Marisa Frank

Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman


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brachte Angela in die Wirklichkeit zurück. Sie trat zur Seite. »Es gibt keine Märchen mehr«, sagte sie fast heftig.

      Erstaunt sah Stephan sie an. »Liegt das nicht an uns? Wir nehmen uns keine Zeit mehr zu träumen.« Er hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Ich habe Zeit! Ich habe beschlossen, etwas Neues anzufangen.«

      »Sie können es sich wahrscheinlich leisten.« Angelas Lippen bogen sich jetzt etwas nach unten. »Setzen Sie sich doch! Ich richte uns einen kleinen Imbiß.«

      »Aber das ist nicht nötig!«

      »Doch, ich habe Hunger!« Ste­phan sagte nichts mehr. Er setzte sich und sah ihr zu, wie sie geschickt hantierte. Jetzt fiel ihm auch auf, wie anmutig ihre Bewegungen waren. Als sie sich ihm gegenübersetzte, bat er: »Angela, erzählen Sie mir von sich. Leben Sie ständig auf der Burg?«

      Sie nickte.

      »Sie leben ganz allein hier?« fragte er nach. Er konnte es nicht glauben. »Warum, Angela? Eine Frau wie Sie!«

      »Weil ich es will!« Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Das hier ist meine Heimat.«

      Im ersten Moment konnte er es nicht glauben. »Ihnen gehört die Burg? Sie sind die Eigentümerin dieses Besitzes?«

      Angela nickte. Da griff er über den Tisch. »Erzählen Sie mir von sich«, bat er und nahm ihre Hand in die seine.

      Angela hatte eigentlich ihr Inkognito nicht lüften wollen. Das Spiel hatte sie amüsiert, sie hätte es gern fortgesetzt. Doch jetzt sah er sie so bittend an, daß sie zu sprechen begann. Sie begann, ihm von sich zu erzählen. Ein einziges Mal unterbrach er sie, indem er feststellte: »Es gibt sie also doch, die Märchen!«

      *

      Mit einer riesigen Schachtel Pralinen erschien Stephan am nächsten Tag wieder auf der Burg. »Ich konnte Ihnen doch keine Blumen bringen«, meinte er. »Hier grünt und blüht bereits alles. Sie leben in einem Paradies, Angela.«

      »Danke! Aber das hier wäre nicht nötig gewesen.« Angela nahm die Pralinen entgegen, ihre Wangen hatten sich leicht gefärbt. Sie freute sich über diese kleine Aufmerksamkeit. Sie hatte auf sein Kommen gehofft, obwohl sie dies nie zugegeben hätte. Jedenfalls hatte sie darauf verzichtet, im Garten zu arbeiten, und so trug sie ein Sommerkleid, dem man nicht ansah, daß es von der Stange gekauft war.

      »Störe ich sehr?« fragte Ste­phan. »Sie haben mir erlaubt wiederzukommen, und ich brachte es einfach nicht fertig, länger damit zu warten.«

      »Es freut mich, daß es Ihnen hier gefällt.«

      »Ich habe Ihnen ja erzählt, daß ich mich von der Burgruine angezogen gefühlt habe. Ich mußte einfach hier herauf! Dabei hatte ich keine Ahnung, hier auf ein menschliches Wesen zu stoßen.«

      »Sie dachten eher an Gespenster«, neckte ihn Angela.

      »Mit diesen hätte ich es aufgenommen«, versicherte Stephan. »Ich muß Ihnen einfach sagen, daß ich Sie bewundere. Ich hätte wirklich nicht gedacht, in Deutschland auf Menschen wie Sie zu stoßen.«

      »Ich weiß nicht! Sie machen einen Fehler, wenn Sie mir eine Art Heiligenschein aufsetzen wollen. Wahrscheinlich bin ich nichts anderes als ein großer Dickkopf. Wollen wir einen Spaziergang machen?«

      Er nickte, er wollte ihr so viel sagen.

      »Warten Sie noch einen Moment, ich bringe nur die Bonbonniere in Sicherheit, sie schmilzt am Ende noch in der Sonne.«

      Lächelnd sah Stephan ihr nach. Er war heute morgen sehr früh aufgewacht, hatte dann nicht mehr einschlafen können und so über sie nachgedacht. Er ließ seinen Blick schweifen. Es mußte eine wunderbare Aufgabe sein, diese Burg zu retten. Es mußte verhindert werden, daß der Verfall weiter fortschritt. Allein konnte Angela das nicht schaffen. Er jedoch hatte die Mittel dazu. Mit beiden Händen fuhr Stephan sich durch das Haar. Obwohl er die Prinzessin erst seit gestern kannte, wußte er, daß sie von ihm kein Geld annehmen würde. Sie würde sich nichts schenken lassen. Sie war nicht nur ein Dickkopf, sie hatte auch ihren Stolz.

