Andreas Suchanek

Das Erbe der Macht - Band 24: Schattenkrieg


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Stuhl, die Arme über der Lehne verschränkt, saß Chloe O’Sullivan.

      »Wo sind Anne und Grace?«, fragte er.

      »Ich musste einen Heilkreis erschaffen. Ihre Verletzungen sind so schwer, dass es einige Tage dauern wird, bis die beiden wieder erwachen«, erklärte Teresa.

      Leonardo nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. Seine Hüfte schmerzte, als er sich in eine sitzende Position bewegte. »Wie ist das möglich? Wer bist du wirklich?«

      Teresa blieb stehen und verschränkte die Arme. »Jemand, der heilen möchte.«

      »Sie ist die Herrin vom See«, warf Chloe ein. »Beschleunigen wir das Ganze doch ein wenig.«

      Albert kam mit einem Tablett herein, auf dem Tassen mit Tee und Kaffee standen. »Manche Dinge – darunter vorlaute Menschen – ändern sich wohl nie.« Er zwinkerte Chloe zu.

      »Und du bist augenscheinlich nicht mehr Merlins Helferin.« Leonardo betrachtete sie von oben bis unten.

      Chloe berichtete von dem Ritual, das ihre gute Seite aus der Zeit vor dem Pakt des falschen Glücks von jener aus der Zeit danach aufgespalten hatte. Sie hatte über ihr böses Ich triumphiert, doch am Ende war Merlin aufgetaucht und hatte sie in eine Schlucht geworfen.

      »Ich wäre gestorben, wenn …«

      »… das Schicksal nicht ein wenig gebogen worden wäre«, fiel ihr nun Teresa ins Wort. »Sagen wir einfach, es ist meine ganz spezielle Gabe. Hier und da vermag ich einzugreifen und einen Faden im Geflecht der großen Weberin anzupassen.« Sie lächelte sphinxhaft. »Eine Magierin wird zur Springerin. Eine andere überlebt einen schrecklichen Sturz. Im Castillo war ich Oberste Heilmagierin, doch davon wusste niemand mehr.«

      Es dauerte eine Weile, bis Leonardo die Worte begriff. Und es stimmte: Von dem Augenblick an, als der Onyxquader zerbrochen war, hatte er Teresa nicht mehr gesehen, nichts von ihr gehört. Ja, er hatte keine Erinnerung mehr an sie gehabt. Stattdessen hatten alle nur noch von der Obersten Heilmagierin gesprochen – der neuen –, als wäre diese schon immer da gewesen.

      »Wieso erinnere ich mich?«, fragte er.

      »Weil ich euch allen hier an meinen Erinnerungen, meinem Schicksal teilhaben lasse«, erklärte sie. »Für den Rest der Welt war ich nie Teil des Spiels. Sieht man von den vier Trägern des alten Paktes ab. Veränderungen haben auf jene keine Auswirkung, ihre Erinnerungen bleiben unangetastet.«

      Was nicht viel geholfen hatte.

      Alexander Kent war dank Johanna ein Nimag ohne Magie gewesen und Jenifer Danvers damit beschäftigt, ihn zurückzuholen. Selbst die Unsterblichen waren also nicht gegen eine Schicksalsalternierung gefeit.

      »Wieso hast du nicht einfach dafür gesorgt, dass der Wall nie entstand?!« Leonardo hätte sofort gewusst, wie er eine derartige Macht einsetzen würde. »Oder tust es jetzt?«

      »So einfach ist das nicht.« Mit ihrem grau melierten schwarzen Haar, das zu einem Dutt gebunden war, wirkte Teresa wie eine elegante, aber strenge Gouvernante. »Wenn ich zu stark eingreife, zerreißt das Gewebe des Schicksals. Das wäre das Ende von allem. Es sind nur winzige Fäden, denen ich einen neuen Platz geben darf.«

      »Chloes ins Leben zurückzuholen, war sicher kein kleiner Faden«, merkte Clara an.

      »Ich habe ihren Tod verhindert, das ist etwas anderes«, stellte Teresa klar.

      »Und welcher Magierin hast du die Fähigkeit zum Springen verliehen?«, hakte Leonardo nach.

      »Madison Sinclair«, beantwortete sie bereitwillig.

      »Wozu?«

      »Ich kann die Zukunft nicht sehen«, erklärte sie. »Es sind lediglich Muster, die ich beeinflusse. Was daraus wird, kann ich oftmals selbst nur erahnen.«

      Der Schmerz ließ langsam nach und Leonardo stellte erfreut fest, dass seine Hüfte so gut wie neu war. »Also schön. Erzähl es uns. Ich will alles wissen.«

      Und sie berichtete.

