Christine von Bergen

Der Landdoktor Classic 37 – Arztroman


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liegt.«

      Matthias hob die Brauen.

      Was kam denn jetzt?

      »Wäre es möglich, dass meine Nichte ein Zimmer hier in der Klinik haben könnte? Vielleicht sogar neben meinem? So hätte ich sie immer an meiner Seite.«

      Er blinzelte verwirrt und bemerkte, wie die junge Frau den Atem anhielt und ihre Tante ansah. Ihr entsetzter Blick sprach für sich.

      »Tut mir leid«, erwiderte er in verbindlichem Ton. »Meine Klinik ist ausgebucht. Wie Sie wissen, verfügen wir ja nur über zwei Krankenzimmer. Und die Notzimmer brauchen ich, wie der Name schon sagt, für Notfallpatienten.«

      »Aber für einen Aufpreis lässt sich doch sicher etwas machen, oder?« Mathildas Blick bekam einen lauernden Ausdruck.

      »Als Klinik brauchen wir unsere Zimmer für unsere Patienten«, antwortete er freundlich, aber energisch. »Angehörige unserer Patienten können wir leider nicht unterbringen. Wir sehen uns um vier Uhr. Sie entschuldigen mich bitte jetzt …«

      Er deutete eine Verbeugung an, drehte sich um und ging den Gang hinauf zur Praxis. Dabei lächelte er vergnügt vor sich hin.

      Die junge Frau atmete doch bestimmt jetzt innerlich auf, dachte er bei sich und freute sich, dieser sympathisch wirkenden Person eine Freunde gemacht zu haben.

      *

      Matthias empfing Mathilda Ruben Punkt sechzehn Uhr in seinem Büro. Meistens besprach er sich mit Neuzugängen auf deren Krankenzimmern, die so gemütlich wie Hotelzimmer eingerichtet waren. In dieser angenehmen Atmosphäre fühlten sich die Patienten freier und ungezwungener als in einem ihnen fremden Büro. Doch bei Mathilda Ruben schien es angebracht zu sein, ein wenig Autorität walten zu lassen. Er kannte sie als eingebildete und rechthaberische Person, die davon ausging, sich mit Geld alles erkaufen zu können.

      Nachdem er mit ihr die üblichen Höflichkeitsfloskeln zur Begrüßung gewechselt hatte, sah er die ältere Frau, deren schwarz gefärbtes Haar die Gesichtszüge noch härter erschienen ließ, intensiv an.

      »Seit wann haben Sie Ihre Beinbeschwerden?«, erkundigte er sich.

      »Schon fast ein Jahr lang«, begann sie zu erzählen, sichtlich zufrieden, dass man sich sofort ihrer Leiden annahm. »Ziemlich schnell nach meinem letzten Aufenthalt bei Ihnen. Als sie immer schlimmer wurden, bin ich von einem Arzt zum anderen gelaufen. Keiner konnte mir bisher richtig helfen. Ich glaube, ich hatte auch im Winter eine Venenentzündung. Sie waren ganz geschwollen am Abend.«

      »Haben die Ärzte bei Ihnen eine Venenentzündung diagnostiziert?«

      Er bemerkte, wie sie unsicher wurde. »Nicht direkt, aber die waren ja auch völlig unfähig. Ich kenne meinen Körper. Ich hoffe …«, sie bedachte ihn mit einem scharfen Blick, »dass ich hier bei Ihnen an der richtigen Stelle bin.«

      Er lächelte sie an. »Wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen, Frau Ruben. Dafür müssen Sie natürlich mit uns Hand in Hand arbeiten«, fügte er dann ernst hinzu.

      »Zum Sport werden Sie mich bestimmt nicht bewegen können«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.

      Er unterdrückte ein Lachen.

      Die Vorstellung, diese Matrone auf einem Trimmgerät sitzen zu sehen, belustigte ihn.

      »Wie äußern sich Ihre Beinbeschwerden?«, erkundigte er sich.

      »Abends sind sie immer geschwollen und so unruhig. Ich kann sie im Bett nicht still halten. Ich kann nur mit Schlaftabletten einschlafen.«

      »Sie könnten unter einem Magnesiummangel leiden. Wie sieht es mit dem Trinken tagsüber aus?«

      »Halten Sie mich etwa für eine Alkoholikerin?«

      »Ich meine Mineralwasser. Trinken Sie tagsüber genug Wasser? Eineinhalb bis zwei Liter sollte man zu sich nehmen.«

      Sie räusperte sich. »Na ja …«

      Also nicht, sagte er sich und stand auf.

