Laura Martens

Mami Jubiläum 3 – Familienroman


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Ich habe ihn in die Vase geschüttet«, sagte Annika, ohne die Augen zu öffnen.

      Ein eisiges Frösteln kroch Birgit über den Rücken. Wenn Annika dies nun nicht getan hätte, würde sie dann noch leben?

      Es wurde ihr ganz plötzlich klar, dass es sie entsetzlich getroffen hätte, wenn auch das Kind tot gewesen wäre.

      Nie zuvor war es ihr so bewusst gewesen, welchen festen Platz dieses kleine Mädchen in ihrem Herzen schon einnahm.

      Nun schlug Annika die Augen auf und blickte um sich.

      »Wo bin ich denn?«, fragte sie verwirrt.

      »In der Sternseeklinik«, erwiderte Birgit.

      »Bin ich denn krank geworden von dem Kakao?«, fragte die Kleine.

      »Ja«, antwortete Birgit mühsam.

      »Weil die Milch so eklig sauer war. Da wär’ Mutti vielleicht doch nicht böse gewesen, dass ich ihn nicht getrunken habe.«

      »Sicher nicht, Annika«, sagte Birgit gequält.

      »Wo ist Mutti denn? Ist Horst wieder da?«

      »Nein. Deine Mutti ist auch krank, Annika.«

      Was sollte sie sagen? Wie sollte man es dem Kind begreiflich machen, dass es keine Mutter mehr hatte?

      »Warum bin ich denn so müde, Birgit? Ich möchte schon wieder schlafen.«

      »Dann schlaf doch, Kleines.«

      »Was habe ich denn da im Arm?«, fragte Annika nun doch. »Oh, ist der Teddy lieb! Hast du mir den mitgebracht, Birgit? Ich habe mir immer einen Teddy gewünscht.«

      Ihre Stimme wurde immer leiser, und die Augen fielen ihr zu.

      Birgit war erleichtert, dass sie keine Antwort mehr zu geben brauchte.

      Dr. Allard kam herein.

      »Sie wird jetzt wieder schlafen«, erklärte er, nachdem er den Puls gefühlt hatte.

      »Sie wird noch viel schlafen, und das ist gut.«

      Aber sie wird erwachen und Fragen stellen, dachte Birgit.

      »Herr Doktor, würden Sie Annika bitte sagen, dass der Teddy von mir ist? Ich bezahle ihn gern. Heute Mittag konnte ich nichts besorgen, weil die Geschäfte geschlossen waren. Ich konnte meine Kundinnen nicht wegschicken. Vielleicht wäre Annika enttäuscht, dass ich ihr nichts mitgebracht habe.«

      »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Wir haben immer Spielzeug hier.« Er machte eine kleine Pause. »Sie haben das Kind sehr gern, Frau Lohmann?«

      »Ja, das ist mir erst jetzt so richtig klar geworden. Sehen Sie, ich lebe allein. Annika kam manchmal zu mir. Sie war so zutraulich. Sie war so ganz anders als ihre Mutter, aber nun da ich weiß, wie krank Frau Nielsen war, verstehe ich ihr Verhalten besser. Sie hoffte wohl, wieder einen Mann zu finden, und erlebte nochmals eine Enttäuschung. Man kann einen Menschen nicht einfach verurteilen.«

      »Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen«, sagte Dr. Allard. »Man kann einem andern Menschen auch keine Anteilnahme aufzwingen. Sie haben einen Beruf, der Sie beansprucht, der Sie ausfüllt. Es verdient Bewunderung, dass Sie sich auch noch Zeit für ein fremdes Kind nehmen.«

      »Müsste man nicht mehr tun?«, fragte Birgit. »Man lebt Wand an Wand. Da ist ein Mensch, der mit seinem Leben nicht fertig wird. Ich muss diesem Kind doch einfach helfen, Herr Doktor. Nicht nur, weil ich Annika gernhabe, sondern auch deshalb, weil ich nichts für ihre Mutter getan habe. Vielleicht wäre sie doch zu retten gewesen.«

      »Nein, das glaube ich nicht. Sie wäre einen schmerzvollen Tod gestorben. Bitte, belasten Sie sich nicht mit unnützen Gedanken, Frau Lohmann. Frau Auerbach hat mich übrigens vorhin angerufen. Sie wollen sich der Kleinen auch annehmen, und wie ich hörte, existiert da irgendwo auch ein Vater.«

      »Und wenn er nichts von ihr wissen will, steht sie allein«, sagte Birgit. »Ich verstehe nicht, wie sich ein Vater nicht um sein Kind kümmern kann, selbst wenn es in der Ehe Schwierigkeiten gab. Nein, das verstehe ich nicht.«

      Diese Gedanken bewegten sie auch noch, als sie heimfuhr.

