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Dr. Jobst Börner hatte es Dr. Daniel Norden zu verdanken, daß er an der Behnisch-Klinik die praktischen Erfahrungen sammeln konnte, die er einmal in einer eigenen Praxis brauchen würde. Er war noch keine dreißig, sah aber noch viel jünger aus, so daß man es gar nicht glauben wollte, daß er bereits ein richtiger Doktor war. Manche Patienten waren sehr skeptisch, aber bei den Patientinnen war er um so beliebter. Er bildete sich nichts darauf ein, sondern war sehr bemüht, allen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. So hatte er auch schnell Jenny Behnischs Bedenken zerstreut. Sie konnte feststellen, daß er auch delikaten Situationen gewachsen war und sogar einer Irene Brück, die meinte, daß er nur für sie da sein müsse.
Sie litt an einem Magengeschwür, wollte sich aber nicht operieren lassen, weil sie meinte, sich mit einer Narbe nicht mehr im Bikini zeigen zu können. Sie war eine maßlos eitle Frau und von sich und ihrer Schönheit so überzeugt, daß sie meinte, daß ihr alle Männer zu Füßen liegen müßten, natürlich auch Dr. Börner. Er fand sie jedoch keineswegs schön und hatte auch sonst viel an ihr auszusetzen, weil ihr anzügliches Geschwätz ihn abstieß. Er hatte andere Ideale und war sich darin mit Dieter Behnisch einig, der Irene Brück gar zu gern loswerden wollte.
Obgleich sehr viel in der Klinik zu tun war, hielt es Dieter Behnisch für angebracht, daß Jobst ein freies Wochenende nutzte, um endlich einmal Ruhe zu haben vor dieser aufdringlichen Patientin. Er freute sich, daß er seine Eltern besuchen und mal wieder Skifahren konnte.
Irene hatte es bereits in Erfahrung gebracht. Sie hatte ihre Ohren überall, und sie zeigte sich derart empört, als sei Jobst nur für sie da und hätte ständig zu ihrer Verfügung zu stehen.
Er war fassungslos, als sie die Arme um seinen Hals warf und sich schluchzend an ihn klammerte, als er ihren Blutdruck messen wollte.
»Sie dürfen mich nicht allein lassen«, jammerte sie. »Mir geht es doch so schlecht. Nur Sie können mich spritzen, ohne daß ich Schmerzen habe.«
»Ich bin überzeugt, daß Dr. Behnisch das genausogut kann«, sagte er ruhig. »Sie bringen mich in Verlegenheit mit Ihrem Benehmen, das muß ich doch einmal sagen. Sie sind eine Patientin wie jede andere. Ich bin nicht nur für Sie da.«
»Jetzt sind Sie auch noch böse mit mir«, schmollte sie. »Was kann ich denn noch tun, um Sie davon zu überzeugen, daß Sie mir soviel bedeuten.«
»Ich kann es nur bedauern, wenn Sie von mir erwarten, daß ich etwas für Sie empfinde!« stieß er hervor. »Ich bin Arzt, nichts weiter.«
»Sie sind doch auch ein Mann«, sagte sie mit einem herausfordernden Lächeln. »Und ich kann Ihnen einiges bieten.«
»Ich kann mir das nicht anhören. Es tut mir leid, aber Sie zwingen mich dazu, dem Chef zu sagen, daß ich Sie unter diesen Voraussetzungen nicht mehr betreuen kann.«
»Dann verschwinden Sie doch!« schrie sie ihn unbeherrscht an.
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Jenny Behnisch stand draußen.
»Sie ist wohl sehr anstrengend«, meinte sie anzüglich.
»Sehr aufdringlich, aber ich denke, jetzt wird sie sich über mich beschweren. Es gefällt ihr nicht, daß ich mein freies Wochenende habe.«
»Sie werden uns auch fehlen, da wir zwei Neuzugänge haben, aber andererseits wird es ganz gut sein, wenn Sie Frau Brück entkommen können.«
»Ich weiß nicht, was sie eigentlich erwartet«, seufzte er.
»Oh, ich weiß das schon«, meinte Jenny lächelnd. »Ich wünsche Ihnen viel Spaß. Wenn Sie zurück sind, kümmern Sie sich vor allem um Frau Rohden. Sie wird am Dienstag operiert.«
Jobst war leicht zusammengezuckt. »Ist sie mit dem Architekten Rohden verheiratet?« fragte er.
»Ja, sie ist seine Frau.«
»Was fehlt ihr?«
»Sie hat ein Nierenleiden«, erwiderte Jenny ausweichend.
