waren sie sehr reich. Angela weiß jedoch kaum, wovon sie leben soll.«
Flora hatte ihre Hände im Schoß verkrampft. Sie hörte zu. Jedes seiner Worte schmerzte sie, denn er schwärmte von einer anderen Frau. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, sie sprang auf. »Was geht dich diese Frau an?« rief sie heftig.
Erstaunt sah er sie an.
»Begreifst du denn nicht? Sie braucht Hilfe! Ich will, daß Angela die Heimat erhalten bleibt. Ich möchte, daß die Burg im alten Glanz aufersteht.«
»Sag schon, daß du diese Angela liebst«, forderte sie ihn auf.
Stephans Miene verschloß sich wieder. »Ich mag sie, sie ist eine wunderbare Frau. Jede Stunde, die ich in ihrer Gesellschaft verbringen darf, genieße ich.«
»Du liebst sie also!« Flora bohrte ihre Fingernägel in die Handflächen. Sie mußte jetzt Haltung bewahren. Sie sah zur Tür. Am besten war es, wenn sie ging. Doch da sagte Stephan: »Ich weiß es nicht. Es spielt auch keine Rolle. Ich fühle mich zu ihr hingezogen und will ihr helfen. Ich muß sie überreden, mein Geld anzunehmen. Diese Burg wieder aufzubauen, das ist eine Aufgabe! Versteh doch, Flora!«
Sie wollte ihn doch verstehen.
Sie war ja aus New York gekommen, weil sie ihn verstehen wollte. Sie wollte sein Leben teilen. Er hatte sie jedoch nicht gefragt, warum sie gekommen war. Nein, es ging jetzt nicht um sie. Es ging um Stephan und um diese Frau.
»Eine Prinzessin«, stammelte sie verwirrt und griff sich mit beiden Händen an die Stirn. »So etwas gibt es doch nur im Märchen.«
»Da irrst du!« Stephan legte die Handflächen gegeneinander, beugte sich etwas nach vorn und begann zu erzählen. Er erzählte von seiner Begegnung mit Prinzessin Angela, erwähnte auch Graf Oliver. »Sie braucht mich! Graf Oliver kann ihr nicht helfen. Er versteht sie nicht einmal. Sie soll die Burg verkaufen, soll in einem Appartement leben. Das ist ausgeschlossen!«
Dich geht das alles doch nichts an, wollte sie sagen, aber sie preßte die Lippen aufeinander und schwieg. Sie hörte weiter zu, wie Stephan ihr das Leben der Prinzessin schilderte. Sie begriff noch immer nicht. Imponierte ihm die Frau? Liebte er sie?
Stephan erhob sich. Er sah auf Flora hinab. »Ich habe hier eine Aufgabe gefunden. Ich werde nicht eher ruhen, bis die Burg wieder aufgebaut ist, vom Verlies bis zum Ballsaal. Die Gemälde sollen wieder an ihren alten Plätzen hängen.« In seinen Augen brannte ein Feuer, seine Brust hob und senkte sich.
Verwirrt fragte Flora: »Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann will die Prinzessin deine Hilfe gar nicht.«
»Sie ist zu stolz, mein Geld zu nehmen, obwohl sie nicht weiß, wie es weitergehen soll. Ich muß sie überzeugen, ich muß einen Weg finden!«
Er begann wieder im Zimmer umherzugehen. Flora biß sich in die Unterlippe. Was sollte sie tun? Was konnte sie tun?
»Ich bin hier zu Hause, ich fühle es«, hörte sie Stephan sagen. Da fuhr sie auf: »Moment! Du bist in New York zu Hause. Dort bist du geboren worden, dort hast du bereits dreißig Jahre lang gelebt.«
Stephan wandte den Kopf zur Seite. Darauf konnte er nichts entgegnen. Da Flora ihn verstehen wollte, fragte sie: »Möchtest du hier leben?«
Stephan zuckte die Achseln. »Es ist schön hier. Von der Burg aus hat man einen herrlichen Rundblick. Ich kann es nicht erklären… ich habe das Gefühl…« Er brach ab. Flora sah, wie er in die Hosentasche griff und das Medaillon hervorholte. Sie kannte es. Sie wußte, daß es ihm viel bedeutete, da er es von seiner Mutter hatte. Stephan öffnete das Medaillon und hielt es ihr hin.
»Sieh dir das Bild an! Es zeigt ein Landmädchen. Die Zöpfe – es muß sich um ein einfaches Mädchen handeln.«
»Ein schönes Mädchen«, sagte Flora, die das Bild kannte. Sie verstand nur nicht und sah ihn fragend an.
»Ein einfaches Mädchen«, wiederholte er. »Das Bild muß viele Jahre alt sein und hat irgendwie mit meinen Vorfahren zu tun.« Dann, nach kurzem Zögern, erzählte Stephan ihr von dem Gemälde der Fürstin Luitgard, das im ehemaligen Ballsaal der Burg hing.