      Die Geschichte – meine Geschichte – begann vor so langer Zeit, dass ich die Anfänge selbst vergessen habe.« Teresa lächelte versonnen. »Damals nannten sie mich Herrin vom See, in den Generationen darauf folgten andere Bezeichnungen. Obgleich ich niemals alterte, lebte ich doch nicht von Gnaden der Zitadelle.«

      Instinktiv nahm Leonardo sich eine Kaffeetasse vom Tablett, obwohl er lieber etwas Stärkeres gehabt hätte. »Woher kam die Langlebigkeit dann?«

      »Morgana war die erste Unsterbliche, Merlin der erste Magier des neuen Morgens. Mein Ursprung liegt davor. Aber das ist unwichtig. Letztlich war es die Zitadelle, die den Anbeginn zurücktrieb und mit der Waffe, geschmiedet in den Feuern der alten Götzen, erschufen wir Stabilität. Uther Pendragon war der Erste, sein Sohn Artus baute Camelot zu einem gewaltigen Reich aus. Damals legten wir alle große Hoffnung in ihn und übersahen, dass Merlin sich der Dunkelheit zuwandte.«

      »Wodurch erstmals der Pakt des falschen Glücks geschlossen wurde«, warf Einstein ein. Auf die verblüfften Blicke Leonardos hin ergänzte er: »Die Archivarin hat mich in der Bühne besucht und es mir erzählt.«

      »Wir standen erneut vor dem Ende. Um die Flamme des Schicksals zu stabilisieren und damit auch die Zitadelle, wurde der Pakt geschlossen, der heute Alexander Kent, Jennifer Danvers, Mordred und die Namenlose verbindet.« Teresa lächelte. »Als er damals zum ersten Mal im Castillo auftauchte, wusste ich, dass die beiden am Ende zueinanderfinden würden. Sie haben sich auch in früheren Inkarnationen ständig angebrüllt und sind dann übereinander hergefallen.«

      Clara schmunzelte.

      »Weiter«, verlangte Leonardo.

      »Mäßige deinen Ton.« In Teresas Augen erschien etwas Uraltes, Ursprüngliches, das ihn bis in die Fasern erschütterte. »Meine Macht gewährt viele Möglichkeiten, doch ebensolche Beschränkungen. Merlin hat lange nach dem Onyxquader gesucht, der einst Kelch und Lade war und so viel mehr. Dabei verbarg er sich vor meinem Blick und die alten Kreaturen sorgten dafür, dass sein Faden aus dem Gewebe des Schicksals verschwand.«

      Leonardo hatte das Gefühl, auf ein gewaltiges Schachspiel zu blicken, das über Zeiten hinweg von zwei Seiten gespielt worden war. Der Anbeginn gegen die Zitadelle. Sie wussten so wenig über beide. »Es lag mir fern, dich zu beleidigen.«

      Sie überging seinen Kommentar. »Was er tat, blieb jedoch nicht verborgen. Merlin setzte alles daran, vier Wesen zu schaffen. Bösartig, gebunden an etwas, das die Wirklichkeit selbst zu zerfetzen vermag.«

      »Piero«, flüsterte Leonardo.

      Allein der Name seines Sohnes riss die alte Wunde erneut auf.

      »Auch«, bestätigte Teresa. »Ich begreife es noch nicht zur Gänze, aber sie spielen eine Rolle. Seine Schatten, dazu ausersehen, den Krieg auf eine gänzlich neue Ebene zu tragen. Mit ihnen …«

      »Was will er denn noch?!« Chloes Finger hatten sich so fest um die Stuhllehne geschlossen, dass es Leonardo nicht gewundert hätte, wäre das Holz gebrochen. »Jeder auf Iria Kon ist ihm hörig, die Unsterblichen werden auf der ganzen Welt gejagt und in den Immortalis-Kerker geworfen. Er kontrolliert die Sprungportale und kann selbst innerhalb von Sekunden überall sein. Oh, und seine Zauber spricht er lautlos, mit der Macht des Walls hinter sich!«

      Diese Zusammenfassung ließ sogar etwas der unerschöpflichen Energie Einsteins aus dessen Blick verschwinden.

      »Ist das nicht offensichtlich?«, fragte Teresa. »Der Anbeginn hat Merlin positioniert, damit dieser dessen Rückkehr ermöglicht. Beide haben ein bestimmtes Ziel.«

      »Sie wollen, dass die Zitadelle fällt«, sagte Clara. »Alle Ereignisse führen auf dieses Ziel hin.«

      »Aber das ist lächerlich.« Tomoe hatte bisher still auf ihrem Platz gesessen, bewegungslos wie eine Statue. »Merlin besitzt die Macht des Walls, aber der Wall