Mathias Scheben

Das Corona-Buch


Скачать книгу

von uns ein Auto braucht, der leiht sich im Bedarfsfall eines oder muss sich trotz aller Bedenken tatsächlich eine Karre kaufen. Wir achten dabei nun aber mehr auf Format und Folgekosten als auf Farbe und Fahrkomfort. Wir protzen nicht mit Hubraum, sondern bedenken den knappen Parkraum in Stadt und Land: Kleinkarierte Parkplätze im öffentlichen Raum und in traditionellen Parkhäusern machen uns zusätzlich vernünftig.

      Große und stark motorisierte Fahrzeuge, vor Jahren noch der Stolz mancher Führerscheinbesitzer, sind bei uns eh in den beschämenden Ruf als Proletenpanzer gekommen. Wozu sind sie gut, diese peinlichen Umweltschädlinge, lärmenden Zuhälterboliden, lächerlichen Angeber-Karren? Sie sind schlecht, zumal in ihrer Funktion als Tötungsinstrumente, wenn sie bei verbotenen Autorennen Mord und Totschlag anrichten. Da hilft auch eine ab Januar 2021 höhere Besteuerung nicht.

      Sollten wir einen fahrbaren Untersatz benötigen, dann wählen wir ein zweckmäßiges Gefährt. Wir werden es nicht lieben, sondern mit Vorsicht benutzen und unter den Gesichtspunkten der Sicherheit pflegen. Luxus dem Loddel, basta. Wer sich aber vom eigenen Wagen als Statussymbol partout nicht trennen mag, der kann sich beim Fahren in Bus und Bahn eine Anstecknadel mit dem Hersteller-Logo oder dem Auto-Modell seiner Wahl ans Revers heften. Das mag ihn billig zu etwas „Besserem“ machen. „Identity Signs dieser Art gibt es aus Messing und Kupfer, in edler Matt-Glanz-Ausführung, farbig feueremailliert, als Relief und voll- oder halbplastisch. Und in Siebdruck und Email-le“, heißt es beim Hersteller.

      Wenn wir uns mit weltlichen Devotionalien schmücken, die uns als Fans eines bestimmten Fußballvereins ausweisen, warum dürfen wir nicht zeigen, welchen Wagen wir in der Garage haben, hatten oder gerne hätten? Wir müssen aber nicht alles machen, was wir dürfen. Diese Einsicht hat uns das Corona-Erlebnis in den Tagen der ersten Lockerungen mitgegeben.

      Kaum ebbte die erste Welle der Corona-Pandemie in Deutschland ab, taten sich die großen deutschen Automobilhersteller mit den Ministerpräsidenten der Länder zusammen, in denen sie hierzulande produzieren. Es ging ihnen darum, dem darniederliegenden Absatz mit staatlichen Fördermitteln wieder auf die Sprünge zu helfen. Alleine für Deutschland rechnet die Autoindustrie mit einem Zulassungs-Minus von 35 Prozent. Ob Diesel-, Benzin- oder E-Auto – der Verkauf aller auf Halde stehenden Wagen sollte mit Steuergeld bezuschusst werden. Kritik zu diesem Ansinnen kam von allen Seiten – nur nicht aus dem Verkehrsministerium, dem Hindernis auf dem Weg zur Verkehrswende.

      Bei den Kritikern hieß es, die deutschen Autofirmen sollten, statt um Geld für Unverkäufliches zu betteln, lieber ihre E-Autos zu ernst zu nehmenden Fahrzeugen aufpäppeln. Es sei nötig, Abschied zu nehmen von all den Antriebsarten, die den Klimawandel beflügeln. Außerdem sei es für die meisten Verbraucher angesichts der Pandemiefolgen eh nicht die Zeit, sich ein neues Automobil zu kaufen. Und wenn doch, dann würden mit Hilfe der Mitfinanzierung aus Steuergeld wohl eher kostengünstige Kleinwagen ausländischer Produktion gekauft, wie 2009 gesehen.

      Damals hieß die staatliche Hilfe im Volksmund „Abwrackprämie“. Wie auch immer, das Auto ist nicht mehr ein Objekt der Begierde, und überflüssige Geldausgaben sind in dieser Zeit eh nicht „in“: Lediglich 9 Prozent der Bevölkerung sprachen sich zur Jahresmitte 2020 für eine unspezifische staatliche Kaufprämie aus, 28 Prozent befürworteten sie für umweltfreundliche Autos. 61 Prozent lehnten eine Auto-Kaufprämie laut einer Umfrage des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) generell ab. Schließlich wurde Mitte 2020 beschlossen, nur den Erwerb von E-Autos zu bezuschussen. Die Lobby der Autoindustrie, inzwischen offenbar ohne Bodenhaftung, stand düpiert da, und es wurde deutlich, dass nun die Arbeitnehmer bei VW, Daimler etc. für die Fehler der Automanager werden büßen müssen.

      Ohne funktionierenden Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) wird es eine Verkehrswende schwer haben. Kleinere, wendige Busse, die je nach Passagieraufkommen in individuellen Minutentakten ihre Routen fahren, sollten die überlangen Vehikel ersetzen, die auch als Gelenkmodelle kaum die Kurven in der Innenstadt kriegen. Kleine Busse kosten mehr Fahrerpersonal – solange die Fahrzeuge nicht automatisch fahren – und schaffen damit zunächst einmal Arbeitsplätze.

