Mann die Frucht aus der Hand und wirft sie weit von sich und erklärt, die Guajave sei verhext, die Schwarze habe sie an ihrer Brust gerieben, damit Gauguin ihr ins Netz gehe. Bald darauf wirft es Gauguin und auch Laval um, doch das hat seinen Ursprung im Sumpf von Panama, als Kanalarbeiter haben sie sich Ruhr, Malaria, Gelbfieber oder sonstwas eingefangen. Im August schreibt Gauguin seiner Frau aus Saint-Pierre, er sei gerade dem Tod entronnen, kraftlos liege er in einer Negerhütte auf einer Seegrasmatte, er könne jetzt wieder aufstehen, doch nicht auch nur einen Kilometer zu Fuβ gehen, er sei zum Skelett abgemagert, das wenige, was er esse, bereite ihm grausame Leberschmerzen, »wie bedaure ich, nicht gestorben zu sein«. Seine letzten Geldreserven sind für Medikamente und einige Arztbesuche draufgegangen, der Arzt hält es für absolut notwendig, dass er nach Frankreich zurückkehrt, Gauguin unternimmt alles, um repatriiert zu werden. »Auf baldiges Wiedersehen, meine liebe Frau! Ich küsse dich und ich liebe dich!« Manchmal klingt er in seinen Briefen sentimental.
Laval wurde auf Staatskosten nach Frankreich zurückgeführt, Gauguin heuerte als Matrose auf einem Segler an, die Seeluft lieβ ihn wieder etwas zu Kräften kommen, doch die Schmerzen in den Eingeweiden hielten an. In Paris nahm ihn sein Freund Émile Schuffenecker auf, der Maler, Zeichenlehrer und ehemalige Kollege im Bankhaus Bertin, der Gauguin bei dessen ersten Schritten in die Welt der Malerei an die Hand genommen hatte. Gauguins Bilder aus Martinique finden »nur Bewunderer«, sie treffen den Geschmack am Exotischen und Ursprünglichen, das so unverdorben nicht mehr war, schlieβlich gehörte die Insel – mit kurzen Unterbrechungen – seit zweieinhalb Jahrhunderten zu Frankreich. Einige Bilder werden gekauft, von dem Erlös geht Gauguin in die Bretagne, wo er wilde Natur findet, aber auch die Ruhr ihn wieder packt, mehrere Rückfälle fesseln ihn ans Bett, und in der Pension gerät er in Zahlungsrückstand. Im Oktober 1888 fährt er in die Provence nach Arles, um dort mit Vincent van Gogh auf Kosten dessen Bruders Theo, des Kunsthändlers, zusammenzuleben und zu arbeiten. Sie lernen voneinander, aber passen nicht zusammen, wenigstens unternehmen sie gemeinsam nächtliche Gesundheitstrips in Kneipen und Bordelle. Aus Arles schreibt Gauguin an Schuffenecker: »Die Hygiene und der Beischlaf gut geregelt, dazu die Chance, in völliger Unabhängigkeit arbeiten zu können, nur so wird es einem rechten Mann gelingen, sich aus der Schlinge zu ziehen«. Am Ende geht Vincent van Gogh mit dem Messer auf Gauguin los, schneidet sich aber doch lieber das eigene Ohr ab.
Gauguin schlüpft wieder bei »Schuff« unter, in den folgenden beiden Jahren ist er mal in Paris und viel in der Bretagne, er macht Fortschritte in seiner Kunst, stellt seine Arbeiten aus, sie erregen Aufsehen, werden jedoch nicht gekauft, eine Ausstellung avantgardistischer Künstler während und neben der Exposition Universelle von 1889 wird ein Lacherfolg. Gauguin weiβ selber, dass seine Bilder noch unvollkommen sind, ungewisse Versuche, schwebende Ideen ohne einen bestimmten und endgültigen Ausdruck, doch dieser flüchtige Traum, in dem er die Vollendung ahnt, diese Minute, in der er den Himmel berührt, ist etwas viel Gewaltigeres als alle Materie, lieber nimmt er alles materielle Elend auf sich, als von seinem Traum zu lassen. Malen, nur um vom Verkauf seiner Bilder zu leben, will er nicht, selbst wenn er es könnte. Seiner Frau wirft er vor, die Kunst nur zu lieben, wenn der Künstler gut verdiene, sie habe ihn immer als Dukatenesel betrachtet. Als Angestellter würde er zwei- oder viertausend Francs verdienen, doch zwischen ihnen würde sich nicht viel ändern, sie hätten den gleichen Ärger miteinander, die gleichen Streitereien, die gleiche Hölle im Haus. Er darf die errungene Freiheit nicht gegen ein Schattendasein als Angestellter eintauschen, die Kunst ist sein Kapital, im Übrigen auch die Zukunft ihrer Kinder, denen sich alle Türen öffnen werden, weil sie Gauguin heiβen. Er kann nichts Besseres tun, als seine Kunst zu perfektionieren, das bringt ihm gegenwärtig nichts ein, aber er setzt alle Hoffnung auf die Zukunft. »Möge der Tag kommen, möge er nicht fern sein, an dem ich in die Wälder einer einsamen Insel im Stillen Ozean entfliehen werde, vom Wunsch beseelt, mich der Verzückung, dem Frieden und der Kunst hinzugeben, umringt von einer neuen Familie, fernab von diesem europäischen Kampf ums Geld. Dort auf Tahiti könnte ich in der Stille der schönen tropischen Nächte den sanft rauschenden Klängen in meinem Inneren lauschen (…). Endlich frei, ohne Sorgen um das Geld, würde ich alsdann lieben, singen und sterben.« Manchmal klingt Gauguin pathetisch-romantisch, kehrt den Idealisten, Träumer, Visionär, Besessenen heraus, der niemandem, nicht einmal sich selbst, nur seiner Mission verpflichtet ist, genauso wie Charles Strickland, der Gauguin Somerset Maughams in The Moon and Sixpence.
