Gisela Reutling

Mami Bestseller 19 – Familienroman


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im Gegenteil. Mit einem Gefühl grenzenloser Enttäuschung hatte sie auf den Mann geblickt, den fremden Mann, der sie rasch und ohne Zärtlichkeit nahm und dann an ihrer Seite eingeschlafen war. Leise war sie fortgegangen.

      Nein, sie wünschte sich nicht, Uwe Hallweg wiederzusehen. Sie wollte vergessen, was in jener Nacht geschehen war.

      *

      Vierzehn Tage später. Christiane stand an der Haltestelle und wartete auf den Omnibus. Es war viertel nach fünf; ein häßlicher, trübgrauer Nachmittag mit Nieselregen, in den sich ab und zu ein paar wäßrige Schneeflocken mischten. Mit ihren Gedanken war sie noch bei der Arbeit. Der Brief an Laroche in Paris hatte ihr einige Schwierigkeiten bereitet wegen der zahlreichen technischen Begriffe, die darin vorkamen. Sie wollte ihn morgen noch einmal überprüfen, bevor sie ihn dem Chef zur Unterschrift vorlegte.

      Jemand sagte neben ihr: »Man muß sich nur genug wünschen, dann geht es auch in Erfüllung!«

      Zuerst wurde es ihr gar nicht bewußt, daß diese Worte ihr galten, doch dann sah sie plötzlich in das Gesicht eines jungen Mannes, der ihr bekannt vorkam. Ach ja, das war der junge Mann, der sie auf der Brücke vor einem vermeintlichen Selbstmordversuch bewahren wollte. Sie nickte ihm freundlich grüßend zu, und er lächelte freudig zurück.

      »Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, meine schöne Unbekannte in dieser großen Stadt wiederzufinden«, gestand er ihr. »Hoffentlich sagen Sie mir jetzt nicht, daß Sie gar keine Zeit dazu haben, mit mir eine Tasse Kaffe zu trinken!«

      »Etwas Zeit habe ich schon«, gab sie zu, »und eine Tasse Kaffee würde mir jetzt sicher ganz guttun.«

      Er lächelte wie jemand, dem man eine große und unverhoffte Freude gemacht hat, und eine kleine warme Welle schlug in ihr empor.

      Es waren nur ein paar Schritte bis zu einem netten Café.

      Bevor sie sich an einem der kleinen runden Tische niederließen, stellte der junge Mann sich vor: »Ich heiße Andreas Veidt, bin vierundzwanzig Jahre alt und studiere Volkswirtschaft.«

      »Also nicht hauptberuflich Zeitungsfahrer«, meinte Christiane lächelnd, während sie sich von ihm den Mantel abnehmen ließ.

      »Nein, obwohl das ein guter Job ist. Ich verdiene mir damit, wenigstens teilweise, mein Studium. Anders wäre es für meine Eltern eine zu große Belastung, ich habe noch einige jüngere Geschwister.«

      Verständnisvoll nickte sie ihm zu. Auch seine offene, ungezwungene Redeweise berührte sie angenehm. Sie nahmen Platz, und nun nannte auch Christiane ihren Namen.

      »Christiane, das ist hübsch, das paßt zu Ihnen«, meinte Andreas Veidt spontan. »Ich hatte Ihnen in meinen Gedanken schon einige Namen gegeben: Elisabeth, Charlotte, Margaret – ja, komisch«, unterbrach er sich etwas verlegen, »es waren lauter altmodische Namen, die mir in den Sinn kamen.«

      Christiane zog belustigt die Augenbrauen in die Höhe. »Ich weiß nicht, ob das ein Kompliment ist«, meinte sie lachend. »Halten Sie mich etwa für ein altmodisches Mädchen?«

      »Aber nein, um Gottes willen!« wehrte er rasch ab. »So habe ich das doch nicht gemeint. Aber Sie scheinen mir meilenweit entfernt zu sein von einer gewissen Sorte moderner junger Mädchen, die sich hopp-hopp von einem Mann ins Bett ziehen lassen.« Als er merkte, daß Christiane unvermittelt rot wurde, fügte er etwas zerknirscht hinzu: »Entschuldigen Sie, Fräulein Mellin, unter Studienkollegen lernt man, sich etwas salopp auszudrücken.«

      Sie unterhielten sich angeregt über dieses und jenes. Auch Christiane erzählte von sich, daß sie frühzeitig auf sich gestellt war, in Abendkursen Französisch und Englisch erlernt hatte und seit einem Jahr als Fremdsprachensekretärin bei der Firma Hallweg arbeitete.

      »Tüchtig, tüchtig!« Andreas Veidt lächelte anerkennend. Dann versank er in ein nachdenkliches Schweigen und rührte mit dem Löffel in seiner Tasse. Endlich begann er zögernd: »Aber es gibt ja sicher jemand, der Rechte auf Sie hat…«

      »Wie meinen Sie das?« fragte Christiane erstaunt.

