Andreas Suchanek

Das Erbe der Macht - Band 24: Schattenkrieg


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Blick. »Andernfalls hätten wir ihn bemerkt.«

      Nun kam es ihnen zugute, dass es hier keinerlei dichte Vegetation gab.

      Sie passierten den Ortskern östlich und ließen die letzten Häuser hinter sich, als die Dunkelheit hereinbrach. Leonardo erwies sich als Pragmatiker und barg aus einem verlassenen Haus eine Taschenlampe.

      »Auch Nimag-Werkzeug kann nützlich sein«, erklärte er.

      Jen zuckte bei jedem Knacken zusammen. Als Kind der Großstadt waren ländliche Gegenden zwar eine willkommene Abwechselung, allerdings nur bei strahlendem Sonnenschein. In der Dunkelheit schienen die Schatten zum Leben zu erwachen, um nach ihnen zu greifen.

      »Habt ihr das gehört?«, fragte Max.

      »Falls du witzig sein willst …« Jen fuhr zusammen. »Ja, da ist etwas.«

      »Klang wie Flügelschläge.« Leonardo suchte den Himmel ab, doch der Mond blieb hinter Wolken verborgen, der Horizont eine undurchdringliche dunkle Masse.

      »Es hilft nichts, wir brauchen Licht«, sagte Max. »Falls das Geschöpfe Merlins sind, weiß er sowieso schon Bescheid.«

      Er wechselte einen Blick mit Jen.

      Sie nickten einander zu und hoben ihre Essenzstäbe.

      »Fiat Lux!«

      Ihre Stimmen vermischten sich, die magischen Worte hallten über der Ebene wider. Aus den Essenzstäben lösten sich leuchtende Kugeln, die in die Höhe stiegen …

      … und ein Meer aus Körpern enthüllten.

      Breite Schwingen umspannten ledrige Leiber, Kreuzgurte prangten an jeder Brust. Abgesehen von Lendenschurzen trugen die Wesen keinerlei Kleidung. In ihren Mündern saßen nadelspitze Zähne.

      »Das sind Varye«, hauchte Jen entsetzt. »Ich habe sie in Johannas Erinnerung gesehen. Chloe war mit Johanna, Eliot und Anne in ihrem Splitterreich. Tagsüber sind sie aus Stein und sehen aus wie in ihrer menschlichen Form. Aber nachts verwandeln sie sich in die geflügelten Kreaturen.«

      »Lauft!«, brüllte Leonardo.

      Die Varye stürzten sich aus dem tintenschwarzen Himmel herab, krächzten und schrien. Ihre Worte entstammten einer Sprache, die Jen nicht verstand.

      Sie ließ ein magisches Licht vorausschweben. Aus der Dunkelheit schälte sich der Eingang des Höhlensystems hervor.

      »Dort rein!«, brüllte Max. »Nikki, überprüfe es.«

      Die Sprungmagierin verschwand. Wo der Zugang sich befand, wurde es hell.

      »Alles klar!«, rief sie.

      Ein kurzer Sprung, dann war sie bei Leonardo. Beide kehrten zur Höhle zurück.

      Zu Fuß würden sie es nicht schaffen.

      Einer der Varye prallte gegen Jen und warf sie um. Krallen rissen ihre Kleidung auf, ihre Haut blieb jedoch unverletzt. Aktuell keine Magie einzusetzen, hatte sich endgültig als Strategie zerschlagen.

      »Contego!«

      Um sie herum entstand eine Schutzsphäre.

      Max wollte umkehren, doch sie brüllte ihm zu, weiter in Richtung Höhle zu laufen.

      Auch neben ihm erschien Nikki und packte seinen Arm. Mit einem Plopp verschwanden beide.

      Die Varye bemerkten, dass ihre Opfer sich in Luft auflösten und bildeten einen Pulk. Im Schein des magischen Lichts schienen sich Tausende der Kreaturen zu versammeln, betrachteten Jen aus tückisch funkelnden Augen. Sie war Beute.

      Ein lauter Schrei erklang, ausgestoßen von einer einzelnen Kreatur. Wie auf ein geheimes Kommando hin stürzten sich die Varye herab. Der Horizont machte einen Satz, wie eine Welle ergossen die Wesen sich über sie.

      Säbelartige Schlagwaffen donnerten gegen die Schutzsphäre, Krallen schabten auf der manifestierten Essenz. Das Krächzen nahm zu.

