wollte. Ihr Kühlschrank war fast leer, sie hatte wenig Zeit gehabt in den letzten Wochen. Jetzt aber hatte sie ein paar freie Tage, und sie war froh darüber.
Sie fühlte sich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Es war ihr, als schwebe sie, und sie fragte sich, ob sie vielleicht auf dem besten Wege sei, sich zu verlieben. Dieser Tim Brown ging ihr nicht aus dem Kopf, obwohl sie sich immer geschworen hatte, niemals etwas mit einem Arzt anzufangen. Es gab so viele Geschichten über Verhältnisse zwischen Ärzten und Schwestern, aber die wenigsten gingen gut aus.
Ein Verhältnis kam für sie sowieso nicht in Frage. In dieser Hinsicht war Caroline sehr altmodisch. Sie wollte etwas Festes haben, einen Mann, mit dem sie zusammenbleiben und eine Familie gründen konnte. Alles andere war nichts für sie. Sie hatte ein paar Freunde gehabt, aber immer hatte sich herausgestellt, daß es doch nicht das Richtige gewesen war, und so hatte sie sich ohne allzu großes Bedauern jedesmal wieder getrennt. Zur Zeit hatte sie keinen Freund, aber vielleicht…
Ich bin ja verrückt, dachte sie. Der Mann ist Südafrikaner, er ist ein großartiger Arzt, er hat eine glänzende Zukunft vor sich. Der kann jede Frau haben, wenn er will. Der wird gerade auf mich gewartet haben.
Sie hatte die Praxis erreicht, meldete sich an und nahm im Wartezimmer Platz. Dort nahm sie ihren Gedankenfaden wieder auf. Tim Brown hatte sicher nicht auf sie gewartet, aber er hatte sie mehrmals auf eine Art und Weise angesehen, dort oben auf dieser wunderbaren Dachterrasse, daß ihr abwechselnd heiß und kalt geworden war. Und er hatte sie um ein Wiedersehen gebeten – außerhalb der Klinik.
Sie hatte eingewilligt, wobei sie die warnende Stimme in ihrem Inneren absichtlich überhört hatte. Was war schon dabei, wenn sie sich zum Essen mit einem Mann verabredete, den sie nett fand? Das hieß ja noch längst nicht, daß etwas zwischen ihnen war.
»Frau Stellmann? Kommen Sie bitte, Sie sind die nächste.«
Lächelnd folgte Caroline der Sprechstundenhilfe, die hochschwanger war. »Wann ist es denn soweit?« fragte sie.
»Erst in zwei Monaten, aber ich habe das Gefühl, wenn ich noch dicker werde, platze ich«, stöhnte die junge Frau, aber ihre Augen strahlten dabei.
Zu ihrer großen Überraschung entdeckte Caroline an sich selbst ein Gefühl, das ihr eigentlich fremd war. Sie war neidisch.
*
Tim Brown sah sich die eitrige Wunde des Patienten Sven Mohntal aufmerksam an. Es war ein offener Unterschenkelbruch, der nicht verheilen wollte. Den jungen Mann quälten schlimme Schmerzen, und er wußte, daß man bereits über eine Amputation nachdachte.
»Bitte, helfen Sie mir, Herr Doktor!« sagte er flehentlich. »Ich brauche mein Bein! Es kann doch nicht sein, daß ich es verliere bloß wegen so eines blöden Bruches!«
»Machen Sie sich bitte keine Sorgen«, sagte Tim freundlich zu ihm. »Ich denke, wir werden einen Weg finden, Ihr Bein zu retten.« Dann wandte er sich dem jungen Assistenzarzt Dr. Bernd Schäfer zu, der ihn gebeten hatte, sich den Patienten einmal anzusehen. »Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?« fragte er.
Bernd Schäfer nickte. Sie verließen das Patientenzimmer und zogen sich in einen leerstehenden Raum zurück. »Stimmt es«, fragte Bernd, »daß Sie eine Idee haben, was wir machen können, um das Bein zu retten?«
»Ich denke schon«, sagte der Südafrikaner ruhig. »Zumindest hoffe ich, daß es noch nicht zu spät ist.« Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. »Ich weiß, daß es eklig klingt und aussieht, aber wir haben die allerbesten Erfahrungen mit Maden gemacht.«
»Maden?« fragte Bernd Schäfer entsetzt. Er war ein Mann, der für sein Leben gern aß, was man ihm auch ansah. Allein der Gedanke an Maden schien jedoch geeignet zu sein, ihm den Appetit zu verderben.
Tim Brown setzte gleich noch einen drauf. »Wir setzen Maden in die Wunden, die den Eiter fressen – gesundes Gewebe rühren sie nicht an. Sie haben mir doch gesagt, daß Ihr Patient etliche Antibiotika nicht verträgt und daß sich sein Zustand in den letzten Tagen sehr verschlechtert hat. Sein Bein ist wirklich in großer Gefahr, wenn nicht sehr schnell Abhilfe geschaffen wird.«
»Das stimmt«, gab der junge Assistenzarzt zu.