Das ist doch Unsinn, wollte Flora sagen, aber Stephans Gesichtsausdruck ließ sie schweigen. Sicher hatte er unter dem frühen Tod seiner Eltern sehr gelitten, das Medaillon war das einzige, was ihm geblieben war. Er klappte es zu, steckte es hastig wieder weg.
»Vielleicht stammen meine Vorfahren aus Passau? Ich werde es wohl nie herausfinden. Ich weiß nur, daß ich hierbleiben muß. Ich kann nicht zulassen, daß Angela allein in einer Ruine lebt. Ich kann es ändern, ich habe das Geld dazu. Ich mache es nicht so wie Graf Oliver, der einfach aufgibt, der Angela ihrem Schicksal überläßt. Ich bleibe hier!«
In seinem Gesicht konnte sie lesen, daß er wirklich dazu entschlossen war. Es hatte keinen Sinn, an seine Vernunft zu appellieren, sie würde nur gegen eine Mauer rennen. Und ein Appell an die Liebe? Er hatte sich über ihr Kommen gefreut. Sie hatte es gesehen, hatte es gespürt. Doch im Moment war die Prinzessin stärker als sie. Sie hatte sich vorgenommen, ihn zu verstehen, also schwieg sie.
*
Flora war gegangen, und Stephan hatte sie gehen lassen. Er hatte nicht versucht, sie zu halten, und das schmerzte. Sie hatte ihm gesagt, daß sie kein festes Ziel habe, sie wolle sich nun auch in Deutschland umsehen, wenn sie schon einmal hier war. Du weißt ja, wo ich wohne, vielleicht meldest du dich noch einmal, hatte er gesagt, und es hatte sehr beiläufig geklungen.
Flora lehnte an der Kaimauer.
Die Zähne hatte sie in die Unterlippe gepreßt, sie versuchte zu verhindern, daß ihre Augen feucht wurden. Sie sah den Fluß entlang. Es stimmte, Passau war ein schönes Städtchen. Es lag auf einer Landzunge zwischen zwei Flüssen. Warum war sie nur so dumm gewesen und hatte sich gegen eine Deutschlandreise gewehrt? Was nun? Sollte sie wirklich allein herumreisen? Mit Stephan konnte sie nicht rechnen. Er hatte nur diese Prinzessin im Kopf.
Ein Gedanke stieg in ihr auf und ergriff immer mehr Besitz von ihr. Warum sollte sie sich nicht die Prinzessin ansehen? Egal, wo sie heute übernachten würde, sie konnte doch zuerst einmal zur Burg hinauffahren. Sie mußte wissen, was Stephan so an dieser Frau faszinierte. Sie dachte nicht weiter darüber nach, sondern eilte zu ihrem Mietwagen, den sie an der Donaubrücke abgestellt hatte. Sobald sie Passau etwas hinter sich gelassen hatte, sah sie die Burg auf der Anhöhe liegen. Sie verlangsamte ihr Tempo, ihre Hände umspannten fester das Lenkrad. Nein, sie konnte Stephan nicht verstehen. Sie fand nichts Anziehendes an dem alten Gemäuer. Sie entdeckte einen Wegweiser und bog ab. Die Straße war kurvenreich, und da sie sich nicht auf die Straße konzentrierte, sondern ihren Blick schweifen ließ, kam sie zu nahe an den Straßenrand, das Vorderrad rutschte in den Graben.
Flora war wütend. Sie war eine gute Autofahrerin, und so etwas war ihr noch nie passiert. Sie schalt sich selbst eine Närrin, dann stieg sie aus, um sich den Schaden zu besehen. Erleichtert seufzte sie, als sie feststellte, daß er nicht allzu groß war. Mit etwas Glück konnte sie sich selbst aus dieser heiklen Lage befreien. Ehe sie zur Tat schreiten konnte, kam ein Auto. Es hielt neben ihr an, und der Fahrer fragte: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ich habe nicht auf die Straße geachtet«, sagte Flora. Sie sah, daß der Fahrer den Kopf schüttelte. Das ärgerte sie. Ehe sie jedoch etwas sagen konnte, war er schon ausgestiegen.
»Setzen Sie sich ans Steuer. Ich werde ihn schieben.«
Flora störte sich an seinem befehlenden Ton, aber sie zuckte die Achseln und setzte sich hinter das Steuer. Sie startete, gab Gas, zuerst drehte der Motor leer, doch dann spürte sie einen Ruck, und schon stand sie mit allen vier Rädern wieder auf der Straße. Flora schaltete den Motor wieder ab und stieg aus.
»Danke!« sagte sie und hielt dem Fremden ihre Hand hin. »Wahrscheinlich hätte ich es doch nicht ohne Sie geschafft.«
»Mmh!« Der Mann verzog das Gesicht. Flora fühlte sich gemustert, doch dann nahm er doch noch ihre Hand. Er stellte sich vor: »Eckhold, Oliver von Eckhold!«
»Was?« Flora