du?« Vicky rieb sich ihr Hinterteil. »Du kannst doch vorher etwas sagen, wenn du schon abspringen musst.«
Pünktchen entschuldigte sich. »Das wollte ich nicht.«
»Das kann man hinterher leicht sagen«, nuschelte Vicky und kam ebenfalls zu der Bank, auf der die Kinderschwester saß, Schwester Regine versuchte den Mädchen Christians Situation zu erklären: »Jahrelang war Chris mit seinem Vater allein. Seine Mutter ist schon lange tot. Jetzt hat der Vater eine Frau kennen gelernt und will wieder heiraten. Das fängt schon damit an, dass er Chris allein lässt und nach Amerika fliegt.«
»Das würde mich auch ärgern«, meinte Vicky.
»Chris ist eifersüchtig auf die Frau«, vermutete Pünktchen.
Schwester Regine gab ihr recht. »Er befürchtet, dass sich die ganze Zuneigung seines Vaters nun auf diese Frau konzentrieren werde, dass er seinen Sohn nicht mehr lieben werde, was natürlich nicht stimmt.«
»Aber dafür können wir doch nichts.« Heidi schob einen Finger in den Mund. »Wir sind alle nett zu ihm. Da braucht er nicht so patzig zu sein und Rosenrot ein ›blödes Karnickel‹ schimpfen. Rosenrot kann doch nichts dafür, dass Chris’ Vati wieder heiraten will.«
Schwester Regine unterdrückte ein Schmunzeln.
»Nein, Rosenrot kann wirklich nichts dafür. Ich habe euch das auch nur erzählt, weil ich euch bitten wollte, ein bisschen nachsichtig mit Chris zu sein.«
»Will Chris’ Vati eine Amerikanerin heiraten?«, fragte Pünktchen.
»Soviel ich weiß, ist sie Deutsche und lebt nur in den Vereinigten Staaten.« Schwester Regine griff wieder nach ihrer Häkelarbeit. »Sie hat vor einiger Zeit Deutschland besucht und dabei Christians Vater kennen gelernt.«
»Ob er sich in sie verliebt hat?«, überlegte Vicky laut.
Pünktchen schüttelte den Kopf. »Das ist doch wohl klar. Sonst würde er sie doch nicht heiraten wollen.«
Vicky verteidigte sich: »So klar ist das nun auch wieder nicht. Es gibt schließlich auch Leute, die einander heiraten, obwohl sie einander nicht mögen.«
»Das gibt es nicht.«
»Das gibt es doch.« Vicky stampfte mit dem Fuß auf. »Stimmt es, Schwester Regine?«
»So etwas mag schon vorkommen. Nur glaube ich nicht, dass Herr Schubert aus Berechnung heiraten will.«
»Wer ist Herr Schubert?«, fragte Heidi.
»Chris’ Vater«, antwortete Vicky ungeduldig.
Heidi nahm ihr Kaninchen auf den Arm. »Ich gehe mit Rosenrot zum Haus.«
»Das sollten wir alle tun«, schlug die Kinderschwester vor. »In einer halben Stunde gibt es Abendessen.«
Sie packte ihre Handarbeit zusammen. Pünktchen und Vicky gingen nebeneinander.