»Also, was spricht denn gegen Maden? Sie wissen doch sicher, daß das die schonendste Methode zur Wundreinigung ist, die es gibt? Antibiotika haben sehr oft unerwünschte Nebenwirkungen – ganz abgesehen davon, daß Herr Mohntal eine Überempfindlichkeit gegenüber zahlreichen Medikamenten hat. Mit dem Skalpell verletzt man leicht gesundes Gewebe, weil man so präzise gar nicht arbeiten kann – Maden dagegen tun ihre Arbeit in unserem Sinn und schaden überhaupt nicht. Bleibt also der Ekel über den Anblick. Und diesen Ekel kann man überwinden, wenn man weiß, daß die Methode in diesem speziellen Fall die einzig richtige ist.«
Bernd Schäfer schluckte und sagte dann: »Ich habe schon davon gehört, aber ich glaube nicht, daß hier in der Klinik schon einmal mit Maden gearbeitet worden ist. Und ich habe mir auch noch nie ausgemalt, wie das wohl aussehen könnte.«
Sein afrikanischer Kollege lächelte verständnisvoll. »Den meisten geht es wie Ihnen, Herr Schäfer. Ich selbst fand den Anblick am Anfang auch unangenehm – das vergesse ich immer wieder, weil ich schon seit Jahren mit dieser Methode vertraut bin und sie auch oft anwende. Ich habe schon überall in Afrika gearbeitet – auch in den ärmsten Ländern, wo es am Nötigsten fehlt. Dort greift man gern auf Methoden zurück, die zugleich wirksam und preiswert sind. Und manchmal ist es eben so, daß es auch in einem reichen Land, in dem es sämtliche modernen Hilfsmittel der Medizin gibt, am besten ist, auf ein ganz einfaches Mittel zurückzugreifen. Mir scheint, Maden sind die einzige Chance, die Ihr Patient noch hat, wenn er sein Bein behalten will.«
»Ich weiß nicht, ob er sich damit einverstanden erklären wird«, wandte Bernd Schäfer ein. »Also, ehrlich gesagt, ich weiß nicht einmal, ob ich es täte.« Er schüttelte sich.
Tim lächelte und sagte sanft: »Wenn Sie die Wahl hätten, Ihr Bein zu verlieren oder statt dessen ein paar Ekelgefühle zu überwinden – ich garantiere Ihnen, daß Sie sich für letzteres entscheiden würden.«
»Kann sein«, gab Bernd zu. »Aber dann kommen Sie jetzt bitte mit mir und machen dem Patienten das klar. Allein bin ich damit überfordert.«
Tim nickte nur, und gemeinsam betraten sie das Zimmer des Patienten erneut, der ihnen voller Hoffnung, gemischt mit Angst, entgegensah.
*
»Es hat sie wirklich schlimm erwischt«, sagte Carola Senftlebens Hausarzt mit sorgenvollem Gesicht zu Adrian Winter und dessen Zwillingsschwester. Esther Berger, die als Kinderärztin in der Charité arbeitete, war sofort nach ihrem Dienst zu ihrem Bruder gefahren. Auch sie war schon oft bei Frau Senftleben zu Gast gewesen.
Sie standen jetzt im Wohnzimmer von Adrians Nachbarin, die nach einer Spritze, die der Arzt ihr gegeben hatte, sofort eingeschlafen war. »Können Sie sich in den nächsten Tagen ein wenig um sie kümmern?« fragte der Hausarzt. »Sonst lasse ich sie nämlich ins Krankenhaus einweisen. Allein kann sie nicht bleiben, sie braucht auf jeden Fall Betreuung.«
»Ich habe das ganze Wochenende frei«, antwortete Adrian. »Danach wird es schwierig – Urlaub kann ich im Augenblick schlecht nehmen.«
»Aber ich kann am Montag meinen Dienst für die Woche tauschen«, sagte Esther. »Du hast doch tagsüber Dienst nächste Woche, Adrian, oder nicht?«
Er nickte. »Gut«, fuhr sie entschlossen fort, »dann übernehme ich nächste Woche den Nachtdienst und kann tagsüber hier sein. Das wird schon gehen.«
»Gut, wenn Sie beide das so hinkriegen, bin ich einverstanden. Rufen Sie mich bitte jederzeit an, wenn etwas sein sollte. Morgen komme ich vormittags noch einmal vorbei, um zu sehen, ob die Medikamente einschlagen und ob sie sie verträgt.«
»Vielen Dank, daß Sie sofort gekommen sind«, sagte Adrian und brachte seinen älteren Kollegen zur Tür.
»Ach, wissen Sie, Herr Winter«, antwortete dieser, »Frau Senftleben ist schon sehr lange meine Patientin, aber