Wilhelm Raabe

Der Junker von Denow und andere Erzählungen


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Nebelregen. Keiner befahl, keiner gehorchte. Die einen meinten, es gehe gradaus zum Herzog von Braunschweig, ihrem Zahlherrn, nach Wolfenbüttel; andere glaubten, es gehe gegen den Bischof von Münster; die meisten aber dachten gar nichts, und so schwankte der tolle Zug, einem Betrunkenen gleich, hier vom Wege ab, dort vom Wege ab, jetzt auf ein Dorf zu, jetzt auf ein einsames Gehöft. Kleinere Banden schweiften zur Seite, oder vor und nach — fort und fort über die Heide; hier im Kampfe mit einer ergrimmten Bauernschar, dort im Hader untereinander. Der Nebel ward Regen und hing sich in perlenden Tropfen an die letzten Blüten des Heidekrauts und träufelte von den Stacheln und Zweigen der Dornbüsche. Krähenscharen begleiteten den Zug lautkrächzend, oder flatterten in dichten Haufen westwärts dem Rhein zu, wo von Rees her das Feuer der Berennung nur noch in einzelnen Schlägen dumpf grollte. Stärker und stärker ward der Regen, die blutigen Spuren der vergangenen Nacht, der Schlamm der Laufgräben mischten sich auf den pulvergeschwärzten Gesichtern, den zerrissenen, verbrannten Kleidern, den verrosteten Waffenstücken — die Männer fluchten und sangen, die Weiber ächzten, die Kinder schrien, und Anneke Mey auf ihrem Wagen, mit einem Bierfaß beladen, hielt tröstend das Haupt des wunden Christoph von Denow in ihrem Schoß und sprach ihm zu und verhüllte ihn, wie eine Mutter ihr Kind, mit einem groben Soldatenmantel; während Hans Niekirche zähneklappernd das magere Roß leitete, welches vor dem Karren ging. — Lange Zeit hatte der Junker wie besinnungslos gelegen, jetzt hob er den Kopf mühsam empor und strich die Haare aus der Stirn und warf einen Blick auf seine Umgebung.

      „O Anneke, weshalb hast mich nicht gelassen in dem Wasser — oh! oh!“

      „Still, still, lieget ruhig, Herr! Die ganze Welt ist auseinander —“

      „Weshalb hast mich nicht gelassen im Lager — im Heer vor Rees?“

      „Es ist aus, aus! Alles aus, sagen sie. Alles läuft auseinander —“

      „Und wohin gehen wir?“

      „Weiß nicht! weiß nicht!“

      „Bin also so weit! Ein Spießgesell von Räubern und Mördern und landesflüchtigem Gesindel! Krächzt nur, ihr schwarzen Galgenvögel, ihr habt einen feinen Geruch, wittert den Fraß, wann er noch lustig auf den Beinen herumstolpert und den Bauerngänsen die Hälse abhaut und die Rinder aus dem Stall zieht. O Christoph! Christoph! Und du könntest einen adeligen Schild führen!“

      Der junge Gesell stieß solch einen herzbrechenden Seufzer aus, daß ein neben dem Karren reitender Söldner aufmerksam wurde. Er drängte sein Pferd näher heran, zog seine Feldflasche hervor und reichte sie dem Wunden zu.

      „Hoho, Junker, was spinnst für Hanf? Da wärme dir das Herz, bis wir uns den Münsterschen Dompfaffen in die warmen Nester legen! Aufgeschaut, aufgeschaut, Christoffel! ’s ist beschlossen, Ihr sollt unser Obrister werden!“

      Der Junker machte eine unwillige Handbewegung und antwortete nicht.

      „Auch gut,“ brummte der Reiter. „Der Satan hol’ alle diese Maulhänger! Möcht’ nur wissen, was die Gesellen für einen Narren an ihm gefressen haben. Hat den Vorspruch gemacht gestern beim Grafen nach ihrem Willen und soll den Führer spielen, und kann den Kopf nicht grad halten — Bah! Hätten hundert Bessere gefunden; kann mit seinem Adel weder den Mantel noch die Ehre flicken. Fort, Mähre, was scheust? Dacht ich’s doch, da liegt wieder einer der trunkenen Schelme im Wege. Vorwärts, Schecke, laß liegen, was nicht mehr laufen mag. Was will die Trompete? Holla, was ist das?“

      Ja, was wollte die Trompete? Auf der rechten Seite des Weges der Meuterer waren zwar von Zeit zu Zeit vereinzelte Schüsse gefallen, niemand hatte sie aber beachtet, weil man sie nur den obenerwähnten Scharmützeln mit den Bauern und Hahnenfedern zuschrieb. Jetzt aber wurde das Feuer regelmäßiger, Reitertrompeten erschallten. Der Zug stutzte und hielt. Gestalten, schattenhaft, tummelten sich in dem dichten Nebel, und erschreckte Stimmen erklangen: „Die Spanier! Die Spanier!“

      „Zum Henker die Spanier; wie kommen die Spanier soweit über den Rhein?“ brummte der Reiter, welcher eben dem Junker die Feldflasche geboten hatte. Er lockerte aber nichtsdestoweniger das Schwert in der Scheide und wickelte den rechten Arm aus dem Mantel los.