      Verantwortliche sollten sich das Dolmuş-System der Türkei ansehen und prüfen, ob es sich nicht unter gewissen Voraussetzungen auch in Deutschland realisieren lässt: Städtische Sammeltaxis, elektrisch oder mit Wasserstoff angetrieben, fahren feste Strecken und Haltestellen an, kommen ohne starren Fahrplan aus, stoppen aber zuverlässig binnen höchsten 15 Minuten vor dem wartenden Fahrgast. Natürlich sind die Fahrten dann kostenlos, oder wir bezahlen einen pauschalen Betrag, unabhängig von der Länge der Fahrtstrecke. Die innerstädtischen Routen sind so aufeinander abgestimmt und verzahnt, dass wir, durch flottes Umsteigen an nahezu jedem Haltepunkt, rasch und sicher ans Ziel kommen.

      Für europäische Binnenstrecken möge der Bahn die Zukunft gehören, auch wenn in den ersten Monaten der Corona-Krise 90 Prozent weniger Menschen von der Bahnsteigkante zugestiegen sind. Vor 2022, so die Bahnchefs, werde sich die „Normalauslastung“ der Züge nicht einstellen. Denn wir werden wegen der vielen Videokonferenzen deutlich weniger reisen und wegen der latenten Ansteckungsgefahr die Enge in den Waggons meiden. Andererseits wird mancher Monteur oder Manager im innerdeutschen Reiseverkehr lieber den Zug als den Flieger nehmen. Wer freilich mit sicherem Abstand reisen will, der schätzt seinen Pkw als individuelle „Schutzhütte“ und profitiert dabei ein wenig von den niedrigen Spritpreisen.

      „Die Verbraucher werden vorsichtiger und den Euro öfter umdrehen“, sagt der Professor für Soziologie und Präsident der Universität Trier, Dr. Michael Jäckel. Die Erfahrungen der Corona-Krise hätten ein neues „Knappheitsbewusstsein“ entwickelt, meint er. Uns sei die „Verletzlichkeit der Art und Weise, wie wir leben, wie wir wirtschaften, deutlich vor Augen geführt worden“. Wir sind wohl ein wenig „geerdet“ worden, meint Jäckel. Nicht nur in Sachen des eigenen Autos. Er erwartet generell, dass „dieses neue Gefühl zu einem etwas verantwortungsvolleren Umgang führt – mit der Art und Weise, wie wir uns ernähren, wofür wir und wo wir unser Geld ausgeben, auch wo die Produkte herkommen“.

      

      Die neue Sparsamkeit: Zu viel Konsum kompensiert Angst

      In diesem Anfang liegt kein Zauber: Das Elend des unnützen Überflusses beginnt bei unseren Anschaffungen. Kaufrausch und der 10-Sekunden-Orgasmus bei der Selbstbefriedigung an der Ladenkasse machen uns im entscheidenden Moment blind für die Fakten: Nur was wir nicht besitzen, kann uns nicht stören oder kaputt gehen, nur was wir nicht haben, verursacht uns keine Folgekosten.

      Wenn wir im Laufe unseres Lebens darüber nachdenken, was wir alles an vermeintlichen Sachwerten und „schönen Dingen“ so über die Jahre spontan geshoppt und dann irgendwann am liebsten oder tatsächlich auf den Müll geworfen haben, da sollte uns schlecht werden vor Ärger. (Leserinnen zählen an dieser Stelle ihre Handtaschen.) Nicht nur unsere eigenen Ressourcen – Zeit, Geld, Aufmerksamkeit – haben wir verschwendet. Ein wenig geplündert haben wir, jeder von uns, auch den Wald, die aus der Erde gegrabenen Rohstoffe, die gute Luft und vieles Kostbare mehr. Geschunden haben wir die Kinder, die in den ärmsten Regionen der Welt unseren Dreck zerlegen und unter Giftwolken darin nach Wertvollem suchen. Da wir dabei nicht Einzeltäter waren, sondern im Verbund mit Millionen Menschen zu Werke gingen, machen die Welt und ihre ärmsten Bewohner – unsere Mitmenschen – inzwischen ihren so stark ausgezehrten, erkrankten Eindruck. Dass ein nachhaltiges „Weniger“ für ein „Mehr“ an Verstand spricht, das gilt bei allen Einkäufen. Täglich!

      Beschränken wir uns also beim Einkauf auf das für uns persönlich Unabdingbare. Erwerben wir möglichst nur reparaturfähige Gerätschaften. Wertschätzen, pflegen und bewahren wir unser aufs Wesentliche beschränktes Eigentum. Geben wir dem Planeten noch eine Chance. Mehr, als auf diese Weise klug zu sein, können wir als einzelne Verbraucher auf diesem Gebiet schwerlich tun. Gestalten wir eine entschlackte Gegenwart.

      Die Höhe unserer Lebenshaltungskosten ist ein Maßstab für den Grad, wie wir zur langfristig absehbaren Vernichtung der Erde beitragen. Ohne nun Statistiken und die Wissenschaft bemühen zu müssen, ist es uns einsichtig, dass der, der viel Geld für Dinge und Dienstleistungen ausgibt, viel an Ressourcen verbraucht, direkt und indirekt. Gratis ist nichts auf der Welt, vieles aber umsonst, also nutzlos oder gar schädlich. Eine neue Bescheidenheit