Fiona West

Die Ex-Prinzessin


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Mann in einer dicken karierten Jacke hatte sie, seit was hätte Abendessenszeit sein sollen, beobachtet. Er lehnte an einem Baum und nickte dem Polizisten kurz zu, der nickte kurz zurück, sagte aber nichts zu ihm. Abbie hatte finster dreingeblickt. Was machte diesen Typ besonders? Sie war es noch immer nicht gewohnt wegen ihres Geschlechts wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden; in Brevspor waren die Frauen in der sozialen Hierarchie wichtiger als die Männer. Es gab keine andere Art und Weise das zu sagen. Das war hier eindeutig nicht der Fall und sie war mit diesem Fakt auf zahlreiche Arten in Berührung gekommen: bei der Zoll- und Einwanderungsbehörde beiseitegeschoben zu werden, von Polizisten Mäuschen genannt zu werden, im Zug in ihr Hinterteil gekniffen zu werden … es ärgerte sie maßlos.

      Der junge Mann war langsam auf sie zugekommen und sie fragte sich beiläufig, ob er für ihre Mutter arbeitete, ob er hierher geschickt worden war, um nach ihr zu suchen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, als sie auf ihre Füße kam. Nie im Leben. Sie würde gegen ihn mit bloßen Fäusten kämpfen, bevor sie zulassen würde, dass sie zurück nach Hause befördert wurde. Als er ihre Körperhaltung sah, wurde er langsamer und hielt die Hände hoch.

      »Wollte nur reden.« Seine Kleidung war schäbig, dreckig, aber sein Gesicht und seine Hände waren sauber und er behielt seine Augen auf ihrem Gesicht. Sie hielt ihre Wirbelsäule gerade, ihre Füße machten sich bereit zu kämpfen oder zu fliehen.

      »Dann rede.«

      »Ich bin Ward. Wie ist dein Name?«

      »Geht dich nichts an.«

      Er gluckste. »Richtig. Nicht aus der Gegend, was?«

      »Was bringt dich da drauf?«

      Er hatte ihr rotbraunes Haar und die helle Haut wahrgenommen. »Dein Teint, deine Haarfarbe. Dein Akzent.«

      »Und?«

      »Könnte jemanden brauchen, der aussieht, als ob er nicht hier aus der Gegend ist. Biete Essen im Tausch.«

      »Ich mache für Essen nicht die Beine breit.«

      Der Mann war einen Schritt näher gekommen, schmunzelte und kalter Schweiß brach entlang ihrer Wirbelsäule aus. »Nicht was ich wollte, aber gut zu wissen.« Er hatte sich dann umgeschaut, so als ob er ein Geheimnis teilte. »Finde einen netten Typen, der dich beschützt, oder du wirst diese Wahl vielleicht nicht haben.« Während er zurückwich, schenkte ihr der Mann einen bedeutungsvollen Blick, drehte sich dann, um zu gehen. Abbie schauderte.

      »Warte …«

      Durch das Knacken und Summen der elektronischen Ansage, die die Ankunftszeiten herausrief,  aus ihrem Schwelgen in Erinnerungen wachgerüttelt, blickte Abbie sich benebelt um. Sie war am Bahnhof angekommen. Sie setzte sich auf eine hölzerne Bank, beobachtete die Türen, um zu sehen, ob ihr jemand hinein gefolgt war. Sie erkannte niemanden wieder, weder an ihrem Gesicht noch an ihrer Körpersprache. Nach ein paar Momenten, in welchen sie sich beruhigte, erhob sich Abbie und ging zu ihrem Schließfach, dem einen, welches die ganze Zeit ihr Notfallplan gewesen war. Sie durchwühlte es, bis sie das Bargeld, das Pfefferspray und das Dörrfleisch und Studentenfutter gefunden hat, was wahrscheinlich zumindest noch immer grenzwertig essbar war, verstaute dann alles in ihrer Tasche. Aber als sie zu den Reisepässen kam, kamen die Tränen wieder zurück.

      Ich entscheide mich allen Kontakt mit Lauren, mit Melinda, mit Davis, mit Ward, Patty, Jenny zu verlieren. Ich entscheide mich wieder von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck zu leben … einen neuen Job finden, und bäh, Jersey—auch neue Ärzte. Meinen Namen ändern. Ich entscheide mich meinen Vater sterben zu lassen ohne mich verabschiedet zu haben. Das ist, für was ich mich gerade entscheide.

      Sie fühlte nach dem gleichen stählernen Entschluss, den sie gefasst hatte, als Ward in jener Nacht zum ersten Mal im Park auf sie zugekommen war, die gleiche innere Stimme, die ihr versprach, dass sie ihr eigenes Leben kontrollieren konnte, dass sie für das, was sie wollte, kämpfen konnte—und ging leer aus. Das war nicht richtig. Sie legte den Reisepass zurück und schlug das Schließfach zu. Es würde einen anderen Weg geben müssen.