      Leichtfüßig kam sie auf ihn zu, und ihm wurde wieder bewußt, daß sie eine sehr schöne Frau war. »Es ist nicht zu glauben«, murmelte er.

      »Was?« fragte sie. Sie hatte seine Worte gehört, obwohl sie nicht für sie bestimmt gewesen waren.

      »Eine so schöne Frau wie Sie lebt in dieser Einöde.« Er verbesserte sich rasch: »In dieser Einsamkeit.«

      Sie warf ihren Kopf in den Nacken. Ihre Augen blitzten. Erfreut stellte er fest, daß sie auch Temperament hatte. »Was soll ich sonst machen? Ich will auf keinen Fall meine Heimat verlieren.«

      »Aber...«

      »Fangen Sie jetzt nicht so an wie Oliver. Ich habe gedacht, Sie verstehen mich. Hier lebten meine Vorfahren. Sie haben auf diesem Boden Freud und Leid erfahren. Aus der Familienchronik weiß ich, wie es früher hier ausgesehen hat. Dort waren die Stallungen, dahinter das Gesindegebäude. Meine Urgroßmutter bewohnte noch das Erkerzimmer im rechten Flügel der Burg. Davon ist leider nichts mehr zu sehen.« Angelas Atem ging nun heftig. »Für Oliver ist das Unsinn. Er wirft mir vor, daß ich in der Vergangenheit lebe.« Sie hielt inne.

      »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich komme aus New York. Ich kenne keine Frau wie Sie.« Kurz dachte er an Flora. Sie hatte nur ihre Karriere im Kopf, den Begriff Heimat kannte sie nicht. Er schob diese Gedanken rasch von sich. New York war weit. Sein Blick suchte den ihren. Er wollte ihr antworten.

      »Es ist sicher ein Fehler, wenn man in der Vergangenheit lebt. Aber das tun Sie nicht. Sie wollen Altes erhalten. Das ist schön. Hier kann man sich noch wohl fühlen, kann man träumen. Wo ist dies in den Städten noch möglich? Dort ersticken wir in Beton, in immer gewagteren Konstruktionen. Au­ßer­dem beneide ich Sie um Ihre Vorfahren. Sie scheinen viel von ihnen zu wissen. Ich weiß nur, daß die Meinigen aus Deutschland stammen, wahrscheinlich aus Bayern. Ich würde sehr gern mehr über sie wissen.« Er zuckte die Achseln. »Ich habe keinen Stammbaum.«

      »Über einen Stammbaum verfüge ich, auch über eine Ahnengalerie.« Angelas Lächeln wurde bitter. »Im Grund hat Oliver recht, wenn er mich für verrückt erklärt. Ich habe kaum das Nötigste zum Leben, hebe aber Bilder auf, von denen einige sicher sehr viel wert sind. Ich habe sie noch nicht einmal schätzen lassen. Sie hängen im ehemaligen Festsaal der Burg. Und ich habe Angst, daß es demnächst dort hineinregnen wird.«

      »Bilder?« fragte Stephan zurück.

      »Ja! Bilder meiner Vorfahren. Einige davon sind bereits vierhundert Jahre alt. Ich möchte mich nicht von ihnen trennen, andererseits weiß ich auch nicht, wo ich sie aufheben soll, damit sie nicht Schaden erleiden.«

      Lassen Sie sich von mir helfen! wollte Stephan sagen, aber statt dessen fragte er: »Und Ihr Freund?«

      »Oliver? Er meinte es gut!« Angela begann zu gehen, Stephan blieb an ihrer Seite, er wartete. Sie hatten den mächtigen Lindenbaum hinter sich gelassen, waren in den Waldweg eingebogen, als Angela wieder zu sprechen anfing.

      »Ich darf nicht ungerecht sein. Oliver versucht mich zu verstehen, so gut er eben kann. Er stammt aus einem Schloß in der Heide. Der Stammsitz seiner Väter wurde jedoch bereits vor dem Krieg verkauft. Schon sein Vater mußte einen Beruf ausüben. Trotzdem hat Oliver versucht, weiterhin in der aristokratischen Gesellschaft zu verkehren. Nun, mir liegt es nicht, so zu tun als ob, und mir zuliebe verzichtet er nun auch auf diverse Einladungen des Adels.«

      Stephan verspürte etwas wie Eifersucht, dies ließ ihn mit gerunzelter Stirn fragen: »Wo steckt Ihr Freund eigentlich? Warum läßt er Sie hier allein?«

      »Oliver ist Flugkapitän. Seine Freizeit ist begrenzt.«

      Am Tonfall ihrer Stimme merkte Stephan, daß er zu weit gegangen war. Er wechselte das Thema, indem er sagte: »Mich würde Ihre Ahnengalerie interessieren.«

      »Wirklich?« Angela verhielt ihren Schritt. Erstaunt sah sie ihn an.

      »Sehr sogar! Sie dürfen nicht vergessen, ich komme