      Im Treppenhaus traf sie den Inspektor an.

      »Ich war bei Annika. Es geht ihr besser«, sagte sie leise. »Haben Sie schon etwas herausgefunden? Annika schläft noch sehr viel.«

      »Es widerspricht vielleicht den Vorschriften«, bemerkte Inspektor Eisenmann verlegen, »aber da Sie sich so um das Kind kümmern, möchte ich Ihnen sagen, dass wir einige Briefe gefunden haben, die von Annikas Vater stammen. Wir werden uns bemühen, ihn möglichst schnell zu erreichen.«

      Birgit verschlang die Hände ineinander.

      »Ich möchte nicht, dass Annika herumgestoßen wird. Geht es denn nicht, dass sie bei mir bleibt? Ich verdiene genug, um für sie zu sorgen. Sie wird nichts entbehren.«

      Er musterte sie nachdenklich.

      »Sie sind jung und, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, sehr hübsch. Sie werden eines Tages heiraten und selbst Kinder haben. Bedenken Sie das bitte, aber abgesehen davon muss der Vater befragt werden. Ich möchte Ihnen auch nicht verschweigen, dass Frau Nielsen nicht nur unheilbar krank war, sondern auch große finanzielle Schwierigkeiten hatte. Sie hinterlässt einige tausend Euro Schulden, für die ihr Mann aufkommen muss.«

      »Hoffentlich«, sagte Birgit.

      »Wir haben übrigens auch den Namen jenes Mannes festgestellt, mit dem Frau Nielsen befreundet war. Er heißt Horst Miller. Wir werden ihn selbstverständlich auch befragen.«

      Sie betraten Christine Nielsens Wohnung und sahen sich Annikas Zimmer an.

      An den Wänden hingen bunte Bilder.

      Sie stellten eigentlich nichts dar. Es waren nur Farbkleckse, aber Birgit fühlte sich auf unerklärliche Weise beeindruckt.

      Wenn man ganz genau hinschaute, hatten diese Bilder auch Motive, aber sie begriff, dass sie von einer ungeübten Kinderhand gemalt waren.

      »Annika hat mir einmal gesagt, dass sie gern malt«, äußerte Birgit gedankenverloren, »aber ich wusste nicht, dass sie so malt.«

      Inspektor Eisenmann deutete auf ein Bild.

      »Mit einiger Fantasie könnte man sogar sagen, dass dies dort Sie sein sollen. Die Farbe Ihres Haares ist recht genau getroffen. Es ist ja nicht gerade schmeichelhaft, aber Kinder sehen alles anders. Ich habe selbst drei, und mein Ältester malt auch gern.«

      »Annika ist doch erst vier Jahre«, entgegnete Birgit leise.

      *

      Etwas später läutete Inspektor Eisenmann an der Wohnung eines modernen Wohnhauses, das schon von außen sehr komfortabel wirkte.

      Ein dunkelhaariger, schlanker Mann öffnete ihm.

      »Herr Miller?«, fragte Inspektor Eisenmann.

      »Der bin ich, aber wenn Sie etwas verkaufen wollen, können Sie gleich wieder verschwinden«, erwiderte Horst Miller.

      Als sich Inspektor Eisenmann vorstellte, erblasste er. Aber er fing sich rasch und lächelte arrogant.

      »Sie sind befreundet mit Frau Nielsen?«

      »Hetzt sie mir jetzt die Polizei auf den Hals?«, stieß Horst Miller unbeherrscht hervor.

      »Hätte Frau Nielsen Grund dafür?«, fragte der Inspektor ironisch.

      »Ach was! Sie ist hysterisch. Außerdem habe ich die Beziehung zu ihr abgebrochen.«

      Inspektor Eisenmann war es nur recht, dass sein Gegenüber anscheinend völlig ahnungslos war.

      »Sie waren gestern bei Frau Nielsen«, begann er vorsichtig.

      »Ja, um ihr zu sagen, dass endgültig Schluss ist! Sie will einfach nicht begreifen, dass ich ihre Launen nicht mehr ertragen kann, aber deshalb braucht