      »Potesta!«, brüllte Jen.

      Doch ihre Kraftschläge zeigten kaum Wirkung. Diese Kreaturen mochten nur wenig Magie nach außen einsetzen, erwiesen sich aber als robust gegenüber Angriffen.

      »Ignis Aemulatio!«

      Jen erschuf den Feuerzauber. Immerhin, die magischen Flammen trieben einen Teil der Kreaturen zurück, verschafften Jen Bewegungsspielraum. Trotzdem konnte sie nicht weiter fliehen. Die Varye hatten eine Mauer vor der Höhle gebildet, versperrten den einzigen Fluchtweg.

      Ein Krafthieb schlug zwischen den Leibern ein und trieb sie zur Seite.

      Max kam herbeigelaufen. »Komm schon!«

      »Du solltest doch gehen.«

      »Auch eine Art ›Danke‹ zu sagen.«

      Jen schenkte ihm ein Lächeln.

      Gemeinsam brachten sie die letzten Meter zu Fuß hinter sich. In der Höhle angekommen, rief Max: »Contego Maxima!«

      Der absolute Schutz des Stabes erschuf eine Sphäre, die den Höhleneingang versiegelte.

      Damit waren sie einstweilen sicher.

      Schwer atmend stützte Jen sich an der Wand ab.

      »Erzähl uns alles über diese Kreaturen, was du weißt«, bat Leonardo. »Und noch wichtiger: Um welchen der vier Helfer Merlins geht es hier?«

      Jen rief sich in Erinnerung, was sie von der Mission ins Reich der Varye wusste.

      Dann berichtete sie.

      Was ist hier passiert?«

      Alex betrachtete das verbogene Noxanith zwischen den zersplitterten Edelsteinen. Die gesamte Apparatur unter Paris war nur noch ein Trümmerhaufen.

      In Gedanken spielte er mit dem Amulett, das Morgana ihm bei seinem letzten Besuch übergeben hatte. Eingefasst in einen Metallkreis war ein Gitter, in dessen Mitte sich ein grüner Stein befand. Gehalten wurde das winzige Artefakt von einem Lederband. Letztlich glich es einem Permit, wie Leonardo eines besessen hatte, um das Archiv zu betreten. Bedauerlicherweise wusste Alex nicht, wie es aktivierbar war und was er damit bewerkstelligen konnte.

      »Merlin überlässt nichts dem Zufall.« Mit seinen breiten Schultern, dem Dreitagebart und den dicken Oberarmen wirkte Artus wie einer seiner früheren Ritter. »Er weiß, dass über das Portal die alternative Version von London erreichbar war, mit Morgana darin. Und der Bibliothek von Camelot.«

      »Wieso ist er nicht einfach hindurchgegangen und hat sie angegriffen?«, fragte Chloe.

      »Ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen.« Mit ihren Fingern strich Clara über ein Schrapnell aus Noxanith. »Wir sind übergewechselt, um die Silberregen-Träne zu finden. Dort drüben hat Merlin keine Macht, der Wall existiert nicht. Zusätzlich befinden sich in Morganas Haus Dutzende von Sigilen, die die Gestalt von Kindern angenommen haben.«

      Womit das gesamte Splitterreich eine Gefahr für Merlin darstellte. Er hatte es irgendwie mit der Apparatur verknüpft, um es schließlich für immer abzuspalten.

      »Wir brauchen die Informationen aus der Bibliothek«, sagte Alex. »Es ist die ältestes Wissenssammlung zur alten Magie.« Er wandte sich Artus zu. »Du bist absolut sicher, dass wir darin Hinweise zu seinem Plan entdecken werden?«

      »Er hat sich in den Tagen vor seinem Verrat ständig dort vergraben, mürrisch und schweigsam«, erwiderte der gefallene König. »Dann, plötzlich, war er blendender Laune. Kurz darauf entdeckte ich seinen Pakt mit dem Anbeginn.«

      Merlin hatte Jahrhunderte Zeit gehabt, seinen Plan durchzuführen und die Hinweise zu vernichten. Die Zerstörung des Archivs, der Tod der Archivarin, der durch die Schattenfrau ausgelöste Brand der Bibliothek des Castillos – alles Schritte auf dem Weg, die Vergangenheit unzugänglich zu machen.

      »Wie