Seine Augenbrauen hoben sich leicht. »Wie alt ist sie?«
Jenny war überrascht, daß er sich für Donata Rohdens Alter interessierte, aber manchmal stellte man geistesabwesend solche Fragen.
»Anfang Dreißig, schätze ich«, erwiderte Jenny.
Dann kann sie es nicht sein, dachte Jobst, aber man konnte ihm diese Gedanken nicht vom Gesicht ablesen. Er hatte gelernt, sein Mienenspiel zu beherrschen.
Zehn Minuten später saß er am Steuer seines Wagens und fuhr in Richtung Österreich. Seine Eltern hatten sich in der Nähe von Kitzbühel niedergelassen, was für ihn natürlich sehr praktisch war, denn so brauchte er für seine Ausflüge nicht viel Geld. Er hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern, wenngleich er früh gelernt hatte, auf eigenen Füßen zu stehen.
Sein Vater war Ökologe, ein äußerst toleranter, vielseitig interessierter Mann. Er hatte Jobst frühzeitig das Gefühl gegeben, sich im Leben behaupten zu müssen, doch immer die Tür bei seinen Eltern offen zu finden.
Jobst hatte ein glückliches Naturell. Er schuf sich keine Probleme, aber er ging Schwierigkeiten auch nicht aus dem Weg, sondern stellte sich ihnen. Obwohl seine Eltern wenig Zeit für ihn hatten, fühlte er sich nie vernachlässigt. Er war gern mit ihnen zusammen, aber er kam auch gut allein zurecht.
Auf dieser Fahrt bei strahlend schönem Winterwetter bewegten ihn aber andere Gedanken. Er dachte zurück an den Sommer, an eine herrliche Zeit am Meer, an Janine, an den Zauber einer Liebe, die aber nur diesen Sommer währte, dann war Janine wieder aus seinem Leben verschwunden. Er wollte nicht mehr daran denken. Er weigerte sich, diesen Schmerz zu akzeptieren, der zurückgeblieben war, aber nun hatte der Name Rohden die alte Wunde wieder aufgerissen.
Jacob und Dorothee Börner hielten schon Ausschau nach ihrem Sohn, und er wurde liebevoll empfangen. Übertriebenes Getue liebten die Börners nicht, aber ihre Gefühle kamen aus dem Herzen.
»Ihr seht ja blendend aus«, stellte Jobst erfreut fest.
»Und du scheinst Urlaub nötig zu haben«, meinte seine Mutter, die von ihrem Mann Dorle genannt wurde.
»Das Wochenende genügt schon vorerst«, erwiderte er. Es war schön, sich wieder mal an den bereits gedeckten Tisch setzen und das köstliche Essen von seiner geliebten Mutsch essen zu können. Sie hatte natürlich sein Lieblingsgericht, Rahmschnitzel mit Spätzle und Gemüsebeilagen, zubereitet. Vorher gab es Salatteller mit gerösteten Austernpilzen.
»Lecker, lecker«, sagte er und aß mit großem Appetit.
»Wie ist das Klinikessen?« erkundigte sich sein Vater.
»Recht gut, aber es ist eben nicht Muttis Küche. Zu meckern gibt es nichts, aber es gibt doch immer wieder Patienten, denen man es nicht recht machen kann. Auch daran habe ich mich schon gewöhnt. Sollen sie reden, sie gehen ja wieder. Jenny und Dieter Behnisch nehmen es gelassen.«
»Du verstehst dich mit ihnen?«
»Sehr gut. Sie kehren nicht den Boß heraus.«
»Und Daniel Norden triffst du auch?«
»Er kommt schon manchmal in die Klinik, wenn Patienten von ihm operiert werden. Ich hatte nur noch keine Zeit, seine Einladung anzunehmen. Das wird aber noch nachgeholt, denn seine Kinder möchte ich auch kennenlernen.«
»Seine Ehe scheint ja sehr glücklich zu sein«, meinte Dorle.
»Sie ist perfekt, eine Bilderbuchehe. Fee Norden ist allerdings auch eine bezaubernde Frau. So was trifft man selten.«
»Laß dir nur Zeit, eines Tages findest du sicher auch deine Traumfrau«, meinte Dorle.
»Und wann wirst du eine Praxis eröffnen, Jobst?« fragte sein Vater.
»Wenn ich den richtigen Ort gefunden habe.«
»Du weißt ganz genau, daß wir dich jederzeit gern finanziell unterstützen würden, mein Junge.«
»Das ist nicht nötig. Ich habe das Erbe von den Großeltern, damit muß ich auskommen. Ich lebe ja sparsam.«
»Nicht