      KAPITEL DREI

      BEVOR SIE DEN BAHNHOF verließ, benutzte Abbie ein öffentliches Telefon, um Lauren anzurufen.

      »Hey, ich bin in großen, großen Schwierigkeiten. Ich brauche deine Hilfe. Kannst du gleich von der Arbeit weg und mich bei mir zuhause treffen?«

      »Ähm, okay?«, antwortete Lauren langsam, die Stimme voller Besorgnis.

      »Großartig, bis gleich«, sagte Abbie, legte auf, bevor Lauren anfangen konnte sie ins Kreuzverhör zu nehmen.

      Gehen war zu langsam; sie nahm lieber eine Kutsche anstatt öffentliche Verkehrsmittel zu riskieren. Lauren wartete bereits draußen vor dem Gebäude, als sie dort ankam. Abbie schloss die Außentür zu ihrem schmuddeligen Gebäude auf, blickte dabei zum, wie es sich anfühlte hundertsten Mal, über ihre Schulter. Jeder der fünf unbeweglichen Männer, die auf der Straße herumhingen, könnte sie beobachten. Sie schob Lauren zur Seite. »Mensch, pass auf den Anzug auf, Abs. Ich muss zur Arbeit zurück, ohne dass die Leute denken, dass das eine telefonische Verabredung zum Sex war.«

      »Hör einmal auf Witze zu machen. Ich bin hier wirklich in Schwierigkeiten«, zischte Abbie, milderte dann ihren Tonfall ab, ihre Schultern sackten zusammen. »Mein altes Leben hat mich eingeholt.«

      Laurens Augenbrauen schossen hoch. »Was? Warum bist du dann nicht auf dem Weg zum Bahnhof? Ich dachte du hättest einen Plan.«

      »Es gibt … Komplikationen.« Abbie schloss ihr Apartment auf. Sie brachte Lauren auf den neuesten Stand, während sie Kaffee in der Mikrowelle warm machte und Lauren leise den Vertrag durchlas. Schließlich legte sie den dünnen Stapel Papier ab und seufzte.

      »Dieses Ding ist ein Kunstwerk, Abbie. Er fußt vollständig auf etwas, das sich Hapsburg-Test nennt, welcher deine Abstammung verfolgt und sie mit der deines vorgeschlagenen Ehemanns vergleicht. Die Linien dürfen nicht zu nahe beieinander liegen, oder der Test scheitert. Mitglieder des Königshauses zu finden, die nicht bereits verwandt sind, wird schwieriger und schwieriger.«

      »Was bedeutet das also für mich?«

      »Das bedeutet—oder zumindest denke ich, dass es bedeutet—dass der einzige Weg aus diesem Vertrag herauszukommen ist sich neue Eltern zu suchen. Nicht machbar. Es basiert vollständig auf deiner Genetik; deine Rolle als potentielle Königin von Brevspor war nebensächlich, wirklich.«

      »Es gibt keine Reinheits-Klausel?«

      Laurens Mund klappte auf und sie schoss Abbie einen lasziven Blick zu. »Mädchen, bist du endlich flachgelegt worden?«

      Abbie schüttelte ihren Kopf. »Das lässt sich allerdings beheben.«

      Lauren nahm ihre Brille ab und starrte sie an. Sie lehnte sich nach vorne über den Tisch. »Ist das dein Ernst?« Abbie schaute aus dem Fenster und sagte nichts. »Wir haben noch nie wirklich über diesen Teil deines Lebens gesprochen. War es so schlimm? Warum bist du gegangen?«

      Abbie war für eine lange Zeit ruhig. Als sie wieder sprach, fühlten sich die Worte an, als ob sie durch irgendeine unsichtbare Kraft aus ihr herausgezogen wurden. »Als ich dreizehn war, haben sich die Dinge plötzlich verändert. Ich war nicht dafür vorgesehen die Nachfolge meiner Mutter anzutreten, aber meine Schwestern …« Abbie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Sie räusperte sich. »Meine Schwester Allegra war dazu vorgesehen den Thron zu besteigen.«

      »Allegra? Hast du mir von ihr erzählt?«

      Abbie fuhr den Rand ihrer Tasse gedankenverloren mit einem Finger nach und schüttelte ihren Kopf.

      »Warum nicht?«

      Abbie zuckte mit den Schultern, starrte in ihre Tasse. Die gute Sache war, sie war von früher ausgeweint. »Sie ist nicht mehr da, Laur. Es gab einen Unfall und sie … sie sind gestorben.«

      Abbie blickte nicht zu ihrer Freundin hoch, da sie nicht den Gesichtsausdruck von Schock und Mitleid sehen wollte, der sie sicherlich begrüßen würde, wenn sie es tat. Einen Moment später spürte sie das Gewicht einer