Rosa Lindberg

Mami Bestseller 60 – Familienroman


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ction> Mami Bestseller – 60 –

      Es ist, dachte Juliane, während sie sonderbar ruhelos durch die Wohnung wanderte, mein erster Geburtstag, an dem ich allein bin.

      Ganz allein.

      Sie blieb vor dem Bild von Joachim stehen, das nur der Kinder wegen in der Wohnung stand. Er lächelte auf dem Bild, so wie er immer gelächelt hatte. Ein bißchen überlegen, ein bißchen leichtsinnig und auch ein bißchen weltfern. Bis auf leichtsinnig trafen die anderen Eigenschaften nicht zu. Schon gar nicht weltfern!

      Ihre Ehe bestand nur noch auf dem Papier und auch dort nur noch so lange, bis die Kinder groß genug waren, daß Juliane ihnen würde erklären können, daß es…

      Ach! Sie wußte noch nicht, wie sie es ihnen erklären würde. Jetzt noch nicht. Und noch war es ja auch nicht soweit.

      Bis zum letzten Jahr hatte Joachim sich an ihre Vereinbarung gehalten und war einmal jährlich aus Paris angereist, wo er sich als Maler niedergelassen hatte. Ob er das allein getan hatte, wußte Juliane nicht und jetzt interessierte es sie auch nicht mehr.

      Für die Kinder war Papa auf Reisen. Noch fragten sie kaum. Aber – Juliane gab sich da keinen trügerischen Hoffnungen hin – das würde kommen, mit Sicherheit!

      Sie schrak regelrecht zusammen, als das Telefon in der stillen Wohnung läutete.

      »Hellberg…«, meldete sie sich, und aus der Muschel klang mehr laut als schön:

      »Happy birthday to you – happy birthday to you… Happy birthday, dear Julchen, happy birthday to you…«

      Juliane lachte.

      Nur Annegret konnte das sein, und sie war es auch.

      »Na…«, fragte sie, nachdem sie tausend gute Wünsche durchtelefoniert hatte, »wie fühlt man sich denn so mit dreißig?

      Juliane setzte sich.

      »Ach, ich weiß nicht… Eigentlich genauso wie mit neunundzwanzig.«

      »Tztz…«, machte Annegret, »du hast aber auch gar keinen Sinn für einschneidende Ereignisse im Leben einer Frau!«

      »Vielleicht, weil ich die Ereignisse kenne und den Sinn deshalb nicht.«

      »Ach, komm, werde nicht komisch! hast du Schampus im Hause?«

      »Ich glaube ja.«

      »Warst du schon bei den Kindern?«

      »Ja…«, sagte Juliane, und sie lächelte unvermittelt und sah auf die Bilder und Gedichte, die ihre drei für sie im Krankenhaus angefertigt hatten. Denn wie immer, wenn eine Infektionskrankheit im Hause Hellberg anstand, machten alle drei Kinder sie durch. Diesmal war es Scharlach, und trotz Julianes beschwörender Bitten durfte sie die Kinder nicht zu Hause behalten. Wie alle Mütter, litt sie selbst mehr als die drei, die auf der Station im Anna-Hospital eine besondere Stellung hatten. Einfach auf Grund der Tatsache, daß sie zu dritt waren.

      »Und wie geht es ihnen?«

      Juliane lachte leise und verlegen auf. »Besser als mir, glaube ich…« Einen Augenblick war es still.

      »Julchen?« kam es dann fragend.

      »Ja?«

      Man hörte, wie Annegret tief Luft holte.

      »Bist du etwa ganz allein?«

      Juliane mußte schlucken.

      »Ja, sicher. Aber das macht doch nichts…«

      »Und ob das etwas macht! Lege den Schampus auf Eis, ich mache einfach Schluß und komme sofort. Ich wollte schon immer mal sehen, wie das ist, wenn man Champagner am Nachmittag trinkt!«

      »Aber…«, versuchte Juliane einzuwenden, deren Pflichtbewußtsein dank einer fast autoritären Erziehung ungemein ausgeprägt war.

      Annegret rief schon: »Papperlapapp…!!« dazwischen, bevor sie ein zweites Wort sagen konnte, und hatte dann auch schon aufgelegt. Juliane freute sich plötzlich und lief, den Sekt auf Eis zu legen und nachzusehen, was sie zum Knabbern im Hause hatte.

