Intervention. Unternehmen wie Baidu, Tencent, Alibaba oder JD agieren heute auf Augenhöhe mit Google, Facebook oder Amazon. Durch gezielte Gründerförderung wurde China zur Weltmacht.
Der chinesische Traum und die 10x DNA
Chinas 10xDNA ist eine Mischung aus breitem gesellschaftlichen Optimismus und einer Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien, gepaart mit dem Willen, durch Innovationen viel Geld zu verdienen.
Verstärkt wird die chinesische 10xDNA dadurch, dass in China bereits viele der Next Generation digitalen Plattformen implementiert sind. Der gesamte Alltag – vom Busticket über den Einkauf hin zu Reservierungen im Restaurant – kann über die Smartphone-App WeChat organisiert und abgewickelt werden. Mobile Payment ist der Standard, alle Unternehmen haben sich darauf eingestellt. Selbst beim Blumenverkäufer am Straßenrand bezahlt man in China per Handy.
Auf einer solch breiten digitalen Plattform können »hungrige« Gründer neue Dienste wie Bikesharing oder Social Commerce sehr viel einfacher aufbauen, denn die potenziellen Kunden sind bereits alle auf diesen Plattformen und mit dem digitalen Umgang vertraut, während in Deutschland viele Menschen digitalen Angeboten noch skeptisch gegenüber stehen.
Ein beeindruckendes Beispiel für eine digitale Plattform, die aus China stammt und auch hierzulande sehr bekannt ist, ist TikTok von ByteDance, aktuell eine der wertvollsten Apps der Welt. TikTok scheint Facebook, Instagram, Youtube und Snapchat bei den Downloadzahlen überholt zu haben und testet nun Anwendungen für Social Commerce. TikToks Zwilling Douyin ist ein anderes Produkt von der Firma ByteDance und wesentlich weiter. Die Plattform gibt ein Bild davon, wohin die Reise mit TikTok in Sachen E-Commerce gehen könnte. Die Werbevideos sind auf die Plattform zugeschnitten und werden oftmals gar nicht als Werbung wahrgenommen. Es gibt integrierte Miniprogramme wie Einkaufswagen-Buttons, die Käufe innerhalb der Douyin-App ermöglichen, und viele KI-unterstützte Suchfunktionen für Produkte bis hin zu einer Anwendung mit Gesichtserkennung, mit der man Personen identifizieren und deren Outfits kaufen kann.
Ein weiteres Beispiel für Social Commerce in China ist Pinduoduo. Diese Social-E-Commerce-Plattform ermöglicht es Fabriken und Farmern, ihre Waren ohne Zwischenhändler direkt an Endkunden zu verkaufen. Die Kunden können via WeChat Angebote teilen, Gruppen bilden und Freunde und Familie dazu einladen, sich am Kauf eines Produktes zu beteiligen. Je mehr Leute sich am Ende zusammengefunden haben, desto mehr Rabatt gibt es. Pinduoduo profitiert natürlich extrem davon, dass WeChat in China so stark verbreitet ist und die integrierten Zahlungsmöglichkeiten selbstverständlich genutzt werden.
Nicht nur Softwareunternehmen profitieren von der Allgegenwärtigkeit digitaler Plattformen in China: Der chinesische E-Autohersteller NIO bietet auf seiner Plattform eine One-Stop-Solution für alle Belange rund um die Fahrzeuge an: Man kauft das Auto über die NIO-App, bestellt mit einem Klick Wartung oder Serviceleistungen an jedem beliebigen Ort und kann sogar Lade-Vans ordern, die quasi als Powerbanks fungieren.
Das sind nur einige Beispiele dafür, wie innovative Gründer von der digitalen Aufgeschlossenheit in China profitieren. Die Möglichkeiten sind nahezu endlos und werden vom chinesischen Gründergeist reihenweise erkannt, genutzt und umgesetzt. Unterstützt wird dieser Gründergeist durch staatliche Initiativen, Inkubatoren, Fördermittel, Finanzierungen über Venture Capital oder Sonderzonen mit gelockerter Regulierung. Die Kommunen und Regionen konkurrieren, um die besten Voraussetzungen für das Unternehmertum zu schaffen.
Wie erfolgreich das ist, zeigt die beeindruckende Entwicklung von Shenzhen. Vor 40 Jahren war Shenzhen noch eine kleine Fischerstadt mit 300.000 Einwohnern. 1989 wurde es Chinas erste Sonderwirtschaftszone. Durch gezielte Förderung und Unternehmergeist ist die Stadt mittlerweile das globale Zentrum für Hardwareentwicklung, mit 40 Millionen Einwohnern und über 2 Millionen registrierten Unternehmen.