      »Ich möchte Sie jetzt untersuchen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen …«

      Nach einer guten Viertelstunde war er mit der Untersuchung fertig.

      »Das Blutbild werde ich heute Abend noch auswerten. Morgen kann ich Ihnen das Ergebnis mitteilen«, sagte er. »Feststeht schon jetzt, dass wir für die arterielle Durchblutung Ihrer Beine etwas tun müssen«, teilte er seiner Patientin ruhig, aber energisch mit. »Dazu gehört auch, dass Sie zukünftig ohne diese dicken Binden um Ihre Beine auskommen müssen, die der Erschlaffung des Gewebes nur noch Vorschub leisten. Des Weiteren müssen wir Ihr Übergewicht abbauen. Unsere deftige Schwarzwälder Küche werden wir in dieser Woche streichen.«

      Während er sprach, wurden die schwarzen Augen der Industriellenwitwe immer größer. Er wusste nur zu gut, dass er mit dem Übergewicht ein heikles Thema angesprochen hatte. Schließlich schnaubte Mathilda Ruben durch die Nase, setzte sich kerzengerade hin und erwiderte: »Heißt das, dass ich mich fortan nur noch von Salaten und Brühe ernähren soll?«

      »So ähnlich«, musste er zugeben. »Aber ich habe Sie doch richtig verstanden, dass Sie hier sind, um Ihre Beine zu heilen. Oder?«

      Die ältere Frau sank in sich zusammen und nickte nur stumm.

      »Unsere homöopathische Therapie wird begleitet durch Wechselwaschungen und kalte Aufgüsse bei der Physiotherapeutin in Ruhweiler«, fuhr er sachlich fort. »Weiterhin verordne ich Ihnen tägliche Spaziergänge, bei denen Ihre Nichte Sie anfänglich begleiten sollte.«

      Mathilda hob den Kopf.

      »Apropos meine Nichte«, wechselte sie nun das Thema. »Ich hätte sie wirklich gern hier bei mir.« Ihre Worte klangen jetzt schon eher nach einer Bitte.

      Mit bedauernder Miene hob er die Schultern. »Wie schon gesagt, es tut mir leid, aber wir können die Angehörigen unserer Patienten nicht unterbringen. Aus Platzmangel«, fügte er geduldig hinzu.

      Mathilda rückte auf die Sesselkante vor. »Meine Nichte ist krank. Labil«, begann sie zu erzählen.

      »Labil?« Er horchte auf.

      »Nun ja, sie war immer schon ein Problemkind. Sie ist jetzt zweiundzwanzig und hat mir in der letzten Zeit viel Kummer bereitet.«

      »Wie drückt sich denn die Labilität Ihrer Nichte aus?«

      Mathilda straffte sich in dem Sessel, während sich ihre Miene verschloss. »Das ist eine Familienangelegenheit. Sozusagen ein dunkles Geheimnis.«

      Matthias runzelte die Stirn.

      Dunkles Geheimnis?, wiederholte er in Gedanken. Wie dramatisch das klang. Ob Mathilda Ruben in diesem Fall wieder einmal übertrieb oder ob Liane Sauter tatsächlich etwas Schlimmes erlebt hatte?

      »Ich kann nicht darüber reden«, fuhr seine Patientin mit tragischer Miene fort. »Ich dachte daran, dass Liane sich in meiner Nähe sicherer fühlt als in einer fremden Pension. Vielleicht könnten Sie nervenstärkende Bäder, Massagen oder so etwas verschreiben. Dafür braucht sie ein Zimmer hier.«

      Matthias glaubte, nicht richtig gehört zu haben.

      »Frau Ruben …«, begann er mit erzwungener Ruhe unvermindert freundlich, »wir sind kein Wellness-Tempel, sondern eine Klinik. Sollte Ihre Nichte tatsächlich ein Leiden haben, ein Nervenleiden, ist ein solches übrigens nicht durch Bäder zu beheben. Sie sollte sich dann erst einmal untersuchen lassen. Natürlich muss dieser Wunsch von Ihrer Nichte ausgehen. Ich bin gern bereit, ein Gespräch mit ihr zu führen.«

      Mathilda Ruben schüttelte so energisch den Kopf, dass ihre Wangen hin und her wackelten.

      »Ich werde mit Liane reden«, entschied sie dann mit abweisender Miene. »Und ich möchte Sie bitten, über dieses Gespräch Stillschweigen zu bewahren.«

      »Als Arzt stehe ich unter Schweigepflicht, Frau Ruben. Ganz gleich, über wen ich rede. Und mit wem.«

      *