner rauen Art versuchte er jedes Mal seine Sorgen um den kleinen Bruder zu verbergen. Man konnte ihn wirklich keine Minute aus den Augen lassen, ohne dass ihm etwas passierte.

      Schnell und sicher verband Cindy den blutenden Finger und redete dem kleinen Bruder dabei tröstend zu. Tapfer schluckte er die Tränen hinunter und versuchte ein Lächeln. »Tut schon fast nicht mehr weh!«

      »Du bist wirklich mutig«, lobte

      Cindy ihn und trocknete ihm die Tränen.

      Da sprang er plötzlich erregt vom Bett und zerrte an Alices Hemd. »Das ist meins!«, beschwerte er sich aufgebracht.

      »Spinnst du, lass mich los!«, rief Alice und versuchte den Bruder abzuschütteln.

      »Wollt ihr wohl nicht solche Ausdrücke gebrauchen«, versuchte Cindy zu schlichten.

      Sie stellte sich zwischen Bruder und Schwester, die wie zwei Kampfhähne aufeinander losgingen.

      Doch Peter ließ nicht locker. »Sie hat mein Hemd an, Cindy! Sie kann doch nicht einfach mein Hemd anziehen! Ich kenne es genau!«

      Cindy betrachtete Alice, die in Hemd und Höschen vor ihr stand. »Es ist tatsächlich Peters Hemd«, stellte sie fest.

      »Ich weiß, aber ich habe keins mehr«, beklagte sich Alice. »Eins ist schmutzig, zwei sind kaputtgegangen und die anderen sind viel zu klein. Das hast du selbst gesagt, Cindy.«

      Cindy nickte. Alice und Peter waren fast gleich groß. Sie wuchsen viel zu schnell aus allen Kleidungsstücken heraus. Für neue Wäsche aber reichte das Geld nicht. »Weißt du was, Peter, du schenkst Alice dein Hemd. Dafür bekommst du von Chris die dunkle Hose, die ihm nicht mehr passt«, schlug sie vor.

      »Aber die ist mir noch zu groß!«

      »Dann mache ich sie dir kleiner. Einverstanden?«

      Der Kleine nickte versöhnt, und Alice verschwand eiligst in dem Zimmer, das sie mit Cindy teilte, um sich voll­ends anzuziehen.

      Bevor alle ausgehbereit waren, stritten sich Alice und Chris noch einmal um den Spiegel im Badezimmer, aber auch hier griff Cindy schlichtend ein. All das wurde ihr nie zu viel, und sie verlor auch nie ihre gute Laune. Ich muss dem Schicksal dankbar sein, dass meine Geschwister wenigstens noch mich haben, sagte sie sich immer wieder. Denn was aus den drei Kindern ohne sie geworden wäre, daran mochte sie gar nicht denken.

      Endlich, nach einer weiteren halben Stunde, standen alle fix und fertig im Wohnzimmer. Cindy nahm ihre Handtasche, und nun verließen sie das Haus.

      Peter sprang auf dem Weg singend und trällernd vor den anderen her, sodass die ruhige und vorsichtige Alice dauernd befürchtete, er könnte sich wieder wehtun oder