      Er sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an. »Ich meine, daß ein Mädchen wie Sie sicher nicht allein ist…«

      »Ach so! Nein, ganz allein bin ich nicht, ich habe einen netten Freundeskreis hier. Aber ich bin weder verliebt noch verlobt noch sonst irgendwie gebunden«, erklärte sie lächelnd.

      »Dann darf ich Sie also um ein Wiedersehen bitten?« Und als Christianes Lippen das Lächeln beibehielten und er in ihren Augen keine Ablehnung las, fuhr er eifrig fort:

      »Vielleicht am Sonntag? Im Künstlerhaus ist eine Ausstellung der Maler des Impressionismus, würde Sie das interessieren?«

      Es interessierte Christiane, und sie verabredeten sich. Dann brachte Andreas Veidt sie zur Bushaltestelle. Kurz bevor der Omnibus kam, fragte er: »Jetzt wüßte ich nur noch gern, warum Sie neulich morgens um fünf einsam und allein auf der Brücke gestanden haben.«

      Christiane blickte die Straße entlang, das Licht der Neonlampen spiegelte sich in den Pfützen. »Ich kam von dem Betriebsfest unserer Firma«, antwortete sie mit spröder Stimme. »Ich hatte Lust, zu Fuß durch die frische Luft nach Hause zu gehen.« Sie wandte sich ihm zu und reichte ihm die Hand. »Da kommt mein Bus. Auf Wiedersehen, Herr Veidt!«

      »Auf Wiedersehen, bis Sonntag. Ich freue mich mehr darauf, als ich sagen kann!« Warm und fest war sein Händedruck.

      *

      Als sie am Sonntag, am Spätnachmittag, das Künstlerhaus verließen, pfiff ein eisiger Wind durch die Straßen und trieb Schnee- und Graupelschauer vor sich her.

      »Das nennt sich nun Frühling«, schimpfte Andreas Veidt und legte wie beschützend leicht den Arm um Christianes Schultern.

      »Das nennt sich erst April«, hielt das Mädchen ihm lachend entgegen, während es den Regenschirm aufspannte.

      »Ich glaube, hier in der Nähe gibt es eine nette Weinstube, flüchten wir uns erst mal da hinein«, schlug Andreas vor. »Sicher bekommen wir dort auch etwas Gutes zum Abendessen.« Er sah sie von der Seite an. »Oder haben Sie für heute abend etwas anderes vor?«

      »Nein.« Christiane überlegte. Sie wußte, daß die in der Nähe gelegene Weinstube ein exklusives teures Restaurant war, dessen Preise nicht für den schmalen Geldbeutel eines Werkstudenten paßten. Und wie sie Andreas Veidt einschätzte, würde es ihn kränken, wenn sie ihren Anteil selbst bezahlen wollte. Deshalb sagte sie entschlossen: »Wenn Sie mit einem belegten Brot und einer Tasse Tee vorliebnehmen, könnten wir auch zu mir nach Hause fahren.«

      Christianes kleine Wohnung war ohne besonderen Aufwand, aber sehr nett und persönlich eingerichtet. »Setzen Sie sich, Herr Veidt«, forderte sie ihren Gast auf und wies auf den Sessel neben der Stehlampe, die ein warmes honiggelbes Licht verbreitete.

      »Schön haben Sie es hier«, meinte der junge Mann und sah sich mit einem beinahe verträumten Lächeln um. Er hatte das Gefühl, auf einer stillen Insel zu sein. Er dachte an sein kärglich möbliertes Zimmer und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er später einmal ein eigenes Heim hatte, und eine Frau wie Christiane Mellin ihn abends erwartete…

      Sie tranken Tee, plauderten, betrachteten zusammen den Katalog der ausgestellten Bilder, den Christiane im Künstlerhaus erstanden hatte. Später bereitete sie einen kleinen Imbiß zu, und sie ließen es sich schmecken.

      »Ich danke Ihnen für diesen Tag«, sagte Andreas Veidt, als er sich verabschiedete. »Sehen wir uns bald wieder?«

      »Rufen Sie mich doch in den nächsten Tagen im Büro an!« Sie duldete es, daß er ihre Hand ein paar Sekunden länger als üblich festhielt, und ihre Blicke versanken ineinander. In diesem Moment war eine prickelnde Spannung zwischen ihnen.

      Wenn er mich jetzt küßt, dachte Christiane – aber er küßte sie nicht, sondern wandte sich hastig ab. »Auf Wiedersehen«, sagte er noch einmal etwas heiser und stieg die Treppen hinunter. Christiane fühlte sich beschwingt, als sie anschließend in ihrer Wohnung noch ein wenig aufräumte. Was für ein schöner