Im April 1890 schreibt Gauguin an Émile Bernard, den er in der Bretagne kennengelernt hat, er sei am Ende seiner Kunst, bei ihm herrsche jetzt Ebbe, und er halte es für überflüssig, den Kampf fortzusetzen, ohne Trümpfe in der Hand zu haben. Er steht kurz vor dem Verkauf einer Anzahl Bilder für 5000 Francs, von dem Geld will er sich neue Eindrücke, Ideen kaufen, sein Entschluss steht unwiderruflich fest, »ich fahre nach Madagaskar«. Er will dort auf dem Land ein Lehmhaus erwerben und vergröβern, die Erde bearbeiten und bepflanzen und wie die Eingeborenen leben, sich Modelle und alles andere für seine Studien beschaffen und das »Atelier der Tropen« gründen. Jemand aus Bourbon (La Réunion) hat ihm versichert, mit 5000 Francs könne man auf Madagaskar 30 Jahre lang leben, es sei spottbillig dort, allein die Jagd liefere genug Nahrung, »ich werde mich der Freiheit freuen und Kunstwerke schaffen«. Drei Jahre zuvor hatten Geschäftsleute ihn nach Madagaskar schicken wollen, wo er ein Unternehmen führen sollte, doch daraus war nichts geworden, und Gauguin hatte sich nach Panama gewandt und von Taboga fantasiert. Zwei Monate nach seinem Brief an Bernard schreibt er ihm, er bemühe sich um eine gute Stelle in Tongking, um dort ein, zwei Jahre zu arbeiten, Ersparnisse anzulegen, zu malen und neue Kraft zu schöpfen. Der ganze Ferne Osten sei der Mühe wert, studiert zu werden, der Westen dagegen sei verfault, aber alles, was noch gesund und lebensfähig, herkulisch sei, vermöge aus der Berührung mit dem Boden dort unten gestärkt hervorzugehen. Einen Brief später schwärmt er wieder von Madagaskar und besonders der Insel Mayotte (Komoren), wo die Frauen sehr sanft seien, genauso wie auf Tahiti, wo man fast ohne Geld leben könne, stattdessen von wilden Bananen, Brotfrüchten und Kokosnüssen. Gauguin und Bernard hatten gemeinsam von Tahiti geträumt und erwogen, zusammen nach Polynesien zu gehen.
Das Geschäft über 5000 Francs kam nicht zustande, obendrein verfiel Theo van Gogh, der Gauguin häufig unterstützt und viel unternommen hatte, um den Verkauf seiner Bilder anzukurbeln, nach dem Selbstmord seines Bruders Vincent dem Wahnsinn. Das war »ein entsetzlicher Schlag« für Gauguin, sein Madagaskar-Mayotte-Tahiti-Traum schien sich aufzulösen. Er organisierte eine Versteigerung seiner Werke, rührte die Werbetrommel, sogar in England wurde man auf ihn aufmerksam, die Auktion verlief glücklich, wenn auch in kommerzieller Hinsicht nicht übermäβig erfolgreich, doch der künstlerische Erfolg war nach Ansicht Gauguins »immens und wird in kurzem seine Früchte tragen«. Er ersuchte das Ministerium für Unterricht und Schöne Künste um Unterstützung, wurde mit der offiziellen, ebenso unbesoldeten wie unbestimmten künstlerischen Mission betraut, den Charakter und das Licht Tahitis zu erforschen, erhielt vom Staatssekretär für Kolonien eine verbindliche Empfehlung an den Gouverneur Französisch-Polynesiens, von der Schifffahrtsgesellschaft eine Fahrpreisermäβigung und vom Direktor der Schönen Künste die mündliche Zusage für den Ankauf eines Bildes nach seiner Rückkehr. Bevor er – ohne Bernard – nach Tahiti aufbrach, sah er Frau und Kinder in Kopenhagen wieder und schrieb, zurück in Paris, seiner »angebeteten Mette«, er ginge einer gesicherten Zukunft entgegen, und er werde sehr glücklich sein, wenn Mette bereit sei, die Zukunft mit ihm zu teilen. Er werde in den kommenden drei Jahren eine Schlacht schlagen, nach deren siegreichem Ausgang sie in Sicherheit leben könnten, »wenn ich zurückkomme, werden wir uns wieder verheiraten«. So schrieb er, während er seit Monaten mit einer Geliebten zusammenlebte, der er ein Kind machte. Seine Freunde gaben Gauguin noch ein Abschiedsbankett unter Vorsitz Mallarmés, dann nahm er den Nachtzug nach Marseille.
Im gleichen Jahr, in dem Rimbaud in Marseille starb, begann Gauguins polynesisches Leben. Nach zehnwöchiger Überfahrt mit Stationen in Aden, im französischen Mahé auf den Seychellen, in mehreren Häfen Australiens und in Nouméa (Neukaledonien) landete er Anfang Juni 1891 in Papeete. Gauguin kam 100 Jahre zu spät. »Dies war ja Europa – das Europa, von dem ich mich befreit zu haben glaubte –, nur noch vergröbert durch die Spielarten des kolonialen Snobismus und eine kindliche, bis zur Karikatur groteske Nachahmerei. Das war es nicht, was ich gesucht hatte«, schrieb er in seinem autobiografischen Bericht Noa Noa. Marinesoldaten, Matrosen von Walfängern, Deserteure