»Eigentlich müsste sich Chris doch freuen, dass er wieder eine Mutti kriegt«, meinte Vicky. »Ich würde mich freuen.«
»Du weißt ja nicht, wie sie ist. Vielleicht mag sie keine Kinder.«
»Hm, das kann sein.« Vicky seufzte. »Am schlimmsten ist, dass wir morgen wieder in die Schule gehen müssen. Warum vergehen die Sonntage bloß immer so schnell?«
»Weil es Sonntage sind.«
Vicky blieb stehen. »Das ist vielleicht ’ne Antwort.«
»Es stimmt doch. Außerdem brauchst du nicht zu jammern. In drei Wochen fangen doch die großen Ferien an.«
»Gott sei Dank!« Vicky legte den Kopf in den Nacken und breitete die Arme aus. »Jeden Tag baden gehen …«
»Wenn schönes Wetter ist.«
»Du kannst einem aber auch die ganze Freude verderben, Pünktchen.«
»Wieso? Ich habe nur das gesagt, was stimmt. Es könnte doch sein, dass es den ganzen Sommer verregnet.«
»Hör bloß auf!« Vickys Arme fielen herab. »Daran mag ich nicht einmal denken. Das wäre hundsgemein.«
»Wäre es auch.« Pünktchen musterte Vickys Arme. »Du bist schon wieder viel brauner als ich.«
»Wirklich?« Vicky streckte beide Arme von sich, um sie zu betrachten. »Ich werde immer schneller braun als du.«
»Warum werde ich bloß immer rot?«
»Weil du blond bist und Sommersprossen hast.«
Pünktchen blieb stehen. »Was haben denn die Sommersprossen mit dem Braunwerden zu tun?«
»Ganz einfach: Rothaarige werden schwer braun und haben außerdem Sommersprossen. Und du hast auch Sommersprossen.«
»Ich bin aber nicht rothaarig«, widersprach Pünktchen ihr entrüstet.
»Nun rege dich nicht gleich auf. Ich habe ja nicht gesagt, dass du rothaarig bist. Nur, dass du Sommersprossen hast. Und ein bisschen rötlich sind deine blonden Haare doch.«
»Das finde ich nicht«, widersprach Pünktchen ihr erneut. Sie wollte nicht rothaarig sein, und ihre Sommersprossen mochte sie auch nicht. »Ich möchte einmal so braun werden wie Nick.« Sie verdrehte die Augen.
»Das wirst du nie. Nick ist mit seinen schwarzen Haaren ein ganz anderer Typ.«
»Das weiß ich.« Sie hatten das Herrenhaus erreicht. Pünktchen sprang als Erste die Stufen empor. Die etwas rundliche Vicky kam langsam nach.
Die meisten Kinder waren schon im Haus. Sie wuschen sich die Hände oder saßen in der Halle oder im Aufenthaltsraum.
Dominik von Wellentin-Schoenecker, den alle nur Nick nannten, suchte seinen Halbbruder Henrik. Er fand ihn schließlich im Eisenbahnzimmer und trieb ihn zur Eile an.
»Wir haben Mutti versprochen, zum Abendessen zu Hause zu sein. Also, komm schon!«
Henrik – viel jünger als Nick – hatte keine Lust, nach Gut Schoeneich zurückzuradeln. »Können wir nicht hier übernachten?«
»Dann hätten wir Mutti und Vati vorher Bescheid sagen müssen.«
»Wir könnten doch zu Hause anrufen?«
Nick schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Erstens haben wir unsere Schulsachen nicht dabei, und die brauchen wir morgen früh. Zweitens sind wir nicht für die Schule angezogen. Oder willst du morgen in Turnhose und T-Shirt zur Schule fahren?«
»Mir wäre das egal.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Nick gab seinem Halbbruder einen gut gemeinten Rippenstoß. »Also, komm schon, bevor’s Ärger gibt.«
Chris Schubert saß auf den Treppenstufen vor dem Herrenhaus. »Bis morgen, Chris«, rief Henrik, bevor er auf sein Fahrrad stieg. Henrik und Chris besuchten als einzige die Volksschule in Wildmoos. Alle anderen Kinder gingen schon auf das Maibacher Gymnasium.
Während Chris den beiden Brüdern nachschaute, dachte er daran, dass dieses ganze Kinderheim mit seinem großen Park, mit den Pferden und Weiden Nick gehörte. Das hatte Henrik erzählt.
Ob er gelogen hatte? Kaum, denn die anderen, die zugehört hatten, hatten zu allem genickt. Chris überlegte, ob man sich wie ein König fühlte, wenn einem das alles gehörte? Aber Nick benahm sich ganz normal. Er gab auch nicht an.
»He, träumst du?«
Chris drehte sich um. Vor ihm stand ein Junge, der zwei oder drei Jahre älter war als er – Fabian. Er sagte: »Es gibt Abendessen.«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Du musst trotzdem in den Speisesaal kommen.«
»Warum?«
»Weil das nun einmal bei uns so üblich ist. Wenn du nicht kommst, gibt’s bloß Ärger.«
Trotzig