Rund 70 % der weltweit verkauften Smartphones kommen aus Shenzhen. Huawei, DJI (einer der führenden Drohnenhersteller) und ZTE (Telekommunikation) haben ihre Hauptquartiere in Shenzhen, ebenso BYD (Elektroautos), Tencent oder BGI (Gen-Sequenzierung). Zahlreiche internationale VCs, Accelerators und Inkubatoren sind in der Stadt vertreten. HAX beispielsweise, ein Seed-Accelerator mit Fokus auf Hardware-Startups, bietet in seinem dortigen Accelerator-Programm quasi einen Allround-Service für Hardware-Gründer. Huaqiangbei, der zentrale Stadtteil in Shenzhen, ist wie ein Basar mit Elektronikmärkten. Hier gibt es keine Ketten, sondern kleine Läden und Stände, meist spezialisiert auf ein Hardware-Produkt. Es wird eine extreme Vielfalt an Speicherkarten, Handys und Co. vertrieben. Wäre Saturn ein Stadtteil, dann wäre er Huaqiangbei.
Shenzhen hat im Vergleich zum Silicon Valley einen großen Vorteil: eine hervorragende Supply Chain. Die angesammelte Expertise im Bereich Fertigung und die niedrigen Lebenskosten sind günstige Konditionen für Startups. Gründer können einen Prototyp in weniger als einem Tag 3D-gedruckt vor sich haben und es heißt, das, wofür man andernorts einen Monat R&D braucht, dauert in Shenzhen eine Woche.
Next Generation Digitale Plattformen sind digitale Plattformen, die nach der Smartphone-Revolution entstanden sind. Anbieter wie WeChat oder Alipay richten ihren Service gezielt und ausschließlich an Smartphone-Nutzer
R&D steht für Research and Development, also Forschung und Entwicklung. Viele Unternehmen, aber auch Universitäten richten R&D-Zentren ein, um abseits ihres Kerngeschäfts neue, innovative Technologien und Produkte zu erschaffen.
Die Kombination aus staatlicher Unterstützung, Effizienz, Geschwindigkeit und der 10xDNA hat Shenzhen zum Hardware-Silicon-Valley der Welt gemacht. Im Grunde ist Shenzhens Aufstieg selbst eine 10xStory. Dieses Momentum möchte China auch auf andere Bereiche übertragen. Die digitalisierten und vernetzten Bürger erzeugen Unmengen an Daten. Schätzungen zufolge gibt ein Chinese 50 mal mehr über Mobile Payment aus als ein US-Amerikaner, bestellt zehn mal häufiger Essen über Apps und erzeugt 300 mal mehr Bewegungsdaten. Kurz – die Gesellschaft produziert eine Menge wertvoller Daten. Diesen unglaublichen Datenpool will China nutzen, um neue Anwendungen auf den Gebieten künstliche Intelligenz und Smart Cities zu entwickeln.
Die Regierung gab vor drei Jahren das Ziel aus, bis zum Jahr 2030 das globale Zentrum für KI-Innovation zu werden und startete 2018 ein Programm, um über fünf Jahre 500 Lehrkräfte und 5000 Studierende im Bereich KI auszubilden. Bereits im ersten Jahr begannen 100 Lehrkräfte und 300 Studierende ihre Ausbildung. Zu den Dozierenden im Programm gehören Koryphäen wie Kai-Fu Lee, der das Projekt 2018 mit initiierte, John E. Hopcroft und Geoffrey Hinton. Kai-Fu Lee entwickelte das weltweit erste sprecherunabhängige Spracherkennungssystem. John E. Hopcroft wurde für seine Arbeit mit Algorithmen und Datenanalysen 1986 mit dem Turing Award ausgezeichnet. Geoffrey Hinton, ebenfalls Turing-Award-Träger, ist bekannt für seine Beiträge zur Theorie künstlicher neuronaler Netze.
Neben dem KI-Institut soll es zukünftig auf Anordnung der Regierung an allen Primär- und Sekundarschulen KI-Kurse geben. Unternehmen und Universitäten entwickeln Lehrmaterial, es sollen hochqualitative, frei zugängliche Onlinekurse entstehen und zahlreiche Fakultäten, Forschungsinstitute und interdisziplinäre Forschungszentren etabliert werden. Geht der Plan der chinesischen Regierung auf, ist KI bald von der Grundschule über die weiterführende Schule bis hin zum Studium ein elementarer Teil der Ausbildung. Auch die chinesische Bevölkerung hat das riesige Potenzial von KI erkannt und sieht darin den Arbeitsmarkt der Zukunft. Eltern lassen ihre Kinder zum Teil schon im Kindergartenalter programmieren lernen.
Aber die Regierung startete nicht nur eine Bildungsoffensive: In Peking wurden 2 Milliarden Dollar für ein nationales KI-Institut mit KI-Industriepark eingeplant, der einmal 400 KI-Unternehmen beherbergen soll. Hangzhou – die Heimat von Alibaba – plant mit staatlichen Investmentfonds ebenfalls einen KI-Park mit über 1 Milliarde Dollar Volumen. Alibaba hat angekündigt, 15 Milliarden Dollar in R&D zu investieren und will in diesem Rahmen sieben neue Labs in China, Singapur, Moskau und den USA eröffnen. Die Forschung soll sich auf grundlegende und disruptive Technologien konzentrieren, also Bereiche wie künstliche Intelligenz, IoT und Quantencomputer.
Peking und Hangzhou sind nur zwei Beispiele. 19 andere Regionen haben ähnliche KI-Initiativen angekündigt und hierfür Partnerschaften mit den Konzernen