      „Der Feind! der Feind! die Speerreiter!“ riefen die im Lauf rückkehrenden Plünderer, zu den Genossen stoßend, und einige brachten eine frische Wunde mit zurück. Näher und näher hörte man die Trompeten und den Schlachtruf „España! España!“ und dann „Hohenlohe! Hohenlohe!“

      Keiner von den Meutmachern machte Miene, an dem Gefechte teilzunehmen; aber die Musketen waren auf die Gabeln gelegt, die Lunten aufgeschroben, die Spieße gesenkt, und man hatte instinktmäßig einen Kreis um die Wagen mit den Weibern und Kindern und den Raub geschlossen.

      Jetzt schienen die Spanier wieder zurückgedrängt zu werden; der Lärm des Kampfes verlor sich in der Ferne. Der Zug der Aufrührer wollte sich bereits wieder in Bewegung setzen.

      „Halt, halt!“ rief einer der Fußknechte, „da kommen sie wieder! Rossestrab!“ Er kniete nieder und legte das Ohr an den Boden. „Viel Pferde im Galopp!“ Man konnte kaum zehn Schritte weit im Nebel und Regen deutlich sehen; es waren wieder nur unbestimmte Schatten, die man nahen sah.

      Ein „Halt“ wurde ihnen zugerufen, und sie hielten, und eine einzelne Gestalt löste sich von dem Haufen ab. Aus dem Ring der aufrührerischen Söldner des Reichs traten ihr einige entgegen.

      „Wer seid Ihr? Woher des Weges? Was für Begehr?“

      Der Nahende ritt, ohne zu antworten, näher heran.

      „Haltet, oder wir schießen!“

      „Nur zu, eidbrüchig Gesindel; versucht, ob ihr einen ehrlichen Reitersmann trefft!“

      Wilde Flüche und der Ruf „Feuer, Feuer!“ ertönten, und manche Büchse wurde in Anschlag gebracht; aber dazwischen riefen auch Stimmen: „Halt, halt, das sind keine Spanier, keine Speerreiter!“

      „Nein, das sind keine Spanier,“ rief der Reisige zurück. „Das sind auch keine Meuterer, Mörder oder Diebshalunken; — ehrliche Hohenlohesche Reiter sind’s, die euch Lumpengesindel wahren sollen, daß ihr nicht dem Galgen entlauft! Glaubt’s, der Graf hätte meinetwegen andere dazu schicken mögen, als uns — nehmt das Ab — Henkermahl drauf!“

      „Der Graf von Hollach hat Euch geschickt?“ fragte es verwundert aus dem Haufen, und mancher der wilden Kerle drängte sich vor, näher an den Reitersmann.

      „Zurück!“ rief dieser, „wir gehen mit euch, wie befohlen, jagen die Speerreiter, die euch die Gurgel abschneiden könnten, — man sparte nur die Stricke — und schützen das arme Landvolk vor euch Hunden. Damit holla! — na, wohin geht der Marsch?“

      „Packt Euch zum Teufel, wir brauchen Euch nicht!“ schrie Jobst Bengel aus Heiligenstadt. „Wer hat Euch gerufen? Sagt dem Grafen, dem Holländer, unsern schönsten Dank und wir könnten unsern Weg allein finden.“

      „Geht nicht! Alles auf Befehl! Kümmert euch so wenig als möglich um uns; ihr handelt nach Belieben, wir nach Befehl!“

      „Aber unser Belieben ist, daß ihr euch hinschert, woher ihr gekommen seid!“ brüllte Hans Römer aus Erfurt. „Geht, oder es setzt mein’ Seel blutige Köpfe!“

      „Unser Befehl ist, daß wir gehen, wohin euch der Satan treibt. Am Höllentor kehren wir um, das ist der Befehl. Genug der Worte.“

      Damit wandte der Hohenlohesche Rittmeister sein Roß und sprengte zurück zu seinen Reitern, welche unbeweglich auf einer kleinen Erderhöhung hielten und im Gegensatz zu dem tobsüchtigen, wüsten Gebaren der Meuterer nur leise Worte des Zorns und der Verachtung hatten.

      Auf seinem Schmerzenslager hatte Christoph von Denow halbblinden Auges und klingenden Ohres den Vorgang angesehen und angehört. Jetzt mußte er auch ohnmächtiger Zeuge der wilden Reden um ihn her sein.

      „Das ist solch ein falsch Spiel von dem Grafen — das ist eine Falle. Sollen uns schützen vor den Speerreitern! — Lauter Sorg und Lieb, bis sie uns den