      Annegret mußte immer knabbern, und der Himmel allein wußte, wo sie das ließ, was sie pausenlos in sich hineinstopfte, denn sie war gertenschlank wie Audrey Hepburn und sah auch ein bißchen so aus, was sie ganz bewußt betonte.

      Wieder läutete das Telefon, und wieder meldete Juliane sich.

      »Ich bin es«, sagte die dunkle Frauenstimme, die jugendlich und forsch klang, obwohl sie einer Siebzigjährigen gehörte. Genau gesagt: dreiundsiebzig. »Großmutter…«, rief Juliane erfreut, denn nur wer Großmutter Barlach und nur wer ihre sprichwörtliche Sparsamkeit kannte, wußte dieses Ferngespräch zu würdigen.

      »Ich wollte nur ganz kurz gratulieren«, sagte Großmutter, und Juliane hatte jäh und schmerzhaft Sehnsucht nach der alten Frau, an der sie so hing, weil sie sie aufgezogen hatte.

      »Das finde ich aber…«

      »Es wird zu teuer«, lachte Großmutter, obwohl sie es ernst meinte, »wenn du auch noch lange redest!«

      »Dann, danke!« rief Juliane, »ist das kurz genug?«

      »Sehr schön! Geht es dir und den Kindern gut?«

      »Ja«, sagte Juliane und verschwieg, daß die Kinder krank waren. Erstens, weil sie ja ohnehin in ein paar Tagen wieder zu Hause waren, gesund und munter, und zweitens, weil sie die alte Frau nicht aufregen wollte.

      »Fein! Hast du Lust umzuziehen?«

      Juliane plumpste auf den Telefonhocker. Nur Großmutter konnte derartige Überraschungsfragen stellen, die immer nur scheinbar unmotiviert waren.

      »Um-zu-ziehen?«

      »Genau!«

      »Aber…«

      »Hast du – oder hast du nicht?«

      »Großmutter, bitte! Welch eine Frage!«

      »Also ja!« legte Großmutter Barlach diese Antwort zu ihren Gunsten aus, sagte noch:

      »Tschüß dann, feiert schön, ich schreibe dir gleich einen Brief!«

      Die Leitung war leer. Juliane starrte die Sprechmuschel fassungslos an, als könne die ihr antworten. Natürlich konnte die nicht, und langsam legte sie den Hörer zurück auf die Gabel.

      Für eine Weile, genauso lange, bis Annegret anschellte, waren Julianes Gedanken mit Vermutungen beschäftigt, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Sie öffnete die Tür.

      »Hallo, da bin ich!«

      Schön wie immer und gutgelaunt wie immer hielt Annegret ihr einen Strauß hin, der nach Sommer duftete und auch genauso aussah.

      »Oh, vielen Dank!« Juliane freute sich ehrlich, denn sie hatte gelernt, sparsame Blumenkäufe zu tätigen, weil sonst ihr genau ausgetüfteltes Rechensystem, mit dem wenigen Geld auszukommen, das sie hatte, zusammengebrochen wäre. Einen solchen Strauß jedenfalls hätte sie sich nie geleistet. Annegret haßte es, Licht unter den Scheffel zu stellen und fragte deshalb in schöner Ungeniertheit:

      »Schön, was?«

      »Wunderschön…«, entgegnete Juliane und hätte am liebsten ihr ganzes Gesicht in den Strauß gesteckt. »Hier…« Annegret reichte ihr ein Cellophanpäckchen.

      »Was ist das?«

      »Blumenfrisch, das kriegt man gratis dazu, wenn der Strauß teurer als zwanzig Euro ist!«

      Juliane mußte lachen, wie sie oft über Annegret lachen mußte. Der Tag, an dem sie Annegret kennengelernt hatte, in einer dunklen Stunde ihres kleinen Lebens, konnte einem zweiten Geburtstag gleichgestellt werden. Niemals vorher hatte sie gewußt, was es war, eine wirkliche Freundin zu haben. Einen Kameraden, einen Kumpel, der da war, wenn man ihn brauchte. Hinzu kam noch, daß Annegret zu der speziellen Sorte Mensch gehörte, die nicht viel Fragen stellten, nicht neugierig waren und sich nicht anmaßten, Urteile abzugeben über das Verhalten und die Art ihrer Mitmenschen. Was weiter wichtig war, war die Distanz, die immer noch zwischen ihnen bestand, bei aller Freundschaft. Eine Art Freiraum, den man nur auf Aufforderung